Ihre Recitals im Großen Musikvereinssaal sind keine
Soloperformances mit Liedbeiwerk, sondern ganz dezidiert: Liederabende!
Dahinter steckt ein Bekenntnis zur Kunstform des Lieds, die es immer
schwerer zu haben scheint. Wenn es die „Krise" des Liederabends denn
gibt, was könnten die Ursachen sein? Schwindender Sinn für Poesie? Oder
anders herum gefragt: Weshalb brauchen wir heute das Lied?
Das Genre „Liederabend" hatte es immer schwerer als andere
Musik-Genres; selbst zu Zeiten von Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth
Schwarzkopf, Janet Baker und anderen Lied-Ikonen fiel ein „reiner
Liederabend" eher in die Kategorie „special interest", und die Menschen,
die sich auf Hochburgen des Liedgesangs wie Wigmore Hall, Musikverein
und Schubertiade getroffen haben, waren immer schon eine ganz besonderes
Klientel. Dennoch ist nicht zu leugnen, dass das Publikum für
Liederabende in den letzten 50 Jahren kleiner geworden ist; da merkt man
halt ganz deutlich das oft zitierte allmähliche Aussterben des
Bildungsbürgertums. Für die Oper kann man leichter ein neues Publikum
gewinnen, sei es durch populäre Sänger wie Anna Netrebko, sei es durch
spektakuläre Inszenierungen. Die Liebe zum Liedgesang setzt mehr Bildung
voraus, Kenntnis von Literatur und Poesie. Verknappt könnte man sagen:
Zur Oper kommt man via Emotion, Sinnlichkeit und Glamour, zum Lied eher
über Bildung und Intellekt. Was natürlich nicht heißt, dass beim Lied
die Emotion eine untergeordnete Rolle spielt. Aber sie ist oft feiner,
differenzierter und ambivalenter als in der Oper, weniger plakativ. Die
starken Reize einer „Salome" und „Elektra" werden immer wirken, auch bei
Hörern, die nichts von Oscar Wilde oder Hugo von Hofmannsthal wissen.
Bei der „Dichterliebe" und den großen Lied-Zyklen Schuberts scheint mir
mehr Vorbereitung oder auch Vorbildung nötig zu sein, um das Wesentliche
dieser Werke zu erfassen. Das wiederum beantwortet indirekt den letzten
Teil Ihrer Frage: Weshalb brauchen wir heute das Lied? Wir brauchen es
schon deshalb, damit uns der Zugang zur Poesie nicht völlig
verlorengeht.
Müssen wir uns für den "Liederabend" neue
Formen und Formate einfallen lassen?
Je größer die
Vielfalt der Formen und Formate, desto besser. Ich fände es sehr gut,
wenn es mehr Alternativen gäbe zum klassischen Liederabend, ruhig auch
mehr Mischformen von Gesang und Rezitation wie seinerzeit beim
„Rilke-Projekt" auf CD.
In dem Buch, das Thomas Voigt
über Sie und mit Ihnen herausgebracht hat, sprechen Sie vom „beseelten
Gesang" und davon, dass er „heute kaum noch gefördert wird". Wie wäre er
wirklich zu fördern?
Gute Frage! Wenn ich die Sänger aus
der Generation meiner Eltern höre, dann habe ich den Eindruck: Die
meisten hatten keine Probleme, ihre ganze Seele in den Gesang zu legen.
Denken Sie zum Beispiel nur an Elisabeth Grümmer oder an Fritz
Wunderlich! Das sind für mich Synonyme für „beseeltes Singen"! Derart
sein Inneres nach außen zu tragen setzt aber voraus, dass man allen drei
Dimensionen — Körper, Geist und Seele — dieselbe Aufmerksamkeit schenkt.
Und das scheinen viele verlernt zu haben. Etwas für Körper und Geist zu
tun ist ihnen selbstverständlich. Aber fragen Sie mal junge Sänger, wie
viel Zeit sie für den seelischen Anteil des Singens investieren. Dann
werden sie meist angeguckt wie ein Auto. Will sagen: Die erste Maßnahme
der Förderung wäre, dass man ein Bewusstsein dafür schafft, dass keiner
der drei Bereiche zugunsten des anderen vernachlässigt werden sollte
bzw. dass die Balance dieser drei essenziell ist.
„Kann
es sein", werden Sie in dem besagten Buch gefragt, „dass Ihnen Verdi,
Puccini und die Veristen näher liegen als die Musik von Richard Wagner?"
Und Ihre Antwort lautet da: „Emotional, ja". — Falls es bis heute so
geblieben ist: Wie würden Sie diesen unterschiedlichen emotionalen
Zugang bzw. diese unterschiedliche emotionale Wirkung beschreiben?
Ich möchte heute die Antwort dahingehend modifizieren, dass mir
Verdi und Puccini menschlich näher stehen als Wagner. Aber wie heißt es
so schön in „Capriccio" von Richard Strauss? „Du musst den Menschen vom
Werke trennen." Und mit Blick auf die Werke kann ich nur sagen: Zum
Glück muss ich mich nicht für einen Komponisten entscheiden, im
Gegenteil: Für mich ist es gerade ein besonderer Reiz, dass ich im
Verdi- und Wagner-Jahr 2013 immer wieder wechseln kann — was durchaus
auch zu emotionalen Wechselbädern führt. Als ich während der
„Parsifal"-Serie in New York den Manrico in Verdis „Troubadour"
vorbereitete, war ich derart begeistert von dieser Musik, dass ich nur
noch Verdi singen wollte. Dann kam die nächste „Parsifal"-Vorstellung an
der Met: Fünf Stunden tauchte ich ein in diesen Kosmos, vergaß alles
andere rundherum und glaubte, das Größte und Beste gefunden zu haben.
Und so ging das hin und her, Wechselbäder der Gefühle über Wochen.
Sie fragten nach der unterschiedlichen emotionalen Wirkung. Ich denke,
bei den italienischen Opernkomponisten geht einem die Musik ins Herz,
bei Wagner wirkt sie wie eine Droge. Wagners Musik hat einen
unglaublichen Sog, und deshalb kann sie genauso die Massen erreichen wie
die Musik von Verdi und Puccini.
Darf ich noch etwas hei
diesem Buch bleiben, bei Jonas Kaufmann sozusagen, wie er im Buche
steht. Von den Texten, die da von anderer Hand kommen, stammt einer der
schönsten, wie ich finde, von Gabriele Strehle. Sie beschreibt da auch
einen Jonas Kaufmann. der „sich immer mit Zweifeln herumgeschlagen habe
und bis heute ein Zweifler geblieben sei, trotz aller Erfolge." Stimmt
das? Wie wichtig ist für Sie der Zweifel?
Den Zweifel
halte ich für ein ganz wichtiges Korrektiv, für das notwendige
Gegengewicht zum gusseisernen Selbstbewusstsein, das man als Sänger
selbstverständlich haben muss — sonst sollte man nicht auf die Bühne.
Aber es sollte niemals in Selbstgefälligkeit umschlagen, nach dem Motto:
Egal, was ich heute mache, den Leuten gefällt's sowieso! Ein gesunder
Zweifel, gepaart mit Selbstreflexion, ist absolut notwendig für jede
künstlerische Entwicklung. Wer sich immer nur toll findet, kommt keinen
Schritt weiter.
„Ein übermütiger, anarchischer Charakter
..." So werden Sie beschrieben, wenn von Ihrer Zeit als Extrachorist am
Gärtnerplatztheater die Rede ist. Da war der Lesebleistift gleich zur
Stelle. Wie viel von diesem „anarchischen Charakter" steckt noch in
Ihnen?
„Anarchischer Charakter" ist vielleicht ein bissl
übertrieben als Begriff. Aber ich hab halt meinen eigenen Kopf und sehe
mich nicht als ausführendes Organ für die Ideen anderer. Ich setze mich
gern mit anderen Ansichten auseinander, aber bin nicht so leicht „auf
Linie zu bringen", wie das der Opernbetrieb manchmal vielleicht
erfordert. Reibereien erzeugen ja auch Funken. Und immer schön angepasst
um des lieben Friedens willen, das ist sicher nicht mein Ding.
Als „Revolution der Künstler" sorgt derzeit eine Diskussion für
Aufsehen, in der es um Fragen der fairen Bewertung und gerechten
Entlohnung sängerischer bzw. künstlerischer Leistungen geht. Sie haben
den Betrieb auf allen Ebenen kennengelernt —vom Ensemblealltag an einem
kleinen Haus bis zum Topniveau eines weltweit begehrten Stars. Haben Sie
Verständnis für diese „Revolution"? Wo sehen Sie vorrangig
Handlungsbedarf?
Bei der Bezahlung an kleineren Häusern.
Es ist ein Skandal, dass Schauspieler und Sänger dort so gut wie nichts
verdienen. Da wäre eine gerechte Entlohnung dringend an der Zeit, zumal
in Hinblick auf die Unsicherheit in unserem Metier: Wenn man mit dem
Risiko leben muss, in der nächsten Saison nicht mehr gebraucht zu
werden, sollte man zumindest die Möglichkeit haben, etwas für den
Notfall auf die Seite legen zu können, aber das können Sie bei den
jetzigen Verdienstverhältnissen schlichtweg vergessen.
Zum Schluss eine Frage mit spezieller Musikvereinsresonanz. Einer der
Großen, der wie Sie mit Liedprogrammen den Goldenen Saal gefüllt hat,
war Hermann Prey, Ehrenmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde und
hier über mehr als vier Jahrzehnte präsent. Was hat Sie mit ihm
verbunden? Hat er Ihnen etwas mitgegeben auf Ihren Weg?
Was mich mit Hermann Prey zunächst verbunden hat, war ein
Kindheitserlebnis. Mein Vater schaltete das Radio an, und als eine
Männerstimme ertönte, sagte er sofort: „Ah, der Prey!" — Ich war damals
sprachlos: Wie konnte mein Vater nach zwei, drei Tönen einen Sänger
erkennen? Heute weiß ich, dass Prey zu den „ Unverkennbaren" gehört.
Sein Timbre, seine Manier, seine Diktion — man erkennt ihn unter
Tausenden. Nach diesem Schlüsselerlebnis habe ich ihn natürlich
unzählige Male gehört, auf Platten wie auch live. Seine Liederabende
gehören zu den prägenden Eindrücken meiner Studentenzeit. Später habe
ich ihn auch persönlich kennengelernt, und ich fand es sehr nobel von
ihm, dass er versuchte, mich an die Bayerische Staatsoper zu vermitteln.
Was er mir mit auf den Weg gegeben hat, lässt sich mit einem Satz sagen:
Versuche nicht, so zu sein, wie andere dich haben wollen, sondern bleibe
ganz du selbst.