Mit Jonas Kaufmann ist endlich wieder ein deutscher Sänger in den Olymp der
Startenöre aufgestiegen. Der 41-Jährige begeistert die Musikfreunde auf der
ganzen Welt durch seine Vielseitigkeit - er singt Mozart ebenso brillant wie
Wagner, Verdi oder Bizet. Dass Jonas Kaufmann auch noch gut aussieht, tut
der Karriere gewiss keinen Abbruch. Im Westfalenpost-Interview erzählt der
Tenor, wie er mit dem Erwartungsdruck seiner Fans umgeht.
Frage: Den „Ideal-Tenor“ nennt man Sie, und Sie werden mit
lobenden Superlativen geradezu überschüttet. Macht Ihnen das keine Angst?
Jonas Kaufmann: Na
ja, Angst vielleicht nicht, aber man darf es auch nicht zu ernst nehmen. Wir
leben nun mal in einer schnelllebigen Gesellschaft, da kann man sich nicht
auf diesen Lorbeeren ausruhen. Insofern sollte man sich überhaupt selbst
nicht zu ernst nehmen. Damit man immer weiter auf dem Boden bleibt und
einfach das macht, was man am besten kann und nicht überheblich wird und
denkt, ich kann es jetzt auch aus der Hüfte heraus, sondern so wie immer
halt: ernsthaft und gut gearbeitet und nicht zu lax. Das ist meine Art, und
ich habe nie das Gefühl, dass ich durch diese Erwartungshaltung nun einen
besonderen Druck verspüren würde.
Frage: Jeder
will Sie hören, die bedeutendsten Bühnen der Welt reißen sich um Sie. Wie
geht man mit dem Erfolg um, ohne sich die Stimme zu ruinieren?
Jonas Kaufmann: Man muss sich natürlich einzuschätzen
wissen, um seine Kapazitäten und vor allem um seine Grenzen wissen. Und dann
ist es ganz wichtig, dass man sich selber eingesteht: Es geht nicht mehr. Es
ist zu viel, oder es ist - egal wie wichtig - einfach nicht möglich, weil
ich eben erkältet bin. Nein sagen, das fällt einem manchmal schwer, weil
plötzlich am Schluss noch die allerbesten Angebote kommen, aber wenn der
Terminkalender voll ist, dann ist er voll, das kann man nicht ändern.
Frage: Publikum und Kritiker sind begeistert von
Ihrer Vielseitigkeit. Viele Tenor-Kollegen beschränken sich auf ein Fach,
aufs Deutsche, Italienische oder Französische, aus Angst, sonst ihrer Stimme
zu schaden. Wie ist das bei Ihnen?
Jonas Kaufmann:
Bei mir ist das eher umgekehrt, ich glaube, ich würde meiner Stimme schaden
oder würde Teile des Farbenreichtums und der Möglichkeiten der Stimme
verlieren, sollte ich mich auf etwas spezialisieren. Und da habe ich mich
dafür entschieden, diese Bandbreite beizubehalten. Für mich ist es
unvorstellbar, dass man immer nur die gleichen Sachen singt. Berühmte
Kollegen, auch sehr verehrte wie Alfredo Kraus, der seine fünf, sechs
Partien ein Leben lang gesungen hat und nie etwas anderes, der hat zwar
seine Stimme ganz toll erhalten und der klang am Schluss noch wie 20 Jahre
jünger, das weiß ich, aber ich könnt’s nicht. Mir würde die Motivation
abhanden kommen. Und ich glaube, in dem Moment, wo man das nur noch als Job
sieht und nicht mehr als Vergnügen, fehlt eine gewisse Qualität. Was
vielleicht unter anderem meine Interpretationen auszeichnet, ist, dass man
merkt, dass ich selber Spaß daran habe, und diese Freude überträgt sich aufs
Publikum. Wenn dieser Spaß nicht mehr da ist, dann werde ich auch nicht mehr
ganz so gut sein.
Frage: Welchen Herausforderungen möchten Sie sich
gerne stellen?
Jonas Kaufmann: Ich muss einfach
versuchen, das Niveau zu halten und dabei Schritt für Schritt das Repertoire
erforschen, das ja noch sehr groß ist. Ich habe gerade mit dem Verismo-Album
wieder eine Tür aufgestoßen, ich werde in den nächsten Jahren einige von
diesen Partien singen, dabei aber nicht den Verdi vergessen oder den Wagner
oder die ganzen Franzosen. Im deutschen Fach wird es jetzt im Frühjahr den
Siegmund geben und dann erstmal eine Pause mit Wagner. Damit habe ich
Meistersinger und Lohengrin und Parsifal und eben Siegmund im Repertoire,
das reicht erstmal. Die anderen, Siegfried, der Tristan und Tannhäuser, die
müssen einfach noch ein bisschen warten.
Frage:
Für Ihr neues Album „Verismo Arias“ sind Sie regelrecht zum Schatzgräber
geworden. Hat das Spaß gemacht?
Jonas Kaufmann:
Absolut. Es sind Sachen dabei, die mich wirklich überrascht haben, allen
voran „Giulietta! Son io!“ aus „Giulietta e Romeo“ von Riccardo Zandonai.
Das ist eine unglaubliche tiefenpsychologische Studie. Wie die Musik
zwischen Verzweiflung und Ärger und Aufbrausen und Zärtlichkeit hin und
herschwankt, das ist toll, und genau das, was einen an diesem Repertoire
fasziniert, wenn es einen fasziniert. Das polarisiert ziemlich, das
Verismo-Fach. Ich bin eindeutig einer von denen, die es lieben. Wenn man es
ernst nimmt, wenn man sich nicht scheut, seine persönlichen Gefühle
hineinzulegen, dann sind diese Arien gefüllt mit Emotionen wie keine andere
Musik.
Frage: Sie geben gerne Liederabende. Was
bedeutet der Liedgesang für Sie - auch im Hinblick auf die Stimmkultur?
Jonas Kaufmann: Stimmkultur ist ein sehr gutes Thema.
Wenn man versucht, sich den Farbenreichtum für die Stimme zu erarbeiten und
zu erhalten, gehört das Lied dazu, weil da Feinheiten und Nuancen möglich
sind, die sonst wahrscheinlich von einem Orchesterklang abgedeckt werden
würden. Gleichzeitig spürt man beim Lied, weil das so nackt ist, ganz
deutlich, was funktioniert und was nicht funktioniert. Liedgesang ist immer
ein Wegweiser und ein Gesundheitscheck. Beim Lied kann man sich auf die
Interpretation konzentrieren, ich nenne das immer die Poesie des
Augenblicks.
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