Er sieht gut aus, er spielt gut, und er singt noch viel besser. Er hat
sich lange klug zurückgehalten. Doch seit er vor sechs Jahren einen
Exklusivvertrag mit der Decca abgeschlossen hat, ist die Karriere von
Jonas Kaufmann, 42, nicht mehr zu bremsen. Heute ist er der
meistgefragte Tenor der Welt und begeistert als stilsicherer
Universalist im deutschen, französischen und italienischen Fach. Am 31.
März eröffnet er als Don José in "Carmen" die Salzburger
Osterfestspiele.
Welt am Sonntag: Herr Kaufmann,
Sie haben sich auffällig viel Zeit gelassen, richtig durchzustarten.
Nach den ersten großen Engagements haben Sie zunächst auch weiter
kleinere Partien gesungen.
Jonas Kaufmann: Ja,
ich habe sehr lange und sehr oft Nein gesagt. Erstens ist das das
wichtigste Wort für eine Karriere, und zweitens wollte ich eine solide
ausgereifte Basis. Irgendwie wusste ich, das kann noch warten. Und jetzt
zahlt sich das aus. Ich habe noch viele herrliche Rollen vor mir, will
aber doch auch noch vielleicht zwanzig Jahre singen.
Welt
am Sonntag: Wie hat sich mit der Berühmtheit der Druck
verändert?
Jonas Kaufmann: Wir Sänger sind ja
keine virtuellen Künstler. Wir können nicht allein im stillen Kämmerlein
arbeiten. Wir stehen live und allein vor 2000 bis 3000 nur auf uns
konzentrierten Menschen, die nicht selten diese Oper, diese Arie auch
schon von anderen gehört haben, die vergleichen können. Wir reihen uns
ein in eine Aufführungstradition. Je berühmter wir sind, desto härter
fallen dann die Urteile und Vergleiche aus. Ja, und man kann nicht mehr
so spontan sein.
Welt am Sonntag: Inwiefern?
Jonas Kaufmann: Ich habe mich inzwischen daran
gewöhnt, im Zentrum von Kulturstädten wie München, Wien oder Mailand
erkannt zu werden. Aber ich finde es schon komisch, wenn mir, wie vor
zwei Jahren in Luzern, jemand am Bühnenausgang ein Bündel Fotos schenkt,
auf denen ich mit meinen sehr deutlich erkennbaren Kindern zu sehen bin,
wie wir zwei Tage vorher beim Wandern waren. Das ist lieb gemeint, aber
es beunruhigt mich. Ich habe mir zum Beispiel auch in den Wintermonaten
vorgenommen, nicht immer nach der Vorstellungen am Bühnenausgang
Autogramme zu geben. Man drückt da so viele Hände, hat mit so vielen
Menschen Kontakt. Und dann hat man sich schnell wieder irgendeinen Virus
eingefangen. Ich muss mich, so leid mir das tut, einfach auch schützen.
Wenn ich krank werde und absage, dann sind noch viel mehr Leute
enttäuscht.
Welt am Sonntag: Sie singen mit Erfolg ständig neue
Opernrollen - aber mit dem Liedsänger Kaufmann schienen jüngst nicht
alle Kritiker glücklich zu sein.
Jonas Kaufmann:
Ach, wissen Sie, ich habe es längst aufgegeben, es allen recht machen zu
wollen. Obwohl ich mich durchaus damit beschäftige. Ich singe
Liederabende fast seit Anfang meiner Karriere, das ist also nicht die
eitle Fingerübung eines Starsängers. Ich bemühe mich unbedingt, auch das
Intime der Stimme zu behalten, deshalb würde ich so gern noch mehr
Mozart singen, auch wenn diese Partien im Augenblick kaum mehr in meinem
Kalender auftauchen.
Welt am Sonntag: Der Don
José, den Sie jetzt in Salzburg singen, ist ja für Sie inzwischen
Routine. Sie haben den braven Sergeanten, der sich in die wilde
Zigeunerin verguckt, schon oft verkörpert. Mal als verdrucksten
Buchhaltertypen, mal als testosteronbrodelnden Macho. Wie ist Ihr Don
José diesmal?
Jonas Kaufmann: Lassen Sie sich
überraschen. Doch eines ist klar: Ich habe eine durch die
Novellenvorlage von Prosper Mérimée schön ausgemalte Vorstellung von der
Figur. Doch ich muss nicht immer den gleichen Don José spielen. Ich bin
da sehr flexibel, kann mich auch als hässliches Entlein zurücknehmen.
Die Figur wird extrem definiert durch die Gestaltung der Carmen. Habe
ich eine satte Mezzosopranistin als ausladendes Vollweib neben mir, dann
kann ich auch meinen Erotikfaktor hochfahren, steht da eine emanzipierte
Anti-Carmen, die eben nicht mit der Glut des Südens locken will, dann
müssen wir uns was anderes einfallen lassen. Und genau das ist das
Reizvolle in einer Sängerkarriere, wenn man sie ernst nimmt: Man kann
gemeinsam einer scheinbar oft gesungenen Rolle immer neue Facetten
entlocken.
Welt am Sonntag: Also ja keine
Routine?
Jonas Kaufmann: Doch schon, Routine ist
gesund. Ich merke zum Beispiel: Ich beherrsche meine Stimme inzwischen
vollkommen. Sie gehorcht mir, ich weiß um Stärken und Schwächen, kann
mit Tagesverfassung hervorragend umgehen. Und ich singe immer so, dass
ich nicht müde werde. Ich will das Ende einer Vorstellung so erleben,
dass ich genügend Reserven habe, noch einmal von vorn anfangen zu
können. Nur das ist gesund. Dann singe ich mit den Zinsen meiner Stimme
und nicht mit dem Kapital.
Welt am Sonntag: Das
klingt so abgeklärt. Wovon lassen Sie sich herausfordern?
Jonas Kaufmann:: Immer wieder durch die Magie des
Augenblicks. Deshalb wird nie ein technischer Fortschritt die
Faszination einer Liveaufführung ersetzen können. Eine besonders liebe
Partnerin ist für mich Anja Harteros. Als wir neulich in München
erstmals Verdis "Don Carlo" zusammen gesungen haben, hat sie mich
gefragt, wie weit ich mich gerade im Schlussduett im Piano vorantraue.
Ich habe gesagt: Lass uns da was wagen. Schon in den Proben haben wir
sehr leise gesungen. Auf der Bühne aber hat sie sich an meine Worte
erinnert, und wir wurden immer leiser, das Publikum hing uns an den
Lippen. Das waren wirklich großartige Momente, totales Vertrauen in die
eigenen Möglichkeiten und den Partner - dann strömt das Adrenalin.
Welt am Sonntag: Solche Momente sind aber auch sehr
ungeschützt. Der Sänger steht völlig nackt da. Sie riskieren das immer
wieder mit einem weit in den Hals rutschenden Piano, wofür Sie nicht
selten auch kritisiert werden.
Jonas Kaufmann:
Das ist kein Manierismus, das ist Technik. Auch Pavarotti hat das so
gemacht. Nur trauen sich heute viel zu wenige, die intensive
Verletzlichkeit eines leisen Tons in einem großen Opernhaus zuzulassen.
Ich höre auch sehr genau darauf, was mir Vertraute oder meine Frau, die
ja ebenfalls Sängerin ist, nach einer Vorstellung sagen. Ich bin
durchaus lernfähig, will mich weiterentwickeln.
Welt am
Sonntag: Stimmt es, dass Sie die Plattenfirma wechseln, dass
Sie von der Decca zu Sony gehen?
Jonas Kaufmann:
"Nie sollst du mich befragen!" Derzeit kann ich so viel sagen: Die
nächste Soloplatte für Decca ist in der Planung, und danach werden wir
sehen.
Welt am Sonntag: Wonach wählen Sie Ihre
Engagements aus?
Jonas Kaufmann: Neben vielen
Beweggründungen auch nach Neigung. Ich wohne inzwischen wieder in meiner
Heimatstadt München. Obwohl man mich dort an der Oper jahrelang
ignoriert hat, habe ich jetzt unter der neuen Intendanz ein sehr gutes
Verhältnis. Allein sechs Premieren sind dort geplant, fast immer mit
Anja Harteros. Das ist ein schönes Gefühl von Stabilität und Vorfreunde.
Ich bin ein großer Berlioz-Fan. Deswegen wage ich im Juni in London mit
Antonio Pappano den Aeneas in den "Trojanern", auch wenn die nicht so
oft gespielt werden. Der Aeneas ist ein guter Schritt zu schwereren
Wagner-Rollen. Mit Pappano, zu dem ich großes Vertrauen habe, ist eine
"Aida"-Einspielung geplant, wie mich auch live Verdi stark beschäftigen
wird - "Troubadour", "Maskenball", "Macht des Schicksals" sind schon
fixiert.
Welt am Sonntag: Gibt es weitere
Bayreuth-Pläne? Sie haben dort ja nur 2010 den Lohengrin gesungen.
Jonas Kaufmann: Für mich ist das Kapitel Bayreuth
nicht erledigt, ich würde gerne wiederkommen. Aber auch die Salzburger
Festspiele wollen mich möglichst jeden Sommer haben. Und auf beiden
Hochzeiten kann ich eben nicht tanzen.