Interview: Jonas Kaufmann ist zur Zeit der am meisten gefeierte Tenor. Am Montag singt er erstmals in Wien Massenets "Werther"
Ein Interview über den Bruch zwischen Superhelden und trautem Heim, über
Bayreuth, Salzburg, Trotteln und Extreme.
KURIER:
Sie wurden in den vergangenen zwei Jahren vom KURIER jeweils zum besten
Sänger des Jahres gewählt - unter anderem mit der Begründung, dass
niemand Wagner und Mozart auf diesem Niveau verbinde. Da gab's heftige
Diskussionen unter unseren Lesern: Wie wir das schreiben könnten, wenn
es doch Mozart-Sänger wie Michael Schade gebe ...
Jonas
Kaufmann: Das ist doch gut so. Es wäre mir unheimlich, wenn ich
es allen recht machen würde. 100 Prozent Übereinstimmung kann es nie
geben. Da würde ich mich fragen: Habe ich mich so sehr verbogen? Oper
ist eine Kunstform, und Kunst hat mit Geschmack zu tun.
Dennoch ist die Erwartungshaltung mittlerweile enorm, wenn Jonas
Kaufmann eine Partie singt. Wie gehen Sie damit um?
Ich
singe in erster Linie, weil es mir Spaß macht. Auf der Bühne ist es mein
Ziel, dass das Publikum mitfiebert, dass die Menschen berührt werden. Da
muss man die Figur werden, die man singt. Aber man darf nie vergessen,
dass es ein Spiel ist. Wenn der Vorhang fällt, möchte ich nach Hause
gehen und mein Leben leben.
Es gibt grüblerische Sänger,
die ihre Rollen intellektuell zu entwickeln versuchen und solche, bei
denen viel aus dem Bauch kommt. Wo ordnen Sie sich ein?
Irgendwo dazwischen. Ich versuche mir aber schon vorher intensiv
Gedanken zu machen. Eine Begründung zu finden, was denn diesen Menschen
auf der Bühne antreibt, diese seltsamen Dinge zu tun. Da geht es ja
meistens um Extreme - und damit meine ich nicht Pathos in diesem
klebrigen Sinn. Ich versuche, den Weg eines Menschen nachzuzeichnen.
Bei den Tenorpartien handelt es sich ja nicht selten um
Trotteln ...
Würde ich nicht so hart sagen. Ist Don Ottavio
(Tenor in "Don Giovanni", Anm.) ein Trottel? Ich finde nicht. Er ist in
seinen Konventionen gefangen. Ist Don José ("Carmen", Anm.) ein Trottel?
Er hat ein Erziehungsproblem. Er wurde als Kind so verhätschelt und dann
in die Welt losgelassen, dass er diesen Blödsinn macht.
Was treibt Werther an, den Sie am Montag erstmals an der Staatsoper
gestalten?
Da tut man sich schwer, ihn sympathisch zu
finden. Er steht sich selber im Weg. Er ist furchtbar larmoyant, voller
Selbstmitleid. Er bewundert alles, um sofort wieder in tiefste
Depressionen zu verfallen. Aber ich glaube, ich habe auch da einen Weg
gefunden.
Sie haben 2010 in Bayreuth als Lohengrin
debütiert. Was treibt den an?
Bei Lohengrin war es besonders
wichtig, den Menschen hinter der Figur zu finden. Ich glaube auch, dass
sich Wagner Gedanken über den Bruch gemacht hat zwischen Superhelden und
Mann, der hinuntersteigen will ins traute Heim. Gleich bei seinem
Auftritt spricht er nicht den König von Brabant an, sondern singt ganz
zärtlich an den Schwan. Warum macht man so etwas Seltsames? Da muss ein
sensibler Geist dahinterstecken.
In Bayreuth wurde die
Regie von Hans Neuenfels heftig kritisiert. Ihr Kommentar?
Ich finde spannend, dass die Geschichte im Rattenversuchslabor spielt.
Und mit einigen Kniffen ist es Neuenfels gelungen, den Fokus auf das
Paar Elsa/Lohengrin zu legen. Aber wenn man die Erwartungen bricht, kann
es sein, dass man die Menschen auf dem falschen Fuß erwischt. Dann
reagieren sie besonders heftig.
Werden Sie auch 2011
Lohengrin in Bayreuth singen?
Nein, das ging sich mit den
Proben in London nicht aus. Wir machen dort eine neue "Tosca" mit Angela
Gheorghiu und Bryn Terfel.
Und in den Jahren darauf?
Da gibt es jemanden, der schneller war.
Der künftige
Salzburger Festspielchef Pereira?
Ja, ich werde bei ihm
einige Male in Salzburg singen.
Wie lange, glauben Sie,
werden Sie den Spagat zwischen Mozart und Wagner aufrechterhalten
können?
Hoffentlich lange. Der Reiz, Mozart-Partien zu
singen, ist immer da. Aber es gibt eine so große Not an Wagner-Tenören.
Für Tannhäuser, die beiden Siegfriede und Tristan ist es aber noch zu
früh. Ich erweiterte mein Repertoire in Richtung "Trovatore", "Chenier",
"Manon Lescaut", "Maskenball", "Trojaner" und "Fanciulla".
Wie widerstehen Sie den Verlockungen der Industrie, immer mehr
Waldbühnen- oder Stadthallenkonzerte zu singen?
Das ist ja
nicht gänzlich verboten. Man darf nur die Seriosität, die Basis nicht
verlieren. Solche Konzerte müssen ein Extra sein und nicht der
Mittelpunkt des Wirkens.