Das hat’s noch nie gegeben: Ein deutscher Tenor bringt kaum zwei Monate nach
seinem Bayreuther Lohengrin eine stilistisch überzeugende Platte mit
italienischer Macho-Musik heraus. Die CD „Verismo
Arias“ mit Ausschnitten aus Opern von Puccini-Zeitgenossen ist seit gestern
zu haben.
AZ: Herr Kaufmann, was ist eigentlich Verismo?
JONAS KAUFMANN: Das ist eine Stilrichtung der italienischen Oper ab
1890, beginnend mit Pietro Mascagnis „Cavalleria rusticana“. Der Begriff
kommt von „vero“, also „wahr“. Den Komponisten ging es um wahre Gefühle von
Figuren aus dem Volk, ähnlich wie in der naturalistischen Literatur dieser
Zeit.
Feinere Geister rümpfen da gern die Nase.
Mich reißt’s vom Stuhl, wenn ich die Musik höre. Zugleich wühle ich mich
als Sänger gern in die tiefsten Seelen-Abgründe hinein. Natürlich scheiden
sich am
Verismo die Geister. Wenn diese Arien ehrlich und mit Gefühl
unterfüttert werden, wird ihre Wahrhaftigkeit bisweilen schockiernd brutal.
Warum haben Sie auf Puccini verzichtet?
Im
Unterschied zu Zandonai oder Umberto Giordano braucht ihm niemand unter die
Arme zu greifen. Ruggiero Leoncavallos „La bohème“ halte ich für ein tolles
Stück. Ihm steht leider nur im Weg, dass Puccini drei Monate früher mit dem
gleichen Stoff herausgekommen ist.
Haben Sie solche Rollen schon
auf der Bühne probiert?
Bis jetzt außer Puccini nichts. Aber ich
singe bald den Maurizio in Cileas „Adriana Lecouvreur“ konzertant in Berlin
und szenisch in London.
Warum beginnt die CD mit einem
unbekannten Stück?
Ich habe lange mit dem Dirigenten
Antonio Pappano gegrübelt und eine Reihe unbekannterer Stücke durchgesungen.
Dabei verliebte ich mich in die Arie aus Riccardo Zandonais „Giulietta e
Romeo“. Es ist ein extrem voyeuristisches, sehr fesselndes Stück, gesungen
von Romeo im Angesicht seiner toten Geliebten. Leider ist der Rest der Oper
weniger aufregend. Ich fand es dramaturgisch geschickter, nicht gleich mit
„Lache Bajazzo“ zu beginnen.
Begleitet werden Sie von der Accademia di Santa
Cecilia. Ist das nicht ein reines Konzertorchester?
Sie haben früher viel Oper konzertant gespielt und
finden unter ihrem Chef Antonio Pappano neuen Geschmack daran. Sie wollen
unbedingt Oper machen und sind zugleich geschult im Konzertrepertoire – eine
ideale Voraussetzung. Die Mentalität passt sowieso.
Haben Sie eigentlich eine Ratten-Allergie?
Nein, warum?
Weil Sie nächstes Jahr den Lohengrin in Bayreuth
nicht mehr singen.
Eine blöde Geschichte, die aber nichts mit der
Inszenierung zu tun hat. Für die Wiederaufnahme gab es plötzlich mehr Proben
und zu einem anderen Zeitpunkt, für den ich bereits „Tosca“ in London mit
Bryn
Terfel und Angela Gheorghiu unter Pappano zugesagt hatte. Das wollte
ich nicht absagen. Deshalb kamen wir vorerst nicht mehr zusammen. Ein
bisschen reut es mich, weil mir die Arbeit viel Spaß gemacht hat.
Gehen Sie als Münchner eigentlich auf die Wiesn?
Ich bin hier aufgewachsen und war als Kind jedes Jahr
dort, dann jahrelang nicht. Ich habe gemerkt, dass ich nächste Woche zwei
Tage frei habe und leiste nun bei meiner Familie Überzeugungsarbeit für
einen Wiesnbesuch. Allein will ich nicht. Schau’n wir mal. Am liebsten würde
ich meinen Kindern den Umzug mit den Trachten zeigen, der mich immer mehr
fasziniert hat als die Fahrgeschäfte.
Bierzelte reizen Sie nicht?
Weniger. Schon in einer Wirtschaft schreit man
unwillkürlich den ganzen Abend und bemerkt erst hinterher die Heiserkeit.
Früher kam auch noch zusätzlich der Rauch hinzu. Aber mich schreckt noch
mehr ab, dass man ohne Reservierung kaum in ein Zelt reinkommt.
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