Wiener Staatsoper, Prolog, Oktober 2013
Andreas Láng
 
Gespräche mit den drei Fanciulla-Hauptsängern 
 
Ausschnitt
 

Eine Musik, die süchtig macht

Fanciulla ist ja im Vergleich zu anderen Puccini-Opern weniger gefällig, wie Heinrich Mann es formulierte. Die Partitur strotzt also nicht vor Ohrwürmern. Ist dieser Zwischenapplaus-reduzierende Umstand für einen Sänger nicht abschreckend?

Jonas Kaufmann: Überhaupt nicht! Für mich ist La fanciulla del West eine der musikalisch reichsten Opern, die Puccini geschrieben hat! Ich bin immer wieder fasziniert von all den Farben und Facetten der Musik und von der Kunst Puccinis, mit harmonischen Verschiebungen eine ganz spezifische Atmosphäre zu schaffen. Nehmen Sie zum Beispiel den Schluss des ersten Aktes: Das ist eine Musik, die mich süchtig macht. Eigentlich könnte die Szene noch viel länger sein, jedenfalls geht sie mir viel zu schnell vorbei. An anderen Stellen zeigt sich Puccini einmal mehr als Meister der Architektur der großen Spannungsbögen. Wann immer man glaubt, dass es zu einer harmonischen Auflösung kommt, zieht er die Spannungsschraube noch weiter an. Schwierig ist die Fanciulla insofern, weil sie dem Regisseur nur zwei Interpretationsansätze bietet: Entweder baut man eine Western-Kulisse oder man dreht einen Film. Vielleicht ist sie deshalb weniger beliebt als andere Puccini-Opern, wo man mehr Freiheiten hat.

Anders gefragt: Fanciulla ist definitiv ein Dirigentenstück, ist es auch ein Sängerstück?

Jonas Kaufmann: Aber ja! Immerhin gibt es hier drei tolle Partien. Minnie gehört sicherlich zu den anspruchsvollsten Sopranpartien überhaupt, Jack Rance dürfte nach dem Scarpia die attraktivste Baritonpartie Puccinis sein, und meine Rolle ist weiß Gott keine undankbare, auch wenn sie nicht solch tolle Tenor-Hits zu bieten hat wie Bohème oder Tosca. Dafür hat sie andere Qualitäten. Um zu zeigen, dass dieser Dick Johnson ganz anders ist als die Goldgräber, mit denen Minnie täglich zu tun hat, hat Puccini ihm ein ganz individuelles musikalisches Profil gegeben: keinen Ganoven hören wir da, sondern einen interessanten, weltgewandten Mann – eben einen interessanten Fremden aus der Perspektive der Titelheldin. Ich freue mich sehr auf diese Rolle!

Puccini sprach in einem Interview im Zusammenhang mit der Fanciulla von einem Belcanto-Werk.

Jonas Kaufmann: Wenn man den Begriff „Belcanto“ im wörtlichen Sinne als „schönen Gesang“ auffasst, dann passt Fanciulla voll in diese Kategorie! Natürlich gehört die Oper eher zum Genre „Verismo“, allein schon wegen der berühmten Poker-Szene am Ende des zweiten Aktes, doch bei aller Charakterisierungskunst, die die drei Hauptpartien erfordern, wage ich doch zu behaupten, dass Puccini diese Oper für Sänger geschrieben hat, die nach den Regeln des klassischen Belcanto singen. Dass die Sänger der Uraufführung Emmy Destinn und Enrico Caruso waren, sagt eigentlich schon alles.

Ist die Handlung nicht bestimmten Konventionen verhaftet, die uns trivial erscheinen?

Jonas Kaufmann: Ich finde es gerade eine Stärke Puccinis, dass er das scheinbar Kleine, Unbedeutende und Triviale so liebevoll und gleichzeitig so differenziert in Musik umsetzt. Das ist eine Kunst für sich, und ich fände es unsinnig, die Puccini-Opern in dieser Hinsicht gegen die Gemeinschaftsarbeiten von Verdi/Boito auszuspielen.
Außerdem ist das Ganze bei näherer Betrachtung alles andere als trivial: eine Milieustudie gescheiterter Existenzen, die sich die ganze Zeit fragen müssen, wann und warum sie in ihrem Leben die Weichen falsch gestellt haben.

Bietet eine Tosca oder Butterfly größere Herausforderungen für den Sänger als die Fanciulla?

Jonas Kaufmann: Das möchte ich nicht sagen. Die Partie des Dick Johnson ist zwar nicht heldischer als ein Cavaradossi und Pinkerton, doch sind die dramatischen Ausbrüche etwas schwieriger zu bewältigen als bei den anderen Tenorrollen. Und sie hat wesentlich mehr Zwischentöne – was sie für mich besonders reizvoll macht.

Kommt dem schauspielerischen Aspekt in der Fanciulla ein größerer Stellenwert zu als beispielsweise in einer Butterfly?

Jonas Kaufmann: Ich denke, dass die Hauptfiguren in der Fanciulla durchwegs mehr Facetten haben. Pinkerton und Butterfly – das sind, pauschal gesprochen, der amerikanische Sextourist und die ausgebeutete Geisha. Minnie und Dick sind demgegenüber ungleich differenziertere Figuren und entsprechend auch vielschichtiger, was den schauspielerischen Aspekt betrifft.

Puccini hat sich bei der Fanciulla eindeutig von Pelléas et Mélisande inspirieren lassen: Merkt auch der Sänger, dass hier Debussy Pate gestanden ist?

Jonas Kaufmann: Leider hab ich bisher den Pelléas noch nicht gesungen, auch wenn mich diese Partie zwischen Tenor und Bariton durchaus reizt. Aber von außen betrachtet sehe ich auch in der Behandlung und Phrasierung der Gesangsstimmen deutliche Parallelen an einigen Stellen.

Das übliche Puccini-Personal ist eher dem Alltag entnommen. Minnie und Dick Johnson fallen da etwas heraus: Sie die Heilige und er der edle, verbesserungswillige Räuber?

Jonas Kaufmann: Eine Opern-Diva, die einen Tyrannen ersticht; eine Nonne, die Selbstmord begeht, weil ihr Kind gestorben ist; eine Prinzessin, die ihre Heiratsbewerber köpfen lässt, wenn sie beim Ratespiel versagen – finden Sie, dass das Figuren sind, die „dem Alltag entnommen“ sind? Und Minnie ist ja durchaus keine Heilige, sondern eine ebenso mutige wie gutmütige Frau, die ihren Jungs aus der Bibel vorliest und die schlicht und einfach den Mann rettet, den sie liebt. Und finden Sie es wirklich unrealistisch, dass ein Dieb durch die Liebe seines Lebens seine kriminelle Vergangenheit hinter sich lässt? Auch im Wilden Westen dürfte das durchaus vorgekommen sein. Vielleicht können wir uns darauf einigen, die Story der Fanciulla als romantisch-realistisch zu bezeichnen.

Fanciulla gilt als Außenseiterstück: Bekommt Jonas Kaufmann international viele Dick Johnson-Angebote? Worin lag der Reiz, das Angebot der Wiener Staatsoper anzunehmen?

Jonas Kaufmann: Die Wiener Neuproduktion ist mein Rollendebüt! Und die musikalischen Qualitäten des Stückes waren Anreiz genug, das Angebot der Wiener Staatsoper anzunehmen.






 
 
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