A-, das hohe
Für Tenöre
ist normalerweise das hohe C der Gipfel, bei Wagner ist es das A. Der
Heldentenor, der eine breite und kräftige Stimme hat, ist nicht
unbedingt auch ein Ritter vom hohen C. Einen Ton im Zimmer zu erwischen
heißt noch nicht, dass man ihn auch auf der Bühne singen kann. Beim
hohen A fällt einem sofort der Lohengrin ein, von der Gralserzählung bis
zum magischen »Elsa, ich liebe dich«.
B-elcanto
Man denkt sofort an Bellini, den
Vorreiter des Belcanto, und nicht an Wagner: Sollte man aber, Wagner war
ein großer Bellini-Verehrer! Und er predigte den Belcanto - Belcanto im
Wortsinn: Schöngesang. Es soll eine Weichheit, Wärme, Schönheit im Klang
entstehen. Da, wo Wagner für Sänger und Orchester piano oder pianissimo
schreibt, muss man das versuchen. Ich verstehe mich, gerade im
Wagner-Fach, auch als Belcanto-Sänger.
C-Ds
Die großen
Studio-Einspielungen stammen aus den fünfziger und sechziger Jahren.
Heute werden aus Kostengründen keine mehr produziert. Ein Drama? Nein.
Schade? Natürlich. Die heutige Sängergeneration hat nicht dieselben
Chancen wie damals.
D-eutsche,
das
Zunächst mal: Ich bin Deutscher. Es macht einen Unterschied, ob
man schon als Dreijähriger zu Hause Wagner hört oder nicht. Auf der
anderen Seite hat das Deutsche bei Wagner immer einen schalen
Beigeschmack: Der Missbrauch im »Dritten Reich« ist einfach nicht
wegzudenken.
E-ule,
die
Das wunderbare Traditionsgasthaus am Marktplatz in Bayreuth! Seit
1876, dem Gründungsjahr der Festspiele, trifft sich dort der harte Kern
der Wagnerianer nach der Vorstellung. Wer will, kann an den signierten
Künstlerporträts, die die Wände zieren, so etwas wie eine Krise des
Wagner-Gesangs ablesen: Seit 1960 ist kaum ein neues Sängerbild
hinzugekommen. Ob ich in der Eule hänge? Ich weiß es gar nicht.
F-orte
Den Zuhörern
fallen im Lohengrin immer nur die lauten Stellen auf - das alte
Wagner-Lied. Dabei schreibt er so oft piano und pianissimo! Wagner ist
berühmt für sein Forte und wird unterschätzt für seine Piani. Dabei
werde ich gerade auf die leisen Stellen im Lohengrin angesprochen: auf
die »Taube« in der Gralserzählung und auf »Mein lieber Schwan«.
G-ralserzählung
Ein
rätselhafter Text! In meiner Interpretation findet hier ein Umschwung
statt: Aus Zorn und Anklage werden Scham, Depression und Verzweiflung.
Lohengrin weiß, dass er selber Schuld trägt. Im Liebesduett hat er sich
in seine Gefühle hineingesteigert, hat geprahlt und gedrängt, er wollte
diese Frau unbedingt für sich einnehmen. Nun bedauert er, dass er das
Volk nicht in den Krieg führen kann, aber er bedauert vor allem, dass er
Elsa lassen muss. Es ist kein heldisches Stück. Die Trauer macht die
Gralserzählung so zerbrechlich.
H-eldentenor
Wagner-Opern sind bevölkert von Helden: Siegfried, Tristan, Lohengrin.
Uns interessiert heute nicht mehr so das Makellose des Heldenimages,
sondern das Gebrochene. Ein Siegmund, der Inbegriff des Recken und
Kämpfers, ist, wenn er in der Walküre vor Hundings Hütte erscheint,
schlichtweg am Ende. Wenn er dann plötzlich so weich wird, schmachtet
und von den Frauen erzählt: wunderbar. Wagner hat sich immer für den
Menschen in seinen Heldenfiguren interessiert.
I-talianità
Da müssen wir gleich
wieder vom Lohengrin sprechen: Das ist Wagners italienischste Oper. Hier
sind alle Melodien lieblicher, weicher, umflorter, bis in die Chöre
hinein. Auch Verdi hat gesagt: Sein Wagner ist Lohengrin. Ich habe mir
viele Wagner-Aufnahmen auf Italienisch und Französisch angehört. Wie
sehr diese Italianatà das Stück verändert! Ein Lohengrin, auf
Italienisch gesungen, klingt wie eine italienische Oper.
J-oseph Alois Tichatscheck
Der
Tenor, der zu Wagners Lebzeiten sang: Er soll über überirdische
Stimmkräfte verfügt haben. Zum Meister selbst soll Tichatschek gesagt
haben: »Lieber Richard, den Tannhäuser sing ich dir auch zwei Mal am
Tag.« Tichatschek, so lautet eine These, soll Wagner dazu verleitet
haben, das Leistungsvermögen seiner Sänger zu überschätzen, woraufhin er
nach dem Rienzi und dem Tannhäuser einige Partien schrieb, die als
unsingbar gelten.
K-onsonanten
Ein schwieriges Kapitel. Landläufig heißt es: Je deutlicher, härter,
gespuckter die Konsonanten, desto besser versteht man den Text.
Ausländer werden gedrillt, die Konsonanten zu spucken, denn das sei
typisch deutsch. Mitnichten! Ein Konsonant darf natürlich nicht
verschluckt sein. Aber: Je echter der Vokal, desto leichter ergänzt das
Ohr den Konsonanten. Habe ich nur den Konsonanten, dann ist das nur ein
»Wrzlpfrmpf«: Gespucke und Gegurre. Wagner aber hat sich gewünscht, dass
sein Text auf seinen Harmonien perlt. Also Vorsicht bei den Konsonanten!
L-auritz Melchior
Die Tenorlegende des letzten Jahrhunderts, seine »Wälse«-Rufe in der
Walküre (live 15 Sekunden lang!) sind unerreicht. Taugt er zum Vorbild?
Der Däne soll den Spitznamen »das singende Sofa« getragen haben. Sicher
waren die darstellerischen Anforderungen an einen Sänger zu seiner Zeit
nicht so hoch wie heute. Da hat man toleriert, dass einer unbeweglich
auf der Bühne stand, wenn er nur gut sang. Heute würde man das nicht
mehr hinnehmen.
M-essa
di voce
Hierbei geht es um die gesunde Mischung der Stimmfarbe,
darum, die Stimme, die zwischen Bruststimme und Kopfstimme changiert,
richtig zu platzieren, um den Ton an- und abschwellen lassen zu können.
Im Wagner-Gesang von großer Wichtigkeit, vor allem in den
rezitativischen Passagen.
N-ie
sollst du mich befragen
Das berühmte Frageverbot im Lohengrin. Ich
möchte es ganz einfach formulieren: Alles, was man verbietet,
reizt
ganz besonders. Für Elsa muss das ein ziemlicher Schock sein: Sie hat
sich diesen Mann, der für
ihre Unschuld eintritt, herbeigesehnt und
fantasiert, sie war sicher, dass er sie retten wird. Und
nun steht
der Schwanenritter vor ihr und sagt: »Dass du mich ja nicht fragst, wo
ich herkomme!«
O-sink
hernieder, Nacht der Liebe
Das Liebesduett im zweiten Aufzug des
Tristan. Wobei der dritte Aufzug die eigentliche stimmliche
Überforderung darstellt: unheimlich tiefgründig, psychologisch
phänomenal interessant, aber kaum durchzuhalten. Der Tenor muss 50
Minuten am Stück singen. Es gibt keine Pause. Die Krux: Der Tristan muss
beides haben, die stählerne, unverwüstliche Stimme für den dritten
Aufzug - und die Weichheit für das Liebesduett.
P-iano
Der Kontrast zum Forte.
Und nur ein wirkliches Piano lässt ein Forte richtig strahlen. Wagner
ist, gegen alle Gerüchte, ein Komponist der leisen Stellen.
Q-ual, süße
Ein
typisches Text-Paradoxon. Bei Wagner, dem genialen Wortschöpfer,
bedeutet es: Vorgefühl des höchsten
Glücks der Zustand zwischen
»nicht mehr« und »noch nicht«. Die Suche nach Erlösung. Die Musik dazu
ist oft weder Dur noch Moll zuzuordnen.
R-eflux
Eine typische
Sängerkrankheit. Ursache ist neben Stress und falschen Essgewohnheiten
vor allem die sogenannte Hernie. Beim Singen wird das Zwerchfell stark
eingesetzt. Dabei drückt es sich nach unten, quetscht Magen und Gedärme:
Der Lunge soll möglichst viel Raum gegeben werden, um die Luftsäule, die
sich zwischen Kehlkopf und Zwerchfell bildet, möglichst lang zu halten
und einen möglichst großen Ton zu erzeugen. Dieses ständige
Nach-unten-Drücken führt dazu, dass der Magenausgang sich zwischen dem
Zwerchfellgeflecht nach oben schiebt. Das wiederum behindert den
Ringmuskel, der die Speiseröhre zum Magen hin abschließt. Sodbrennen
entsteht. Man kann das operieren lassen, was auf Dauer aber nichts
bringt. Ich habe einen Osteopathen, der mir meinen Magen wieder an die
richtige Stelle schiebt. Das ist zwar schmerzhaft, hilft aber.
S-ängerdämmerung
Die
alte Klage, dass es keine brauchbaren Wagner-Tenöre mehr gibt. Also, ich
weiß nicht. Wenn man Kritiken aus den vermeintlichen Glanzzeiten liest,
heißt es da auch schon: Wir haben keine großen Stimmen mehr. Die Zeit,
in der die Oper ein Straßenfeger war, ist vorbei. Vor dem Aufkommen von
Kino und Fernsehen wurden Opernsänger ja wie Hollywoodstars gehandelt.
Was ich viel wichtiger finde: Durch die Verstärkung des Orchesterklangs
erleben wir eine Verschiebung in den Besetzungen. Der Mozart-Sänger von
früher ist der Rossini-Sänger von heute, der Verdi-Sänger von früher ist
der Mozart-Sänger von heute, der Wagner-Sänger von früher ist der
Verdi-Sänger von heute. Was ist dann, um Himmels willen, der
Wagner-Sänger von heute? Nicht die stimmlichen Kapazitäten fehlen - die
Ansprüche sind enorm gewachsen.
T-extverständlichkeit
Das Geheimnis ist nicht nur, dass man deutlich singt und spricht; viel
wichtiger ist, dass man wirklich weiß, was man singt, und das auch
empfindet. Meine Erfahrung ist: In dem Moment, in dem ich den Text
wirklich gestalte und empfinde, also ausfülle mit Emotionen, versteht
man mich auch. Eine Ausrede für die mangelnde Pflege der
Textverständlichkeit sind sicher die Übertitel, die heute in jedem
großen Opernhaus mitlaufen.
U-nterleib
Man atmet immer in diese Richtung. »Singen mit dem Unterleib« oder
»Singen mit Leibanschluss«, auch so ein altdeutscher Ausdruck, den ich
klasse finde - das bedeutet, dass der ganze Körper zur Verstärkung des
Klanges, der im Zwerchfell erzeugt wird, beiträgt. Singen mit dem
Unterleib ist auch ein Interpretationskonzept: Der Ton klingt voller,
männlicher.
V-erschleiß
Ein Naturgesetz. Ganz davor schützen kann sich kein Sänger. Es gibt
Erschöpfungsanzeichen, die sich plötzlich bemerkbar machen: Man muss
seine Stimme überreden, braucht morgens länger, um sich warm zu machen.
Mein Konzept dagegen lautet, dass ich nach Wagner, gewissermaßen zur
Erholung, immer wieder Mozart, Verdi und das klassische Lied gesungen
habe. Das schlimmste Erschöpfungssymptom wäre, dass man abends keine
Lust mehr hat, auf die Bühne zu gehen.
W-olfgang Windgassen
Der
Inbegriff des Wieland Wagnerschen Heldentenors: eine Ikone des modernen
Wagner-Gesangs. Schade,
dass es nur so wenige Filmdokumente mit ihm
gibt, zur Beurteilung seiner Wirkung auf das Publikum reichen die
Mitschnitte und Studio-Aufnahmen nicht aus. Menschen, die Windgassen auf
der Bühne gesehen haben, schwärmen heute noch mit glühenden Wangen und
Ohren.
X, das große
Dahinter verbirgt sich die Zukunft des Wagner-Gesangs. Man möchte heute
das Gesamtkunstwerk sehen, also nicht nur Schöngesang, sondern den
interpretierenden Sänger. Regie ist wichtiger geworden. Sänger
beschäftigen sich mit jeder Textzeile, versuchen neue Zwischentöne zu
entdecken. Daraus entsteht auch musikalisch eine neue Differenziertheit.
Es geht mehr denn je ums Interpretieren statt ums Zelebrieren der
Wagnerschen Musik.
Y-oga
Jeden Morgen, ganz sicher aber bevor ich meine Stimme anfasse, mache ich
die Fünf Tibeter. Eine herrliche Erweckung von Atem, Körper und Geist.
Z-igarette
Meine
letzte Zigarette ist lange her: Ende der Schulzeit, Anfang des Studiums.
Baritone und Bässe stecken den Qualm offensichtlich besser weg als wir
Tenöre. Der kürzlich verstorbene Dietrich Fischer-Dieskau hat sich vor
jedem Auftritt eingeraucht: ein letztes Mal gezogen und raus auf die
Bühne. Für mich haut das nicht hin. Meine Lunge verzeiht keine
Zigarette.