Berliner Morgenpost, 12. Februar 2012
Von Volker Blech
Deutscher Startenor - Jonas Kaufmann sieht sich nicht als Held 
 
 

Startenor Jonas Kaufmann singt in der Berliner Philharmonie. Im Interview mit Morgenpost Online spricht der 42-Jährige über das Verhältnis deutscher Sänger untereinander, Diven und seine Liebe zu Bayern München.

Der Startenor ist wieder einmal unterwegs. Jonas Kaufmann sitzt im Auto und will von seiner Heimatstadt München nach Wien. Wegen eines Staus nimmt er die Landstraße. Während des Interviews will ihn sein Navigationsgerät immer wieder auf die Autobahn zurückführen. Er trägt es mit Humor. So ist er. Der 42 Jahre alte Sänger ist gefragt an allen großen Opernhäusern, war im Sommer an der Seite von Anna Netrebko in der Waldbühne zu erleben. Am kommenden Freitag gibt er seinen ersten Liederabend in der Philharmonie.

Morgenpost Online: Herr Kaufmann, worüber würden Sie gerne einmal öffentlich reden?

Jonas Kaufmann: Vielleicht über das Wetter? Ich hätte schon einiges zu sagen, aber eigentlich ich will mich nirgendwo zu weit aus dem Fenster lehnen.

Morgenpost Online: Wovor haben Sie Angst, vor Paparazzi oder empörten Fans?

Kaufmann: Na, so schlimm ist es noch nicht. Natürlich wollen Opernsänger manchmal gerne den Status eines Popstars haben, aber letztlich nicht wirklich mit seinem Leben tauschen. Aber es gibt Kulturstädte, in denen sich die Leute mit der Oper beschäftigen, und mich Menschen auf der Straße erkennen. Aber mir lauert niemand auf, das passiert Klassikstars nicht. Und seit ich das Buch „Meinen die wirklich mich?“ mit Thomas Voigt gemacht habe, wurde auch weniger spekuliert. Jetzt habe ich kein Geheimnis mehr.

Morgenpost Online: Das wäre unmenschlich.

Kaufmann: Was im Buch nicht drinsteht, soll auch privat bleiben. Letztlich geht es doch immer nur um triviale Dinge des Alltags.

Morgenpost Online: Wie dem Knoten in der Brust?

Kaufmann: Das wollte ich nicht öffentlich machen. Aber es hat sich aus einer Absage heraus ergeben. Der Veranstalter wollte unbedingt ein Attest und hat es dann veröffentlicht. Ich habe es auch auf meiner Homepage erklärt, weil es wilde Spekulationen gab. Ganz kurz: Da war ein Knoten in der Brust, der sich vergrößert hat. Mir wurde angeraten, ihn sofort entfernen zu lassen. Es hat sich als harmlos herausgestellt. Damit ist das Thema für mich erledigt, aber groteskerweise werde ich immer wieder danach gefragt.

Morgenpost Online: Sie sind der führende deutsche Tenor, aber mittlerweile haben Sie mit Klaus Florian Vogt einen ernst zu nehmenden Konkurrenten bekommen.

Kaufmann: Tenöre sind keine Konkurrenten untereinander. Es gab zwar einige wenige Ausnahmen, dass sich berühmte Tenöre eine zeitlang nicht gut verstanden, bis sie dann bei den Drei Tenören wieder zusammen fanden. Aber der Konkurrenzkampf ist sicherlich in anderen Fächern, beim Bariton oder Sopran, wo es wahnsinnig viele gute Leute gibt, größer.

Morgenpost Online: Tenöre mögen sich also untereinander?

Kaufmann: Kein Tenor kann auf allen Hochzeiten tanzen. Es gibt so viele große Häuser. Wer sich einbildet, er könne alles machen und das letzte Quäntchen aus dem Kalender herausquetschen, fällt irgendwann auf die Nase. Insofern bin ich froh, dass sich die Aufmerksamkeit in Deutschland verteilt. Ich hoffe, dass sich das für ihn auch weltweit auswirkt.

Morgenpost Online: Kennen Sie sich eigentlich persönlich?

Kaufmann: Wir haben uns vor vielen Jahren kennen gelernt. Da kannte mich noch keiner, ihn keiner. Wir haben alternierend konzertante Aufführungen von „Fidelio“ gesungen. Das war unter Leitung von Helmut Rilling in Bonn und im Kloster Eberbach. Er hat Beethovens Neunte gesungen und war als zweiter Mann für den Florestan engagiert. Ich weiß gar nicht, ob wir uns danach noch einmal begegnet sind, einfach, weil in den wenigsten Opern zwei Tenöre unseres Kalibers verlangt sind.

Morgenpost Online: Vogt hat mit seiner großflächig beworbenen CD die Marke „Helden“ für sich reserviert. Geben Sie den Heldentitel gerne ab?

Kaufmann: Ich verstehe mich nicht als Held. Und wenn ich für meinen Kollegen sprechen darf: Der Titel bezieht sich auf die Charaktere der Rollen, nicht auf den Interpreten. Mein erstes Album hieß „Romantic Arias“. Da wurde ich auch andauernd gefragt, ob ich denn ein romantischer Mensch wäre. Plattenfirmen wollen gerne einen verkaufsfähigen Oberbegriff haben, der möglichst allgültig ist.

Morgenpost Online: Bleiben wir bei den Marken. Da haben Sie mehr gemeinsam mit Fußball-Bundestrainer Jogi Löw, zum Beispiel dieselbe Modefirma, von der Sie eingekleidet werden.

Kaufmann: Das stimmt. Ob es hilft, weiß ich nicht.

Morgenpost Online: Outet sich damit ein Fußballfan?

Kaufmann: Ich bin auch Fußballfan, habe als Kind im Verein gespielt, stehe meinen Münchner Bayern relativ nahe und versuche immer wieder Spiele zu erhaschen. Aber das hat mich nicht auf das Modelabel gebracht. Das sogenannte Jogi-Löw-Hemd ist sehr schön. Aber es gibt auch eine Kaufmann-Fliege, weil ich moniert habe, dass das Label keine Fliege im Angebot hat, wo ich doch ständig eine brauche. Daraufhin haben sie mir eine kreiert.

Morgenpost Online: Sie tragen also das Jogi-Löw-Hemd?

Kaufmann: Aber ich bezweifle, dass er die Jonas-Kaufmann-Fliege trägt.

Morgenpost Online: In Berlin sind Sie vor einiger Zeit für den erkrankten Thomas Quasthoff eingesprungen. Es war der Anfang vom Abschied, wie wir jetzt wissen. Der Bariton will nicht mehr öffentlich singen.

Kaufmann: Ich habe leider seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr mit ihm gehabt. Und weiß also nicht, was ihn letztendlich dazu bewogen hat. Im Allgemeinen gibt es bei Sängern verschiedene Faktoren, diesen Entschluss zu fällen. Es kann im Privaten liegen, weil man ein bisschen Abstand vom Business braucht. Was ich gut verstehen kann. Man hat viel Spaß auf der Bühne, aber das ganze Drumherum ist nicht immer erfreulich. Man schlägt sich so manches Mal mit Dirigenten und Regisseuren herum. Man ist selten zuhause, wenn man mal frei hat, steckt man irgendwo in der Welt fest. Das ist alles gar nicht so glamourös, wie viele denken. Außerdem ist es ein körperlich anstrengender Beruf. Ich spüre selber, wie die Atemmuskulatur beansprucht wird. Man wird ja nicht jünger.

Morgenpost Online: Wenn Sie das schon sagen. Sie sind doch gerade in Bestform.

Kaufmann: Aber ich kenne den Preis dafür. Es geht nicht nur um das Körperliche, man ist oft mental völlig ausgelaugt nach Vorstellungen.

Morgenpost Online: Was frisst am meisten Energie?

Kaufmann: Ich denke schon die Liederabende, weil dabei die höchste Konzentration abgefordert wird. In einer Oper habe ich zwischendurch Momente, wo ich in der Garderobe sitze. Und auch auf der Bühne singt man nicht durchgehend.

Morgenpost Online: Für einen Tenor gilt nach wie vor die Obergrenze von 80 Auftritten pro Jahr?

Kaufmann: Ich liege ein Stückchen drunter und frage mich manchmal, wie manche Kollegen es machen, wenn sie behaupten, dass sie deutlich mehr machen. Sicherlich hat jeder eine andere Konstitution, aber mehr Vorstellungen halte ich für gefährlich.

Morgenpost Online: Sie haben alle Gipfel erreicht: sind regelmäßig an der Met, haben Tausende openair in der Waldbühne besungen, geben regelmäßig feinfühlige Liederabende. Wie wollen Sie das noch toppen?

Kaufmann: Es gibt immer wieder neue Rollen. Im Sommer mache ich das erste Mal „Die Trojaner“ von Berlioz. Ich versuche, meinen Kalender möglichst abwechslungsreich zu halten. Es wäre sicherlich bequemer, nur zwei, drei Partien einzustudieren und sie überall zu singen. Aber ich brauche den Reiz des Neuen. Es gibt im deutschen wie im italienischen Fach noch einige Partien zu erobern. Vieles davon steht in den nächsten fünf Jahren in meinem Kalender. Nein, mir ist nicht langweilig. Und auf den Lorbeeren kann sich keiner ausruhen.

Morgenpost Online: Zeitweilig hatte man die Sorge, Sie seien Crossover-gefährdet?

Kaufmann: Ich hatte bisher keine solchen Anwandlungen. Wenn ich das Gefühl hätte, es wäre eine Bereicherung, würde ich das ab und zu auch mal machen. Aber so lange ich noch Oper singen kann, möchte ich dabei bleiben. (lacht)

Morgenpost Online: Jeder große Tenor hat seine Soprandiva an der Seite. Wer ist bei Ihnen gerade angesagt?

Kaufmann: Ob das Diven sein müssen, weiß ich nicht. Nett und stimmtechnisch versiert müssen sie sein. Ich habe verschiedene Produktionen mit Frau Netrebko, mit Frau Harteros oder Frau Stemme.

Morgenpost Online: Haben Sie keine Favoritin?

Kaufmann: Das hatte ich doch nie. Es ist auch Unsinn, obwohl jedes Plattenlabel sein Traumpaar hervorbringen möchte. Ich glaube, dass man sich schnell einengt. Ein berühmtes Beispiel dafür sind Roberto Alagna und Angela Georghiu, die jahrelang als das Musterpaar galten, dann beschlossen sie, nicht mehr gemeinsam auf der Bühne aufzutreten. Dann brodelte die Gerüchteküche über ihre Trennung. Jetzt singen sie wieder zusammen.

Morgenpost Online: Das Künstlerehepaar ist kein Ideal?

Kaufmann: Die Abwechslung ist besser. Der Operntenor hat dem Ehemann voraus, dass er sich nicht nur mit einer Frau Liebesduette zuflötet. Und es ist eine ganz legale Abwechslung. (lacht)

Morgenpost Online: Jetzt kommen Sie nach Berlin. Aber die Stadt ist nicht gerade Ihre musikalische Heimat. Warum eigentlich?

Kaufmann: Keine Ahnung. Theoretisch gibt es ja viele Möglichkeiten in Berlin, mit drei Opernhäusern und zwei nennenswerten Orchestern. Ich besuche Berlin ja auch regelmäßig. Aber genau genommen werde ich in jeder Stadt gefragt, warum ich nicht öfter komme. Ich vergleiche das mit dem berühmten Kuchen, und wenn ich den in noch so kleine Stücke teile – mehr ist nicht möglich. Aber in Berlin ist künftig einiges geplant, Konzerte und Opernneuproduktionen.

Morgenpost Online: Wollen Sie, der Familienmensch, lieber sesshaft sein?

Kaufmann: Wenn ich ganz ehrlich bin, wenn ich die Möglichkeit hätte, diese Karriere von einem Platz aus zu machen, würde ich es sofort tun. Ich brauche diese ganzen Reisen, die Flughäfen und die Hotels nicht. Auf dem Papier sieht das immer toll aus, diese vielen Städte. Aber außer dem Hotelzimmer und dem Konzertsaal bekommt man nicht viel mit. Und das luxuriöseste Hotelzimmer ist nicht so prickelnd wie das eigene Zuhause, wo man seine Familie, seine Bücher, seine Musik um sich hat. Das alles kann mein iPad nicht ersetzen.


 

 






 
 
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