Startenor Jonas Kaufmann singt in der Berliner Philharmonie. Im
Interview mit Morgenpost Online spricht der 42-Jährige über das
Verhältnis deutscher Sänger untereinander, Diven und seine Liebe zu
Bayern München.
Der Startenor ist wieder einmal
unterwegs. Jonas Kaufmann sitzt im Auto und will von seiner Heimatstadt
München nach Wien. Wegen eines Staus nimmt er die Landstraße. Während
des Interviews will ihn sein Navigationsgerät immer wieder auf die
Autobahn zurückführen. Er trägt es mit Humor. So ist er. Der 42 Jahre
alte Sänger ist gefragt an allen großen Opernhäusern, war im Sommer an
der Seite von Anna Netrebko in der Waldbühne zu erleben. Am kommenden
Freitag gibt er seinen ersten Liederabend in der Philharmonie.
Morgenpost Online: Herr Kaufmann, worüber würden Sie
gerne einmal öffentlich reden?
Jonas Kaufmann:
Vielleicht über das Wetter? Ich hätte schon einiges zu sagen, aber
eigentlich ich will mich nirgendwo zu weit aus dem Fenster lehnen.
Morgenpost Online: Wovor haben Sie Angst, vor
Paparazzi oder empörten Fans?
Kaufmann: Na, so
schlimm ist es noch nicht. Natürlich wollen Opernsänger manchmal gerne
den Status eines Popstars haben, aber letztlich nicht wirklich mit
seinem Leben tauschen. Aber es gibt Kulturstädte, in denen sich die
Leute mit der Oper beschäftigen, und mich Menschen auf der Straße
erkennen. Aber mir lauert niemand auf, das passiert Klassikstars nicht.
Und seit ich das Buch „Meinen die wirklich mich?“ mit Thomas Voigt
gemacht habe, wurde auch weniger spekuliert. Jetzt habe ich kein
Geheimnis mehr.
Morgenpost Online: Das wäre
unmenschlich.
Kaufmann: Was im Buch nicht
drinsteht, soll auch privat bleiben. Letztlich geht es doch immer nur um
triviale Dinge des Alltags.
Morgenpost Online:
Wie dem Knoten in der Brust?
Kaufmann: Das
wollte ich nicht öffentlich machen. Aber es hat sich aus einer Absage
heraus ergeben. Der Veranstalter wollte unbedingt ein Attest und hat es
dann veröffentlicht. Ich habe es auch auf meiner Homepage erklärt, weil
es wilde Spekulationen gab. Ganz kurz: Da war ein Knoten in der Brust,
der sich vergrößert hat. Mir wurde angeraten, ihn sofort entfernen zu
lassen. Es hat sich als harmlos herausgestellt. Damit ist das Thema für
mich erledigt, aber groteskerweise werde ich immer wieder danach
gefragt.
Morgenpost Online: Sie sind der
führende deutsche Tenor, aber mittlerweile haben Sie mit Klaus Florian
Vogt einen ernst zu nehmenden Konkurrenten bekommen.
Kaufmann: Tenöre sind keine Konkurrenten untereinander. Es gab
zwar einige wenige Ausnahmen, dass sich berühmte Tenöre eine zeitlang
nicht gut verstanden, bis sie dann bei den Drei Tenören wieder zusammen
fanden. Aber der Konkurrenzkampf ist sicherlich in anderen Fächern, beim
Bariton oder Sopran, wo es wahnsinnig viele gute Leute gibt, größer.
Morgenpost Online: Tenöre mögen sich also
untereinander?
Kaufmann: Kein Tenor kann auf
allen Hochzeiten tanzen. Es gibt so viele große Häuser. Wer sich
einbildet, er könne alles machen und das letzte Quäntchen aus dem
Kalender herausquetschen, fällt irgendwann auf die Nase. Insofern bin
ich froh, dass sich die Aufmerksamkeit in Deutschland verteilt. Ich
hoffe, dass sich das für ihn auch weltweit auswirkt.
Morgenpost Online: Kennen Sie sich eigentlich persönlich?
Kaufmann: Wir haben uns vor vielen Jahren kennen
gelernt. Da kannte mich noch keiner, ihn keiner. Wir haben alternierend
konzertante Aufführungen von „Fidelio“ gesungen. Das war unter Leitung
von Helmut Rilling in Bonn und im Kloster Eberbach. Er hat Beethovens
Neunte gesungen und war als zweiter Mann für den Florestan engagiert.
Ich weiß gar nicht, ob wir uns danach noch einmal begegnet sind,
einfach, weil in den wenigsten Opern zwei Tenöre unseres Kalibers
verlangt sind.
Morgenpost Online: Vogt hat mit
seiner großflächig beworbenen CD die Marke „Helden“ für sich reserviert.
Geben Sie den Heldentitel gerne ab?
Kaufmann:
Ich verstehe mich nicht als Held. Und wenn ich für meinen Kollegen
sprechen darf: Der Titel bezieht sich auf die Charaktere der Rollen,
nicht auf den Interpreten. Mein erstes Album hieß „Romantic Arias“. Da
wurde ich auch andauernd gefragt, ob ich denn ein romantischer Mensch
wäre. Plattenfirmen wollen gerne einen verkaufsfähigen Oberbegriff
haben, der möglichst allgültig ist.
Morgenpost Online:
Bleiben wir bei den Marken. Da haben Sie mehr gemeinsam mit
Fußball-Bundestrainer Jogi Löw, zum Beispiel dieselbe Modefirma, von der
Sie eingekleidet werden.
Kaufmann: Das stimmt.
Ob es hilft, weiß ich nicht.
Morgenpost Online:
Outet sich damit ein Fußballfan?
Kaufmann: Ich
bin auch Fußballfan, habe als Kind im Verein gespielt, stehe meinen
Münchner Bayern relativ nahe und versuche immer wieder Spiele zu
erhaschen. Aber das hat mich nicht auf das Modelabel gebracht. Das
sogenannte Jogi-Löw-Hemd ist sehr schön. Aber es gibt auch eine
Kaufmann-Fliege, weil ich moniert habe, dass das Label keine Fliege im
Angebot hat, wo ich doch ständig eine brauche. Daraufhin haben sie mir
eine kreiert.
Morgenpost Online: Sie tragen also
das Jogi-Löw-Hemd?
Kaufmann: Aber ich bezweifle,
dass er die Jonas-Kaufmann-Fliege trägt.
Morgenpost
Online: In Berlin sind Sie vor einiger Zeit für den erkrankten
Thomas Quasthoff eingesprungen. Es war der Anfang vom Abschied, wie wir
jetzt wissen. Der Bariton will nicht mehr öffentlich singen.
Kaufmann: Ich habe leider seit zwei Jahren keinen
Kontakt mehr mit ihm gehabt. Und weiß also nicht, was ihn letztendlich
dazu bewogen hat. Im Allgemeinen gibt es bei Sängern verschiedene
Faktoren, diesen Entschluss zu fällen. Es kann im Privaten liegen, weil
man ein bisschen Abstand vom Business braucht. Was ich gut verstehen
kann. Man hat viel Spaß auf der Bühne, aber das ganze Drumherum ist
nicht immer erfreulich. Man schlägt sich so manches Mal mit Dirigenten
und Regisseuren herum. Man ist selten zuhause, wenn man mal frei hat,
steckt man irgendwo in der Welt fest. Das ist alles gar nicht so
glamourös, wie viele denken. Außerdem ist es ein körperlich
anstrengender Beruf. Ich spüre selber, wie die Atemmuskulatur
beansprucht wird. Man wird ja nicht jünger.
Morgenpost
Online: Wenn Sie das schon sagen. Sie sind doch gerade in
Bestform.
Kaufmann: Aber ich kenne den Preis
dafür. Es geht nicht nur um das Körperliche, man ist oft mental völlig
ausgelaugt nach Vorstellungen.
Morgenpost Online:
Was frisst am meisten Energie?
Kaufmann: Ich
denke schon die Liederabende, weil dabei die höchste Konzentration
abgefordert wird. In einer Oper habe ich zwischendurch Momente, wo ich
in der Garderobe sitze. Und auch auf der Bühne singt man nicht
durchgehend.
Morgenpost Online: Für einen Tenor
gilt nach wie vor die Obergrenze von 80 Auftritten pro Jahr?
Kaufmann: Ich liege ein Stückchen drunter und frage
mich manchmal, wie manche Kollegen es machen, wenn sie behaupten, dass
sie deutlich mehr machen. Sicherlich hat jeder eine andere Konstitution,
aber mehr Vorstellungen halte ich für gefährlich.
Morgenpost Online: Sie haben alle Gipfel erreicht: sind
regelmäßig an der Met, haben Tausende openair in der Waldbühne besungen,
geben regelmäßig feinfühlige Liederabende. Wie wollen Sie das noch
toppen?
Kaufmann: Es gibt immer wieder neue
Rollen. Im Sommer mache ich das erste Mal „Die Trojaner“ von Berlioz.
Ich versuche, meinen Kalender möglichst abwechslungsreich zu halten. Es
wäre sicherlich bequemer, nur zwei, drei Partien einzustudieren und sie
überall zu singen. Aber ich brauche den Reiz des Neuen. Es gibt im
deutschen wie im italienischen Fach noch einige Partien zu erobern.
Vieles davon steht in den nächsten fünf Jahren in meinem Kalender. Nein,
mir ist nicht langweilig. Und auf den Lorbeeren kann sich keiner
ausruhen.
Morgenpost Online: Zeitweilig hatte man die Sorge, Sie
seien Crossover-gefährdet?
Kaufmann: Ich hatte
bisher keine solchen Anwandlungen. Wenn ich das Gefühl hätte, es wäre
eine Bereicherung, würde ich das ab und zu auch mal machen. Aber so
lange ich noch Oper singen kann, möchte ich dabei bleiben. (lacht)
Morgenpost Online: Jeder große Tenor hat seine
Soprandiva an der Seite. Wer ist bei Ihnen gerade angesagt?
Kaufmann: Ob das Diven sein müssen, weiß ich nicht.
Nett und stimmtechnisch versiert müssen sie sein. Ich habe verschiedene
Produktionen mit Frau Netrebko, mit Frau Harteros oder Frau Stemme.
Morgenpost Online: Haben Sie keine Favoritin?
Kaufmann: Das hatte ich doch nie. Es ist auch
Unsinn, obwohl jedes Plattenlabel sein Traumpaar hervorbringen möchte.
Ich glaube, dass man sich schnell einengt. Ein berühmtes Beispiel dafür
sind Roberto Alagna und Angela Georghiu, die jahrelang als das
Musterpaar galten, dann beschlossen sie, nicht mehr gemeinsam auf der
Bühne aufzutreten. Dann brodelte die Gerüchteküche über ihre Trennung.
Jetzt singen sie wieder zusammen.
Morgenpost Online:
Das Künstlerehepaar ist kein Ideal?
Kaufmann:
Die Abwechslung ist besser. Der Operntenor hat dem Ehemann voraus, dass
er sich nicht nur mit einer Frau Liebesduette zuflötet. Und es ist eine
ganz legale Abwechslung. (lacht)
Morgenpost Online:
Jetzt kommen Sie nach Berlin. Aber die Stadt ist nicht gerade Ihre
musikalische Heimat. Warum eigentlich?
Kaufmann:
Keine Ahnung. Theoretisch gibt es ja viele Möglichkeiten in Berlin, mit
drei Opernhäusern und zwei nennenswerten Orchestern. Ich besuche Berlin
ja auch regelmäßig. Aber genau genommen werde ich in jeder Stadt
gefragt, warum ich nicht öfter komme. Ich vergleiche das mit dem
berühmten Kuchen, und wenn ich den in noch so kleine Stücke teile – mehr
ist nicht möglich. Aber in Berlin ist künftig einiges geplant, Konzerte
und Opernneuproduktionen.
Morgenpost Online:
Wollen Sie, der Familienmensch, lieber sesshaft sein?
Kaufmann: Wenn ich ganz ehrlich bin, wenn ich die Möglichkeit hätte, diese
Karriere von einem Platz aus zu machen, würde ich es sofort tun. Ich
brauche diese ganzen Reisen, die Flughäfen und die Hotels nicht. Auf dem
Papier sieht das immer toll aus, diese vielen Städte. Aber außer dem
Hotelzimmer und dem Konzertsaal bekommt man nicht viel mit. Und das
luxuriöseste Hotelzimmer ist nicht so prickelnd wie das eigene Zuhause,
wo man seine Familie, seine Bücher, seine Musik um sich hat. Das alles
kann mein iPad nicht ersetzen.