Wien. Den Liederabend am vorigen Sonntag musste er krankheitshalber
absagen - doch an diesem Samstag wird ihn Wien wohl bejubeln können:
Jonas Kaufmann, einer der hellsten Sterne auf dem Tenorhimmel, ist für
die erste Staatsopernpremiere der Saison gebucht - Puccinis "La
fanciulla del West" ("Das Mädchen aus dem goldenen Westen"). Der
deutsche Beau gab der "Wiener Zeitung" im Vorfeld ein E-Mail-Interview -
und zeigt sich in schriftlicher Form schon wieder vital.
"Wiener Zeitung": Als Fan der Abwechslung dürften Sie Ihre Freude an "La
fanciulla" haben. Aber hat es nicht Gründe, dass diese Oper von 1910 so
selten gespielt wird - zum Beispiel fehlende Ohrwürmer?
Jonas Kaufmann:Das ist mit Sicherheit ein Grund!
Eigentlich hätten die beiden großen Tenor-Szenen die Chance gehabt, ein
Hit zu werden - wenn Caruso sie denn aufgenommen hätte! Doch ohne die
weltweite Verbreitung via Schallplatte blieb "Fanciulla" doch eher eine
Oper für Kenner und Liebhaber. Aber was für eine!
Das
Stück schwelgt lustvoll in Western-Elementen, es bietet Banditen, eine
Horde, eine Bar et cetera. Mögen Sie Western? Und macht’s Ihnen Spaß,
einen Banditen zu spielen? Viele Menschen kommen ja nur im Kindesalter
in diesen Genuss.
Als Kind habe ich all die
Western-Klassiker mit John Wayne und Robert Mitchum gebannt am Fernseher
verfolgt. Das hat sich inzwischen etwas gelegt. Was den "Banditen" bei
Puccini betrifft: Ich sehe Dick Johnson als einen Mann, der auf die
schiefe Bahn geraten ist. Hätte es in seiner Kindheit so etwas wie El
Sistema (Musikschulwerk in Venezuela, Anm.) gegeben, wäre er
wahrscheinlich ein erstklassiger Musiker geworden! Welches Potenzial in
ihm steckt, hat Puccini wunderbar herausgestellt: Um zu zeigen, dass
dieser Fremde ganz anders ist als die Goldgräber, denen die Wirtin
Minnie eine mütterliche Freundin ist, hat er ihm ein musikalisches
Profil gegeben, das sich von allen anderen deutlich abhebt: Wir hören da
keinen kleinen Banditen, sondern einen weltgewandten Mann.
In München standen Sie heuer im Zentrum einer skurrilen
War-das-jetzt-ein-hohes-C-oder-nicht?-Debatte. Ihr Kommentar dazu: So
ein Detail (die diskutierte Arie wird öfter transponiert gesungen) hätte
früher niemanden interessiert, doch heute "will man in jeder Suppe ein
Haar finden". Sie beschwerten sich auch einmal über Leute, die während
der Vorstellung gegen die moderne Regie pöbelten. Empfinden Sie das
Publikum öfter als schwierig?
Das waren zwei Paar
Schuhe. Die Frage nach dem hohen C beim Münchner "Trovatore" wurde von
Journalisten aufgeworfen, die Sorge hatten, bei der Angabe des
Spitzentons etwas Falsches zu schreiben. Dass daraufhin wieder die
besagte Debatte losging,daswar’s, was mich genervt hat. Im anderen Fall
ging es, wie Sie richtig sagten, um ein pöbelndes Publikum, 2003 bei der
"Entführung" in Salzburg. Als manche Leute meinten, uns mit
Zwischenrufen aus dem Konzept bringen zu müssen, ist mir einfach der
Kragen geplatzt. Dazu stehe ich heute noch. Ich kann und muss als Sänger
eine Menge hinnehmen. Aber keine Prügel, die für den Regisseur bestimmt
sind.
Sie sagten in einem Interview, dass Ihre "nächsten
zehn Jahre abwechslungsreich werden". Planen Sie tatsächlich so weit im
Voraus? Und welche Rollen wollen Sie sich noch unbedingt erarbeiten?
Als Sänger sind Sie gezwungen, viel weiter im Voraus zu planen, als
Ihnen lieb ist. Es ist ja fast pervers, wenn Sie heute schon wissen, was
Sie am 5. Oktober 2018 tun werden. Aber so ist nun mal der Opernbetrieb.
Und wenn ich schon so langfristig planen muss, möchte ich doch
versuchen, dass mein Berufsalltag so abwechslungsreich wie möglich
bleibt. Außerdem gibt’s noch einige Partien auf meiner Wunschliste, ganz
oben Hoffmann und Otello. Aber mit Letzterem werde ich mir noch ein paar
Jahre Zeit lassen - was mir nicht leicht fällt, nachdem ich im Frühjahr
zwei Soloszenen für mein Verdi-Album aufgenommen habe. Da bin ich derart
in den Sog der Musik geraten, dass ich am liebsten gleich die ganze
Partie gesungen hätte.
Eine Frage, die Sie nicht zum
ersten Mal hören: Stricken Sie Ihr Terminkorsett womöglich zu eng und
müssen deshalb mitunter absagen - wie zuletzt im Wiener Musikverein?
Natürlich könnte man grundsätzlich sagen: Wer zu viel singt, wird
häufiger krank. Doch viel entscheidender als die bloße Anzahl der
Auftritte ist die Frage: Kann ich mich zwischen den Auftritten erholen?
Und genau das lässt sich nicht planen. Ein Beispiel: In München bin ich
zwischen zwei Vorstellungen von "Il trovatore" für einen erkrankten
Kollegen als Lohengrin eingesprungen - und mir ging es nach der
Aufführung fast besser als vorher. Umgekehrt gibt es Situationen, wo ich
trotz längerer "Auszeit" anfällig bin für Infekte - so wie neulich in
Wien. Was will man da machen? Den Liederabend singen, obwohl einem der
Arzt dringend abgeraten hat? Und damit womöglich die Neuproduktion der
"Fanciulla" gefährden? Wäre unverantwortlich gewesen, und drum habe ich
abgesagt. In angeschlagenem Zustand zu singen ist der Stimmenkiller
Nummer eins!
Und Singen ist nun mal ein Hochleistungssport. Nur
werden wir leider in der Öffentlichkeit ganz anders wahrgenommen als
Sportler. Wenn sich ein Fußballer einen Muskelriss zuzieht, hat er das
kollektive Mitleid einer ganzen Nation. Wenn aber ein Sänger absagt,
heißt es entweder: Ach, diese Mimosen! Oder: Hat sich wohl wieder
übernommen! Ich will um Gottes willen nicht bemitleidet werden, aber
etwas mehr Verständnis anstelle der üblichen Vorurteile wäre
wünschenswert.