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Münchner Merkur, 23. Juni 2015 |
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„Es gibt heute weniger Spitzensänger”
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Jonas Kaufmann über Talente, Proben und seinen Auftritt mit Anna Netrebko auf dem
Münchner Königsplatz |
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Dass Jonas Kaufmann der momentan
begehrteste Tenor ist, zeigt sein gut gefüllter Kalender. Interviews sind
begehrt, vor allem, wenn er in seiner Heimat singt — wie am kommenden
Samstag auf dem Münchner Königsplatz mit Sopranistin Anna Netrebko und
Bariton Dmitri Hvorostovsky. Claudio Vandelli dirigiert die Janacek
Philharmonie Ostrava.
-Die Frage, die momentan wohl
viele Fans beschäftigt, vorneweg: Wie geht es Anna Netrebko?
Genaues kann ich nicht sagen. Aber ich weiß, dass sie fest vorhat zu kommen
und bis dahin wieder gesund sein will. Und oft ist man ja nach einer
Krankheit noch ein bissl besser drauf, dank der Erholungsphase. Also bis zum
Konzert ist sie sicher wieder pumperlgsund. (Lacht.)
-Sie waren
gerade auf Tour, jetzt das Open Air: eine willkommene Abwechslung zum
Opernalltag?
Der Aufwand für eine ganze Oper ist natürlich
größer. Und ich sehe mich meinen Fans gegenüber schon in der Pflicht und
höre auch von ihnen oft den Wunsch, an möglichst vielen Orten in deren Nähe
aufzutreten. Und da es logistisch schlichtweg nicht möglich ist, dass ich an
allen Theatern von Flensburg bis Garmisch eine komplette Opernaufführung
singe, sind Konzerte die viel praktikablere Möglichkeit, einem breiten
Publikum einen Live-Abend mit mir zu bieten. Natürlich werde ich deshalb die
Oper nicht aufgeben, nur das Verhältnis ändert sich. Vor einigen Jahren
hatte ich sicher 80 bis 85 Prozent meiner Auftritte auf der Opernbühne,
jetzt sind es ungefähr 50 bis 60. Und dabei wird es denke ich bleiben.
-Am Samstag treffen die führenden Sänger ihres Faches aufeinander.
Warum gibt es das heute auf der Opembühne so selten?
Na ja,
einerseits wird sehr viel gespielt, und andererseits gibt es heute einfach
weniger Spitzensänger. Das ist zumindest mein Eindruck. Plácido Domingo hat
mir einmal erzählt, wenn er abgesagt hat, war das kein Beinbruch. Denn es
gab immer fünf Tenöre seiner Klasse, die für ihn einspringen konnten. Das
ist heute, vorsichtig gesagt, nicht mehr so. Und wenn die Spitze so dünn
besiedelt ist, dann ist es einfach sehr schwierig, mit diesen wenigen
herausragenden Sängern eine ganze Produktion zu besetzen. Bei einem Konzert
ist eine Zusammenführung hervorragender Sänger eher möglich.
-Sie
singen am Samstag „Nessun dorma". Gibt es bald den ganzen Kalaf?
Der Kalaf in „Turandot steht tatsächlich noch aus. Es gibt zwar noch
keinen festen Termin, aber ich habe schon mehrere Möglichkeiten im Auge. Es
muss ja auch nicht immer eine Neuproduktion sein, in der man sein
Rollendebüt hat.
-Dann ist ja auch die Probenzeit kürzer. Sänger
klagen oft über überzogene Proben vor Premieren...
Ich gebe
gerne zu, dass ich keine sechs Wochen mitprobe. Die Oper ist nicht
Schauspiel. Der Handlungsstrang, die Musik und damit das Timing sind
vorgegeben. Auch die schon vorhandene interpretatorische Kraft der Musik
darf man nicht unterschätzen! Die Crux an sechs Wochen Probenzeit ist ja
auch, dass viele Regisseure ohne klares Konzept kommen und meinen: Zur
Premiere ist noch lange hin, da können wir erstmal rumprobieren. Ein guter
Sänger kommt aber auch mit einer gewissen Vorstellung von Partie und Stück
an. Dann entsteht ein hoffentlich fruchtbarer Diskussionsprozess mit dem
Regisseur, indem man versucht, die Ideen und Interpretationen der
verschiedenen Künstler zusammenzuführen. Aber dafür braucht es meiner
Meinung nach nicht sechs Wochen, sonst ist zur Premiere hin gerne auch mal
die Luft raus.
-Zurück zur geringen Zahl an Spitzensängem: Wird
sich das ändern?
Leider sehe ich momentan keinen Aufschwung.
Gute Talente gibt es sicher genug. Die Frage ist, ob diese genügend
ausgebildet und gefördert werden, beziehungsweise noch wichtiger: ob sie
selbst ihre Karriere klug genug planen. Langsam aufsteigen, sich
kontinuierlich verbessern und so weiter. Oder ob sie das existierende Vakuum
nutzen, um möglichst schnell nach oben zu kommen, um dann eventuell schnell
verbrannt zu werden. Es fehlt also nicht an guten Sängern. Aber lange, große
Karrieren, die in ein sogenanntes Startum münden, auch wenn ich diesen
Begriff hasse, die werden immer seltener.
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