Er gilt als einer der besten Sänger unserer Zeit, der aus München
stammende Jonas Kaufmann. Ob als Lohengrin oder Faust, als Tamino oder
Werther, als Cavaradossi, Siegmund, Stolzing oder Parsifal - sein
baritonal gefärbter, ausdrucksstarker und technisch souverän geführter
Tenor hat das gewisse Etwas, um das Publikum dahinschmelzen zu lassen.
Zu Jonas Kaufmanns Glanzrollen zählt auch der Don José in Bizets Carmen.
In der Regie von Aletta Collins und unter der musikalischen Leitung von
Sir Simon Rattle singt er ihn am 31. März und 9. April bei den
Osterfestspielen Salzburg (Restkarten sind noch erhältlich). Mit Jonas
Kaufmann führte Martin Kienzl das folgende Interview.
BÜHNE:
Vom lyrischen Beginn bis zu den dramatischen Finalakten - in Carmen
können Sie besonders viele Facetten zeigen?
KAUFMANN: Stimmt,
das vokale und darstellerische Spektrum dieser Partie ist sehr breit,
und darin liegt für mich der besondere Reiz.
BÜHNE: Don Jose gibt
für seine geliebte Carmen sein bisheriges Leben auf. Ist er ein Mensch,
der sich in keiner seiner Rollen, ob als Soldat und Sohn, dann als
Schmuggler, wohl fühlt?
KAUFMANN: In der Novelle von Mérrimée und
in der französischen Dialogfassung der Oper wird ja erzählt, dass José
zum Jähzorn neigt, dass er jemanden im Streit getötet hat und dass er
zur Armee gegangen ist, um dem Gefängnis zu entkommen und ein neues
Leben anzufangen. Das ist seine Situation, wenn er Carmen kennen lernt.
Und die Begegnung mit ihr wirft ihn erneut aus der Bahn. Er wird wieder
kriminell, und diesmal entkommt er dem Gefängnis nicht. Als er wieder
frei ist und sie aufsucht, gesteht er ihr, was mit ihm los ist, nämlich
in der so genannten „Blumen"Arie, die ich als eine Art von Eigentherapie
auffasse: Indem er Carmen seine Geschichte erzählt, erzählt er sie
eigentlich sich selbst. Seit der Begegnung mit ihr hat er dieses
erschreckende Gefühl im Bauch, hat es zwei Monate im Gefängnis mit sich
herumgeschleppt und hat nicht gewusst, was das eigentlich ist. Liebe war
für ihn bisher immer etwas Unbedrohliches gewesen: Liebe zur Mutter,
Liebe zu Micaela, seiner Sandkastenfreundin. Mit der Arie gesteht er ihr
und sich selbst ein, wie sehr er ihr verfallen ist. Er outet sich
komplett.
BÜHNE: Worin liegen für Sie die wichtigen
Spannungsmomente in Carmen? In den Konflikten von Liebe und Tod,
Anarchie und Ordnung?
KAUFMANN: Ganz sicher. Die Konfrontation
mit der „freien Liebe", die Carmen lebt, ist für José der Anfang vom
Ende. Er gerät vollkommen aus der Balance, sein Leben kippt um: Liebe
und Leidenschaft schlagen um in Verzweiflung, Wut und Gewalt. Der
Ordnungshüter wird zum Mörder.
BÜHNE: Kann er mit diesen
Widersprüchen nicht leben?
KAUFMANN: In meinen Augen zerbricht
er daran, dass er mit den Gefühlen von Leidenschaft, Hingabe und
Hörigkeit nicht fertig wird. Er ist überwältigt von diesen Emotionen,
ist ihnen ähnlich ausgeliefert wie einem tödlichen Virus.
BÜHNE:
Bergen die letzten beiden Bilder der Carmen die Gefahr, sich als Sänger
zu sehr zu verausgaben? Immerhin fühlt sich José zusehends in die Ecke
getrieben.
KAUFMANN: Das ist das Schwierige und zugleich die
besondere Herausforderung bei solchen Rollen. Man muss sich so weit wie
möglich mit der Figur identifizieren - und zugleich aufpassen, dass man
nicht zu sehr in den Sog der Musik und der Emotion gerät. Wenn man
Figuren verkörpert, die derart unter Strom stehen, muss man sich als
Sänger immer wieder zur Vernunft rufen und sagen: ,,Halt, so geht das
nicht, wenn du dir deine Qualitäten über lange Jahre bewahren willst:'
Wenn es einen hin und wieder überkommt, ist es nicht schlimm. Aber wenn
es öfter passiert, hat man ein Problem. Besser, man bleibt immer Herr
der Lage. Es sollte noch so viel Verstand eingeschaltet sein, dass nicht
die Pferde mit einem durchgehen. Karajan fand dazu das berühmte Wort von
der „kontrollierten Ekstase": Im Idealfall sollte man sich so weit in
die Emotion hineinsteigern können, dass man selbst davon ganz erfüllt
ist, spürt, wie das Publikum mitgeht - und zu gleich noch in der Lage
ist, alles zu kontrollieren und in die „richtigen Bahnen" zu lenken. Es
ist eine Gratwanderung. Wenn sie gelingt, ist es eine große
Befriedigung.
BÜHNE: Läuft bei der Rolleneinstudierung manchmal
der Gedanke mit, dass eine Wirkung, die sich einmal bei Ihnen als
Zuschauer in dem Werk eingestellt hat, von Ihnen als Interpret wieder
erzielt werden soll?
KAUFMANN: Wer einmal als Zuschauer erlebt
hat, welche Gefühle eine gute Opernaufführung auslösen kann, der wird
sich vorstellen können, was in uns Sängern vorgeht, wenn wir auf der
Bühne stehen. Natürlich trachten wir alle danach, das Publikum zu
berühren und zu bewegen, so wie wir es oft als Zuschauer am eigenen Leib
erlebt haben. Das ist es auch, was viele Sänger antreibt, überhaupt auf
die Bühne zu gehen. Bei mir ist es ganz sicher so. Jeder Abend, den ich
auf der Bühne stehe, ist von dem Gedanken erfüllt, dass ich Teil eines
Kraftwerks bin, das im Zuschauer ungeahnte Emotionen und Energien
freisetzen kann.
BÜHNE: Von vielen Sängern hört man, dass
Französisch als Gesangssprache noch idealer als Italienisch wäre. Sehen
Sie das ähnlich?
KAUFMANN: Beim Italienischen ist die
Gesangssprache viel näher an der gesprochenen Sprache als im Deutschen
und Französischen und aufgrund ihrer reinen und offenen Vokale kommt sie
einem Sänger sehr entgegen. Aber ich merke auch, dass die französische
Sprache meiner Stimme sehr gut tut. Es macht mir große Freude, dieses
Weiche und Elegante der französischen Sprache in Klang umzusetzen, und
natürlich freut es mich riesig, wenn mir Franzosen sagen, dass man
aufgrund meiner Aussprache schwören könnte, ich sei mit der
französischen Sprache aufgewachsen.
BÜHNE: Woher rührt Ihre
Affinität zum Französischen? KAUFMANN: Meine erste Begegnung mit der
französischen Sprache kam relativ spät während des Studiums. Offenbar
ist davon bei mir nicht viel hängen geblieben. Als ich 2001 in Toulouse
meine erste französische Partiesang -Wilhelm Meister in Mignon von
Thomas -, war mein Französisch noch sehr dürftig. Durch „learning by
doing" ist es besser geworden.
BÜHNE: Was schätzen Sie an dieser
Sprache?
KAUFMANN: Dass kleine Dinge den großen Unterschied
ausmachen. Ein etwas stärkerer Akzent, eine andere Farbe im Vokal - und
schon hat dieselbe Phrase einen ganz anderen Ausdruck. Das hört man vor
allem bei den großen Chansonniers, aber auch bei Opernsängern. Zum
Beispiel bei Georges Thill. Seine Aufnahme des Werther war mir eine
große Hilfe. Da kann man hören, was Prägnanz und Differenziertheit der
Artikulation konkret bedeuten.
BÜHNE: Nachdem Ihre internationale
Karriere in Fahrt kam, hatte man bisweilen den Eindruck, Sie würden sich
viel zumuten und Angeboten schwer widerstehen.
KAUFMANN: Der
Verlockung, zu früh zu schwere Partien zu singen, habe ich immer ganz
gut widerstehen können, da ist bei mir die Vernunft letztlich doch
stärker als die Lust auf tolle Rollen. Dass ich mir manchmal zu viel
zugemutet habe, möchte ich nicht bestreiten. Solange alles gut läuft,
meint man ja immer, dass man so weitermachen kann - bis sich der Körper
eines Tages wehrt und einem das Stop-Schild zeigt.
BÜHNE: Nach
welchen Kriterien treffen Sie Ihre Rollenwahl? KAUFMANN: Ich strebe
immer nach einer guten Mischung von deutschen, italienischen und
französischen Partien. Das hält die Stimme geschmeidig und flexibel, und
es schützt vor vorzeitigem Verschleiß, siehe Plácido Domingo.
BÜHNE: Werden Ihnen mit Ihrem heutigen Starstatus auch Rollen angeboten,
mit denen Sie nicht a priori Zugpferd-Funktion übernehmen müssten? Gibt
es weniger prominente Tenoraufgaben, die Sie reizen würden?
KAUFMANN: Das kommt auf Rolle und jeweilige Partner an. Lensky in Eugen
Onegin reizt mich als Figur, ebenso Laca in Jenufa. Letztlich finde ich
es reizvoller,Teil eines starken Teams zu sein, als die Rolle des
Zugpferds zu übernehmen. Andere mitziehen zu müssen ist wesentlich
schwieriger als sich mit gleich starken Partnern zu steigern.
BÜHNE: Ihr künstlerischer Weg ist bis ca. 2018 abgesteckt. Können Sie
den einen oder anderen zukünftigen Rollenwunsch verraten?
KAUFMANN: Über Wünsche darf ich immer sprechen: Riccardo, Alvaro,
Otello, Andrea Chenier, Hoffmann, Tannhäuser, Kaiser in Frau ohne
Schatten, Hermann in Pique Dame und Paul in Die tote Stadt. Was davon
schon geplant ist und wo es als Erstes herauskommen soll - darüber
möchte ich mich erst dann äußern, wenn es spruchreif ist.