Bühne, Oktober 2013
 
JONAS KAUFMANN gibt an der Wiener Staatsoper sein Rollendebüt als Dick Johnson in Giacomo Puccinis „La fanciulla del West".
 
Ekstatischer Puccini, filigraner Verdi
Jonas Kaufmann ist nicht nur ein phantastisch guter Sänger, er ist darüber hinaus ein wahrer Künstler. Denn er nützt seinen unverwechselbaren, vom Timbre her eher dunklen, Tenor stets dazu, etwas zu vermitteln - den Charakter einer Figur, Atmosphäre und Aussage eines Lieds. Spontanität, Emotionalität und geistige Durchdringung sind für ihn denn auch nicht Gegensätze, sondern werden auf ideale Weise zum Einklang gebracht. Der gebürtige Münchner, der während seiner Schulzeit bereits im Extrachor des Gärtnerplatztheaters sang, trat sein erstes und bislang einziges Festengagement 1994 in Saarbrücken an. Zwei Jahre später wurde er freischaffend, fand zunächst in Stuttgart und Zürich, zuletzt in der Bayerischen Staatsoper so etwas wie eine künstlerische Heimat. International ist er im deutschen, italienischen und französischen Fach erfolgreich - was auf diesem Niveau zuletzt Placido Domingo gelungen war. Mit Jonas Kaufmann sprach Peter Blaha.
BÜHNE: Im Internet kann man verhältnismäßig viele Interviews mit Ihnen abrufen. Fast in jedem nützen Sie die Chance, nicht nur über sich selbst, sondern auch über die Musik und den Charakter von Figuren zu sprechen. Sind Interviews für Sie ein Mittel, über Ihr Tun zu reflektieren?

KAUFMANN: Ich glaube schon. So wie ein Lehrer sagt, er lerne selbst etwas, indem er seinen Schülern etwas beibringt, macht man sich übers Reden manches klar. Das soll jetzt aber nicht heißen, dass ich erst durch Interviews anfange, über meine Opern nachzudenken. Das wäre schlimm. Aber es macht schon Spaß, manches auch in Worte zu fassen. Ich habe leider keine Zeit für Schüler, hoffe aber, dass irgendwann der Punkt kommen wird, mein Wissen, das ich dann über die Jahre angehäuft haben werde, weitergeben zu können.

BÜHNE: Nicht nur im Gespräch, auch auf der Bühne - und dort vor allem - dringen Sie sehr tief in eine Figur ein. Ist das die Frucht Ihrer Begegnung mit Giorgio Strehler, in dessen Inszenierung von Cos) fern tutte in Mailand Sie 1997 den Ferrando sangen?

KAUFMANN: Das kann schon sein. Die Wurzeln dazu sind aber wahrscheinlich früher zu suchen. Ich wuchs in einer Familie auf, die wahnsinnig begeistert von Theater und Musik war. Insofern hatte ich ständig damit zu tun, habe viele Bücher und Theaterstücke gelesen, vor allem aber sehr viele Aufführungen gesehen - Oper, Theater, Konzert. Dieses Beobachten und Studieren als Kind hat, glaube ich, mit dazu beigetragen, dass man gerne tiefer eintauchen möchte. Eigentlich gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich bleibe oberflächlich und lasse es nur schön klingen, so dass es auf den ersten Blick zwar gut wirkt, der Zuschauer davon aber nicht wirklich berührt wird. Oder ich fange an, in die Tiefe zu gehen. Das ist die schwierigere, weil manchmal auch unangenehmere Art. Doch am Ende des Prozesses ist sie viel befriedigender, weil man sehr viel von sich selbst hineinsteckt. Ich gehöre halt dieser zweiten Sorte an, wie viele andere Musiker auch, mit denen ich zusammenarbeiten darf, die für die Sache brennen. Ich denke, dass sich auch ein Komponist mehr erwartet hat als bloß eine perfekte
Wiedergabe der von ihm aufgeschriebenen Töne. Er wollte schon auch eine Interpretation, sonst würde ja immer alles gleich klingen. Aber natürlich hat mich Giorgio Strehler, vor allem was die Rollengestaltung anlangt, stark geprägt, weil er mir eben als erster erklärt hat: Du musst einfach jedes Mal wieder bei null anfangen. Du musst auf die Bühne gehen, dir dabei natürlich im Klaren sein, was du da tust, was du singst oder sprichst. Aber wenn du alles verinnerlicht hast und die Fiktion für dich zur wahren Begebenheit wird, dann läuft alles ganz von selbst.

BÜHNE: Bei allen Figuren suchen Sie nach dem Punkt, an dem diese Figur verletzbar ist, was dazu führt, dass ein sonst zumeist als strahlender Held bekannter Charakter bei Ihnen auch weniger strahlende Seiten offenbart, beispielsweise Lohengrin.

KAUFMANN: Was interessiert mich denn an einem strahlenden Helden? Interessiert es mich wirklich, dass da einer oben auf einem Sockel steht, in glänzender Rüstung, völlig unnahbar, geradezu unmenschlich, weil er so perfekt ist? Ist es wirklich das, was ich als Zuschauer sehen will? Ich glaube nicht. Ich will doch wissen, wer hinter der Fassade steckt. Nur wenn jemand menschlich ist, wenn jemand Fehler macht und angreifbar ist, nur dann kann man auch Sympathie für ihn empfinden.

BÜHNE: Das gilt aber nicht nur für Helden, sondern auch für Bösewichter. Tut es Ihnen leid, dass Tenöre mit solchen Rollen weniger reich gesegnet sind?

KAUFMANN: Und ob! Es gibt wenige Tenorpartien, die auch Böses in sich tragen, ein bisschen der Don Jose in Carmen, der Herzog in Rigoletto ist mit allen Wassern gewaschen, auch der Manrico ist letzten Endes so ein Wilder, der sich mit Leidenschaft ins Kampfgetümmel und auch ins Bett stürzt. Für Don Carlo ist es das Schlimmste, wenn nur vier Akte gespielt werden. Da klagt er gleich zu Beginn:„0 Gott, ich liebe meine Mutter!" Da hat man schon verloren. Wenn man aber in der fünfaktigen Version sieht, wie sich der arme Bub in das Mädel verliebt hat, und dann kommt der böse Papa und schnappt sie ihm weg, dann erst hat man Mitleid und versteht auch, warum der die ganze Zeit so jammert.

BÜHNE: Eigentlich müsste Peter Grimes eine Rolle sein, die ganz auf Sie zugeschnitten ist.

KAUFMANN: Das stimmt! Der wird auch sicherlich einmal kommen. Auf meiner Liste steht er ganz oben.

BÜHNE: Heuer steht sehr viel Verdi in Ihrem Terminkalender. Bei Sony ist außerdem eine Verdi-CD erschienen (siehe S. 4), die auch Ausschnitte aus Opern enthält, die Sie noch
nicht auf der Bühne verkörpert haben. Warum diese CD, warum diese Auswahl?

KAUFMANN: Wenn jetzt zwei ihr Jubiläum feiern und ich dem einen, nämlich Wagner, ein Geburtstagsgeschenk in Form eines Soloalbums mache, dann liegt es nah, dass man es beim anderen auch tut. Was die Auswahl betrifft, war es bei Verdi viel schwieriger als bei Wagner, denn da hat man die Qual der Wahl. Es gibt 34 Tenor-Arien von Verdi. Daraus die passenden auszuwählen, ist schwer. Auf jeden Fall sind ein paar dabei, für die ich sterben würde, etwa aus Otello oder aus La forza del destino. Alvaros Arie ist ein unglaubliches Meisterwerk. Aber auch in Simon Boccanegra und anderen Opern gibt es wunderschöne Szenen und Arien.

BÜHNE: Während die meisten Tenöre Radames'„Celeste Aida" auf dem hohen B im Forte oder Fortissimo ausklingen lassen, singen Sie es, wie vorgeschrieben, im Pianissimo. Und auch das„morendo", das Verdi zusätzlich hinzufügt, setzen Sie um, indem Sie den Ton noch mehr ins Leise zurücknehmen. Die meisten Tenöre machen das nicht, sei es, weil sie es nicht können, sei es, weil sie Erwartungen des Publikums gerecht werden möchten.

KAUFMANN: Muss ich mich jetzt an die Hörgewohnheiten halten oder an die Vorgaben der Komponisten? Verdi hat es ja eindeutig formuliert. Wenn zwanzig berühmte Leute sich vor mir nicht daran gehalten haben, dann frage ich mich natürlich, warum sie es so gemacht haben. Und ich komme sehr oft zu dem Schluss, dass es gar nicht so sehr an der Publikumserwartung liegt, sondern an der eigenen Chuzpe, ob man sich wirklich traut, am Anfang eines Abends so einen Ton hinzusetzen. Darin liegt schon auch eine gewisse Schwierigkeit, weil man da noch nicht wirklich warm gesungen ist. Ich bin momentan in einer Verfassung, in der ich solche Töne singen kann, und ich hoffe, mir diese Möglichkeit weiter zuerhalten. Ich werde immer wieder dafür kritisiert, wie ich Piano singe, gerade im deutschen Fach. Manche meinen, das müsste heller und deutscher klingen. Aber das wäre dann mit hochgestelltem Kehlkopf, also fast schon Falsett, und einen solchen Ton kann man nicht aufmachen. Für mich ist ein Piano nur dann ein echtes Piano, wenn man den Ton jederzeit wieder aufmachen, aber auch wieder ins Piano zurücknehmen kann. Das haben mir meine Lehrer beigebracht, und daran halte ich mich.


BÜHNE: Mindestens zwei Opern, aus denen Sie auf der CD Ausschnitte singen, würden sehr gut auch schon in Ihr Bühnenrepertoire passen: Un ballo in maschera und Otello.

KAUFMANN: Un ballo in maschera hätte sogar schon kommen sollen, ist mir aber aufgrund der Planung durch die Lappen gegangen. Aber wir kriegen das hin. Otello ist geplant, ich kann aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht genau sagen, wann und wo. Man muss aufpassen, den Otello nicht zu oft zu singen. Wie bei den großen Wagner-Partien stößt man auch mit dieser Rolle in ein Vakuum, weshalb das dann alle von einem haben wollen. Es sollte eine von vielen Partien und nicht nur die eine Partie sein.

BÜHNE: Im Oktober steht in Wien ein weiteres Rollendebüt an: der Dick Johnson in Puccinis La fanciulla del West. Manche Sänger sagen, bei Puccini würden sie sich freier fühlen als bei Verdi. Gilt das auch für Sie?

KAUFMANN: Es besteht ein grundlegender Unterschied: Puccini hat alles perfekt vorgeplant. Das ist eine Maschine, bei der alle Rädchen geölt sind, die wird angeworfen und läuft einfach durch. Das ist unheimlich ekstatisch und toll. Ich liebe es, Puccini zu singen, keine Frage, aber man hat nicht viele Möglichkeiten, vom Mainstream der Interpretation abzuweichen. Klar kann man da mal ein bisschen mehr Rubato machen und da mal ein bisschen weniger, aber im Prinzip ist alles genau vorgeschrieben. Verdi ist im ersten Moment vielleicht filigraner geschrieben, nicht so mit der großen Feder. Aber auf den zweiten Blick zeigt er sich als viel freier. Abgesehen vom Otello, der fast schon durchkomponiert ist, unterlegt er seinen traumhaft schönen Melodien eine relativ simple Begleitung. Kein Instrument verdoppelt die Melodie, der Sänger hat sie ganz allein für sich. Das ist ähnlich wie bei einem Lied von Schubert. Anders als bei Schumann oder Strauss, wo man viel Begleitung hat, die einem zwar sehr hilft, den Interpretationsspielraum aber auch einschränkt, gibt es bei Schubert ganz, ganz viele Möglichkeiten, gerade weil die Begleitung so relativ schlicht gehalten ist. Das ist zum einen eine große Herausforderung, weil man diese Freiheit natürlich auch nützen muss. Aber andererseits ist das toll, weil man die Musik wirklich zu seinem Eigenen machen kann. Daher empfinde ich es gar nicht so, dass man bei Verdi eingeschränkt ist, es sei denn man hat einen Dirigenten, der ein Metronom aufs Pult stellt und sagt, so muss man's machen. Dann hat man Pech! (lacht).

BÜHNE: La fanciulla del West ist in unseren Breiten weniger populär als Tosca, Boheme oder Butterfly. Haben Sie eine Erklärung dafür?

KAUFMANN: Es ist eine traumhafte Oper! Diese Musik reißt einen so was vom Stuhl! Musikalisch ist es mit Sicherheit eine der schönsten Puccini-Opern. Aber sie ist insofern schwierig, weil man als Regisseur nur zwei Interpretationsansätze hat: Entweder spielt man es original, was dann wie ein Western wirkt, oder man dreht einen Film. Deshalb wird sie weniger geliebt als andere Puccini-Opern, wo man mehr Freiheiten hat. Ich tue es nur wegen der Musik, ganz klar.

BÜHNE: Die Wiener Staatsoper scheint für Sie nun wichtiger geworden zu sein als in der Ära Holender, in der Sie nach Ihrem Debüt 2006 gerade mal auf fünf Auftritte kamen. Hat Wien Ihre Karriere verschlafen?

KAUFMANN: Anfangs hat Wien ein bisschen geschlafen, oder die Entwicklung unterschätzt, die ich machen werde. Und dann, als es höchste Eisenbahn war, sind wir einfach nicht auf einen Nenner gekommen, sag' ich mal vorsichtig. Damit war klar, dass man die Zeit noch ein bisschen aussitzen musste.

BÜHNE: In Biografien wird stets Ihr Alfredo an der Met 2006 als der große Durchbruch Ihrer Karriere genannt. Empfinden Sie das auch so? Sie hatten doch schon wesentlich früher große Erfolge, etwa an Ihrem damaligen Haus, der Züricher Oper, aber auch in Salzburg als Belmonte.

KAUFMANN: Jemand wie Sie hört in der Opernwelt natürlich das Gras wachsen. Intendanten kannten mich auch 2001 schon, weil sie die Szene beobachten. Das breitere Publikum aber hatte meinen Namen nicht so im Munde. Das hat sich erst 2002 in Salzburg mit der Entführung und 2004 mit meinem Debüt in Covent Garden ein wenig geändert. Aber der wirklich große Durchbruch, vor allem in Europa, und die Anerkennung hier kamen letztlich durch die Met. Das ist ebenso faszinierend wie erschütternd.

BÜHNE: Von Vorteil für diese relativ späte Anerkennung aber war, dass Sie sich bereits ein breites Fundament erarbeitet hatten und nicht irgendwelche Vorschusslorbeeren, mit denen junge Sänger heutzutage oft gepuscht werden, erst einlösen mussten.

KAUFMANN: Natürlich. Ich bin selber lange Zeit auf der Bremse gestanden und habe schon auch einige Chancen, die mich deutlich stärker ins Rampenlicht katapultiert hätten, vorbeigehen lassen. Ich wollte noch ein bisschen warten, denn ich glaube, dass eine natürliche Entwicklung, wie sie Sänger früher durchgemacht haben, indem sie sich von Stadttheater zu Stadttheater nach oben gesungen haben, sehr hilfreich ist. Die Erfahrungen, die man in den ersten Jahren sammelt, ohne dass gleich alle Welt auf einen starrt, sind ungeheuer wichtig. Selbst wenn ich jetzt in die absolute Provinz gehen würde, um dort etwas auszuprobieren, nähme alle Welt davon Notiz.

BÜHNE: Dem Druck, der auf Ihnen lastet, gaben Sie allem Anschein zu Ostern in Wien nach. Zwei Mal hatten Sie den Parsifal krankheitshalber abgesagt, die dritte Vorstellung dann jedoch gesungen, obwohl Sie sich, wie ich hörte, immer noch nicht wohl gefühlt hatten.

KAUFMANN: Ich wollte unbedingt diese dritte Vorstellung singen. Aber es war schwierig. Ich hatte im ersten Akt einen Kreislaufzusammenbruch. Deshalb habe ich mich in der Gralsszene dann auch in die Ecke ans Portal gesetzt und war erst mal weg. Zum Ende des Akts ging's dann wieder. Ja, vielleicht habe ich mich auch ein bisschen zu früh hinausgewagt, aber auf der anderen Seite ist es so: Für jede Aufführung, die ich absage, werde ich kritisiert, weil es natürlich immer enttäuschte Leute gibt.

BÜHNE: Sie singen ein unglaublich breites Repertoire. Allein in diesem Jahr haben Sie es um Parsifal und Manrico erweitert, wozu nun im Herbst noch der Dick Johnson und im Dezember Ihr erster Alvaro in München kommen. Andere Sänger begnügen sich mit einer Handvoll Partien, die sie landauf, landab bedienen.

KAUFMANN: Ich habe großen Respekt vor Künstlern wie Alfredo Kraus, die sich ihr ganzes Leben mit einer Handvoll Partien motivieren konnten. Ich könnte das nicht. Ich verspüre eine große Neugierde für neue Stücke und neue Charaktere. Die ist fast nicht zu stillen. Das ist auch etwas, was mich antreibt, was mir immer wieder neu die Freude an dem Beruf erhält. Ich fürchte mich vor dem Tag, an dem mir langweilig ist.






 
 
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