Letzten Frühling sind Sie von Zürich nach München gezogen. Was
hat Sie zum Wegzug aus der Schweiz bewogen?
Jonas Kaufmann:
Ich wurde in München geboren, bin hier aufgewachsen und habe hier
studiert. Hier habe ich meine erste Oper erlebt und meine ersten
Schritte auf einer Opernbühne gemacht. In den 15 Jahren seit meinem
Engagement in Saarbrücken bis 2009 war ich jedoch nur bei drei
Aufführungen an der Bayerischen Staatsoper beteiligt. Da können Sie sich
vorstellen, dass jetzt ein gewisser Nachholbedarf besteht.
Wie empfinden Sie die Umstellung?
Ich mag die Mentalität
meiner Landsleute, die ein bisschen «granteln» und angeblich
unfreundlich sind, in Wahrheit aber nur so tun (lacht). Im Gegensatz zu
vielen Schweizern sind die meisten Bayern - wenn ich das ... so sagen
darf - extrem offen und kontaktfreudig. Das hat mir in Zürich etwas
gefehlt, obwohl ich dort inzwischen auch viele Bekannte und Freunde
habe.
Welche Rolle spielte bei diesem Entscheid Ihre
Familie?
Da das Leben als Opernsänger sowieso etwas unstet
ist, war ich froh, als das Angebot des neuen Intendanten Klaus Bachler
kam, regelmässig in München zu singen. So fällt es mir leichter, Beruf
und Privatleben zu vereinen.
Werden Sie irgendwann aus
Steuergründen in die Schweiz zurückkehren, wie viele andere Prominente?
Nein, sicher nicht! Andere leisten sich eine Jacht, ich leiste
es mir, in Deutschland Steuern zu bezahlen!
Am Sonntag
kehren Sie immerhin für eine Liedermatinee zurück ins Zürcher Opernhaus.
Werden Sie auch Arien singen, für die Sie bekannt sind?
Nein, diese Matinee ist ganz dem Lied - in diesem Fall jenen von Robert
Schumann und Gustav Mahler - vorbehalten. Dieser Purismus gehört auch zu
unserem Kulturkreis. Einzig nach einem Liederabend in der Mailänder
Scala ist mir einmal vorgehalten worden, dass ich mich nicht einmal bei
den vier Zugaben zu einer Arie hatte bewegen lassen. Nächsten Frühling
gehe ich aber vermutlich mit Arien auf Tournee.
Können Sie
selber bestimmen, wo Sie so eine Tournee hinführt?
Ich bin
in der glücklichen Lage, schon in der dritten Phase meiner Laufbahn
angelangt zu sein. In Phase 1 sucht man verzweifelt Arbeit und klopft an
jede Türe, um einen Fuss hineinzubekommen. In Phase 2 geht es von
alleine. Man sitzt neben dem Telefon und wartet auf die Anrufe. Nun, in
der Phase 3, rufe ich ein Opernhaus an, erkläre, was ich gerne machen
möchte, wann ich noch Zeit hätte, und frage, ob sie das hinkriegen.
Welche Rolle spielt Ihr gutes Aussehen für den Erfolg?
Es hat sicher Vorteile, wenn Marketingstrategen darüber entscheiden,
ob man einen Plattenvertrag erhält, aber auch gravierende Nachteile. Ich
musste lange gegen das Vorurteil ankämpfen «Der sieht gut aus, der kann
ja kein Talent haben!». Dass mir mein Erfolg nicht in den Schoss
gefallen ist, erleichtert mir dafür vielleicht, zerrissene Figuren zu
spielen.
Fällt es Ihnen leicht, sich in solche zerrissene
Figuren hineinzuversetzen?
Ein Sänger muss fähig sein, in
die Abgründe seiner Seele zu schauen und den Funken von der Figur zu
sich selbst überspringen zu lassen.