Max Joseph, Münchner Opernfestspiele
Gespräch aufgezeichnet von Rainer Karlitschek und Olaf A. Schmitt
Im Lichte des Lieds - Jonas Kaufmann 
 

Jonas Kaufmann arbeitet kontinuierlich mit dem Pianisten Helmut Deutsch, seinem ehemaligen Lehrer und inzwischen Freund. Ein Liederabend beschwört für ihn vor allem eines: die Poesie des Augenblicks.

Ich empfinde den Liedgesang als die Königsklasse des Musizierens, weil es die kleinstmögliche Form eines Ensembles ist: nur zwei Künstler, die sich im Idealfall blind verstehen, die aufeinander vertrauen und aufeinander hören. Das hat zur Folge, dass eine Interpretation jeden Abend anders sein wird - nicht weil man jedes Mal alles anders macht, sondern weil es darum geht, stets von vorne anzufangen und die Werke jedes Mal wieder in einem neuen Licht zu sehen. Liedgesang ist daher eine Form von Bekenntnis. Ich weiß, dass sich an der Interpretation des Liedgesangs immer wieder die Geister scheiden: Die einen versuchen ein Rollenspiel als objektiver Betrachter, der alles in eine Form bringt - rational und überlegt. Andere wiederum adaptieren das Werk für sich persönlich. Ich bin ein großer Verfechter der zweiten Variante: Für mich ist Liedgesang die vielleicht zarteste, subtilste Form von Gesang im Sinne der Emotionen. Es ist der tiefste Blick in die Seele. Ich muss mich öffnen und in jedem einzelnen Lied meinen Seeleninhalt preisgeben.

In diesem Sommer singe ich u.a. Lieder von Gustav Mahler, Henri Duparc und Richard Strauss. Mein Pianist Helmut Deutsch hat eine unendliche Bibliothek, und die Suche nach dem Programm ist spannend. Duparc hat gerade mal ein gutes Dutzend Lieder geschrieben, leider, muss man sagen, denn wenn man diese Lieder hört, wünschte man sich, er hätte sich noch intensiver diesem Metier zugewandt. Bei Mahlers Rückert-Liedern stellt sich die Frage, ob man alle sechs macht. Strauss war immer wahnsinnig aufschäumend.

Alle Werke betrachten das Thema intensiver Gefühlsausbrüche oder Gefühlsausdruck von unterschiedlichen Perspektiven, was für uns Musiker sehr spannend ist und eine Herausforderung für den Sänger, denn er begibt sich auf die schwierige Gratwanderung zwischen Sentiment und Kitsch. Man will natürlich alles geben und ganz in der Musik aufgehen - zumindest ich möchte das -, aber ich kann es eben nicht zu hundert Prozent bewerkstelligen, denn in dem Moment, wo mein Gefühl derart echt wäre - wenn mir echte Tränen kämen -, dann fiele vor dem Publikum plötzlich die Maske der Rolle herunter, und es sähe den Privatmenschen mit seinen Problemen. Der ganze Theateraufbau fiele zusammen, und das will man nicht sehen. Was man sehen will, ist das Gefühl. Und dennoch muss ich mit innerer Kontrolle singen, die wiederum nicht sichtbar sein darf. In dem Moment, wo ich diese Kontrolle zu deutlich spüren würde, wäre ich doch nur der technische Sänger.

Für mich erleichtert sich die Sache, weil ich in Helmut Deutsch einen Musiker an der Seite habe, der zwar früher mal mein Lehrer war, der aber heute ein richtiger Partner und Freund ist. Nach dem Studium war es ein wenig kurios: Anfangs habe ich mich überhaupt nicht getraut, irgendwas zu sagen - so erzählt es zumindest Helmut Deutsch -, und immer vorsichtig formuliert: „Dürfte ich vielleicht etwas sagen an der Stelle?" Er meinte nur: „Bist Du verrückt, ich bin doch nicht mehr Dein Lehrer! Vergiss das, wir sind Partner und müssen das gemeinsam machen." Ich kenne andere musikalische Partner, denen es hilft, mit Reibungen und Konflikten zu ihren Begleitern ganz neue Dimensionen zu erreichen. Ich bin allerdings sehr froh, dass unser Musizieren konfliktfrei ist. Es ist schön, wenn man einen Partner hat, der genauso denkt und meine Ideen schon erspürt, der um die Stärken und Schwächen eines Sängers weiß.

Wir sind beide jedes Mal wieder perplex nach einem Liederabend, wie viel Neues sich ergeben hat, selbst wenn es nur Nuancen sind, die kaum jemand im Publikum wahrnimmt. Für uns ist das ungeheuer erfrischend, wenn man spürt, wie es immer weitergeht, und dass man immer neue Details der Musik entdecken kann. Es wäre wirklich schade, wenn ich einmal an dem Punkt ankomme, an dem ich einen Abend rein aus Routine mache, wie ein Komiker, der seine Pointen am Fließband auswendig gelernt hat - das wäre wirklich nur Arbeit, Geld verdienen. Aber ich mache diese Liederabende hauptsächlich, weil es Spaß macht, weil es eine Freude ist zu musizieren und weil in dieser Form alles möglich ist: Tempo, Dynamik, ob leise, laut, wie auch immer - alles lässt sich sofort verändern, zumal ein Pianist, anders als ein Orchester, in Sekundenbruchteilen einen Klang zurücknehmen kann. Diese Freiheit genieße ich jedes Mal um so mehr, sodass ich wirklich die Poesie des Augenblicks auskoste.

 

 






 
 
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