kulturverlag Polzer, 2013
Interview HOLGER WEMHOFF
 
Jonas Kaufmann 
 
 

’Diese Antihelden und Zerrissenen, die reizen mich viel mehr als die wirklichen Helden‘, erzählt Jonas Kaufmann im salon-Interview. Der international erfolgreiche Tenor wird bei den Salzburger Festspielen 2013 die Rolle des Don Carlo singen, unter der musikalischen Leitung von Antonio Pappano. Verdis Oper Don Carlo wurde 1867 in der Pariser Oper uraufgeführt und basiert auf Friedrich Schillers Drama Don Carlos. Es erzählt die Geschichte des spanischen Infanten Don Carlo, der in die schöne Elisabeth von Valois, Tochter von Katharina von Medici verliebt ist. Doch König Philipp II nimmt Elisabeth aus politischen Gründen selbst zur Frau und macht aus der Braut des Sohnes dessen Stiefmutter.

HOLGER WEMHOFF: Viele meinen, Verdi sei der Komponist des Volkes gewesen, Wagner eher der für die Intellektuellen. Eine richtige Kategorisierung?

JONAS KAUFMANN: Vielleicht insofern richtig, als viele Melodien von Verdi noch heute viel populärer sind als die von Wagner. La Donna e mobile kennt fast jeder, und sei es von der Pizza- Werbung im Fernsehen. Ob Wagner eher was für Intellektuelle ist, möchte ich bezweifeln. Bei den meisten seiner Bewunderer, die ich kenne, geht die Liebe zu Wagners Musik über die Emotion, nicht über den Kopf. Seine Musik wirkt oft wie eine Droge. Und deshalb kann sie genauso die Massen erreichen wie die Musik von Verdi. Man denke nur an die Szene in Apokalypse Now mit dem Walkürenritt. Oder an den Brautchor in Lohengrin, der merkwürdigerweise Generationen lang zu Hochzeiten gespielt wurde, obwohl man doch wusste, dass die Hochzeitsnacht von Elsa und Lohengrin katastrophal endet… Mit einem Satz: Auch bei Wagner gibt es immer wieder einprägsame Tunes, doch die von Verdi sind eher zum Mitsingen und somit volksnäher.

HW: In Ihrer ersten Jahreshälfte war Wagner der Schwerpunkt, in der zweiten auf jeden Fall Verdi – und mit der Wiener Neuproduktion der Fanciulla auch etwas Puccini. Eine bewusste Entscheidung oder Schedule-Gegebenheiten?

JK: Für das Jahr 2013 stand sicher die Überlegung im Raum: Konzentrieren wir uns auf Wagner und Verdi. Nicht nur, weil bei diesem Doppel-Jubiläum diverse Neuinszenierungen zu erwarten waren, sondern auch wegen der Mischung des Repertoires, die ich ja schon aus stimmhygienischen Gründen für wichtig halte. Nach Wagner hat man eine Extraportion Kraft für die Dramatik bei Verdi, und nach Verdi fällt es einem leichter, Wagner so zu singen, wie es der Komponist wollte: mit italienischem Legato.

HW: Neben dem Don Carlo in Salzburg stehen für Sie in diesem Jahr Aufführungsserien von Trovatore und Forza an, zwei Opern, an deren Textinhalten sich die Erklärenden bis heute die Zähne ausbeißen, vor allem im Falle des Trovatore. Wie würden Sie einem geneigten jungen Opernfan die Handlung dieser Oper in drei Sätzen erklären?

JK: Sopran und Tenor lieben sich. Der Bariton stört, weil er ebenfalls den Sopran liebt, und nimmt deshalb die Mutter des Tenors (Mezzo) gefangen. Wie man sich denken kann, geht diese Vierer-Konstellation nicht gut aus.

HW: Und zu der anderen großen Partie, dem Don Carlo – der ja eigentlich ein Antiheld ist, oder?

JK: Ja sicher, Carlo ist der Verdische Anti-Held schlechthin. Ein Mensch, der daran zerbricht, dass er seine große Liebe der Staatsräson opfern musste. Diese Anti-Helden und Zerrissenen, die reizen mich ja viel mehr als die wirklichen Helden. Deshalb finde ich es auch gut, den Lohengrin nicht als strahlenden Helden und Retter darzustellen, sondern als Menschen in einer Konfliktsituation, für die es keine Lösung gibt.

HW: Den Intendanten der Salzburger Festspiele Alexander Pereira kennen Sie ja schon seit weit über zehn Jahren. Er war einer der Ersten, der Sie für große Produktionen gerufen hat, und es jetzt – als Festspielleiter in Salzburg – bis heute tut. Können Sie dieses besondere Verhältnis beschreiben?

JK: Es ist ein fast familiäres Verhältnis, insofern, als ich ja einige Jahre zu Pereiras Theater-Familie in Zürich gehörte. Die Zürcher Oper war das Mutterschiff, von dem ich zu internationalen Engagements startete. Und ich bin immer wieder gern zurückgekommen, nicht zuletzt wegen Pereira, der ja einer meiner ’Entdecker‘ war und der einen wichtigen Abschnitt meiner Laufbahn als Mentor begleitet hat.

HW: Sie sollen ja ein ausgesprochener Technikfreak sein. Wie praktisch macht sich das in Ihrem Alltag bemerkbar?

JK: Zum Beispiel bei allem, was mit Computern zu tun hat. Wenn da etwas klemmt mit der Technik, muss ich mich, Gott sei Dank, nicht erst groß einlesen, sondern kann das Problem meist ziemlich schnell lösen. Ich lege auch gern bei allem selbst Hand an, ob der Mac aufgerüstet, die Waschmaschine zum Laufen gebracht werden muss oder das iPhone meiner Tochter mal wieder einen gesprungenen Bildschirm hat.

HW: Opernsänger und Genussmensch. Passt das nach heutigen Maßstäben – auch was die Erwartungen an die Optik eines Opernstars angeht – überhaupt noch zusammen? Wie sehr müssen Sie auf die richtige Ernährung achten und welchen evtl. Einfluss hat diese auf den Zustand Ihrer Stimme?

JK: Wenn man sich, wie beim Parsifal an der Met, oben ohne präsentieren muss, dann sollte man als Genussmensch schon darauf achten, dass die Prinzenrolle optisch nicht zu sehr hervorsticht, dann muss man halt 'ne Weile kürzer treten. Von Kaffee und Süßem abgesehen ernähre ich mich aber ziemlich gesund, schon deshalb, weil ich das Reflux-Problem habe – eine typische Sängerkrankheit, die durch den starken Einsatz des Zwerchfells entsteht und zu Sodbrennen führt. Da muss man sehr aufpassen, was man am Abend isst und trinkt, sonst kann einem der Rückfluss der Magensäure über Nacht sehr zu schaffen machen und im schlimmsten Fall auch die Bronchien angreifen.

HW: Und noch eine Ihrer großen Leidenschaften sind Filme. Lieber Kino oder doch eher Heimkino? Und können Sie vielleicht zwei, drei Lieblingsfilme der letzten 12 Monate nennen?

JK: Der letzte James Bond hat mich beeindruckt. Jeder neue Film in dieser Serie hat es ja besonders schwer, weil der Erwartungsdruck nach so vielen Erfolgen immens ist. Also Chapeau vor Daniel Craig und auch vor Adele für diesen grandiosen Titelsong. Aber auch Filme mit historischem Background finde ich faszinierend, wie kürzlich Spielbergs Lincoln. Natürlich muss ich auch Reklame in eigener Sache machen: Unsere Tosca aus London sollte man als Opernfan nicht verpassen.

HW: Können Sie sich nicht auch vorstellen, mal eine Rolle in einem Film zu übernehmen? Jeder Sänger ist doch auch gleichzeitig Schauspieler.

JK: Das würde ich liebend gern tun. Und am liebsten einen reinen Film, also nur als Schauspieler agieren, nicht als sprechender Sänger. Aber das Problem ist die Planung: Wir Opernsänger wissen ja heute schon, was wir im Herbst 2017 machen. Und wenn dann ein Angebot reinkommt für 2015, wäre die fragliche Zeit sicher schon längst besetzt. Und ich kann mir ja nicht jedes Jahr zwei Monate freihalten für den Fall, dass vielleicht ein Film- Angebot kommt. Aber es gibt ja auch glückliche Fügungen, schau’n wir mal.

Jonas Kaufmann
‘These antiheroes and broken figures appeal much more to me than the true heroes,’ explains Jonas Kaufmann in the interview with salon. The internationally successful tenor will sing the role of Don Carlos at the Salzburg Festival in 2013, under the musical direction of Antonio Pappano. Verdi’s opera Don Carlos premiered in the Paris Opera in 1867 and is based on Friedrich Schiller’s drama Don Carlos. It tells the story of Spanish infante Don Carlos, who is in love with the beautiful Élisabeth de Valois, daughter of Caterina de’ Medici. But King Philipp II marries Élisabeth himself for political reasons, turning his son’s bride into his stepmother.

HOLGER WEMHOFF: Lots of people feel that Verdi was a composer of the people, whilst Wagner was more for intellectuals. Is that categorisation correct?

JONAS KAUFMANN: Perhaps correct inasmuch as lots of Verdi’s melodies are still more popular than those of Wagner, even today. Almost everyone is familiar with La Donna è mobile, even if only from the pizza advert on the television. I would not claim that Wagner is more for intellectuals, though. In the case of most people I know, the love for Wagner’s music goes through their heart, not their head. His music often has a drug-like effect. And, because of that, it can reach the masses just as well as Verdi’s music does. Just think about the scene in Apocalypse Now when they play The Ride of the Valkyries, or the bridal choral from Lohengrin, which – funnily enough – has been played for generations at weddings despite the fact that everybody knows that Elsa and Lohengrin’s wedding night ends in catastrophe... To sum it up: Amongst Wagner’s works, there are also a couple of catchy tunes, but Verdi is better to sing along to and therefore closer to the people.

HW: In your first half year, Wagner was the focus, but it was definitely Verdi – and, with the Vienna new production of La fanciulla del West, a bit of Puccini, too – in the second half. Was that a conscious decision or dictated by the schedule?

JK: For 2013, there was definitely the consideration: Should we concentrate on Wagner and Verdi? Not only because various new productions are to be expected in this double jubilee year, but also due to the composition of the repertoire, which I consider important for the sake of the singers’ voices. After Wagner, you have an extra burst of energy for Verdi’s drama, and it is easier to sing Wagner like the composer intended after singing Verdi: with Italian legato.

HW: In addition to Don Carlo in Salzburg, this year you have performance series of Il Trovatore and La forza del destino, two operas the texts of which are still a difficult nut to crack for those who attempt to explain them, above all in the case of Il Trovatore. How would you explain the plot of this opera to an interested young opera fan?

JK: The soprano and tenor love each other. The baritone interferes because he also loves the soprano and therefore kidnaps the tenor’s mother (mezzo). As is to be expected, this four-person constellation does not end well.

HW: And moving on to the next major part, Don Carlo, who is actually an antihero, isn’t he?

JK: Yes, of course. Don Carlo is Verdi’s antihero without a doubt. A man who crumbles, since he has to sacrifice his great love to the reason of state. These antiheroes and broken figures appeal much more to me than the true heroes. I therefore think it is good not to portray Lohengrin as a shining hero and saviour, but rather as a man in a conflict that has no resolution.

HW: You have known Alexander Pereira, the Director of the Salzburg Festival, for far more than ten years now. He was one of the first to call you for great productions, and now – as Festival Director in Salzburg – he continues doing it. Could you describe this special relationship?

JK: It is almost a family relationship inasmuch as I belonged to Pereira’s theatre family in Zurich for a couple of years. The Zurich Opera was the mother ship I took off from for international engagements. And I always enjoyed going back, because of Pereira, too, who was one of my discoverers and who accompanied me as a mentor through an important part of my career.

HW: You are allegedly a real technology freak. How noticeable is that in your everyday life?

JK: For example, regarding everything that deals with computers. If there is a glitch in something technical, I do not have to read up a lot, thank goodness, but can normally solve the problem quickly. I am handy with everything, whether I have to upgrade a Mac, fix a washing machine or deal with my daughter’s iPhone display being broken again.

HW: Opera singer and connoisseur. Are those things still compatible according to today’s standards – also in terms of the expectations concerning an opera star’s appearance? How closely do you have to pay attention to good nutrition and what influence does your nutrition possibly have on your voice?

JK: When you have to perform without a shirt, like in Parsifal at the Met, then as a connoisseur you should make sure that the biscuits you have eaten do not stand out optically and you should cut back for a while. Aside from coffee and sweets, I have a quite healthy diet, in particular because I have the reflux problem, a typical ailment amongst singers that is caused by the intensive use of the diaphragm and leads to heartburn. You have to be careful about what you eat and drink in the evenings or the reflux of stomach acid can get to you overnight and, in the worst case, even affect your bronchi.

HW: And another great passion of yours are films. Do you prefer going to the pictures or watching something at a home cinema? And could you perhaps tell us two or three of your favourite films over the last 12 months?

JK: The last James Bond film was impressive. It is especially difficult for each new film in this series, since the expectations after so many successes are extremely high. So, I take my hat off to Daniel Craig, and also to Adele for the excellent theme song. But I also find films with a historical background fascinating, like Spielberg’s recent release Lincoln. Of course, I have to do some advertising for myself: No opera fan should miss our Tosca from London.

HW: Could you also imagine taking on a role in a film? After all, every singer is also an actor.

JK: I would love to do that. And preferably in a real film, meaning as an actor, and not as a talking singer. But the problem lies in the planning: We opera singers already know today what we will be doing in the autumn of 2017. And when an offer for 2015 comes in, the time in question would definitely already be booked. And I cannot keep two months of every year free in case I am offered a film role. But there are also fortunate coincidences, so let’s see.






 
 
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