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Focus, 23.07.2010 |
Von FOCUS-Redakteur Gregor Dolak |
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„Du brauchst Nerven und
Selbstvertrauen“
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Der Sänger debütiert bei den Bayreuther
Festspielen mit seiner Paraderolle: Lohengrin. Der deutsche Ausnahmetenor
erklärt die Geheimnisse seines Welterfolgs. |
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FOCUS Online: Sie debütieren
derzeit als weltweit gefragtester deutscher Sänger bei den Bayreuther
Festspielen. Stolz, der neue Lohengrin zu sein?
Kaufmann: Zum ersten Mal bin ich ja gar nicht hier. Bisher bin
ich allerdings nur als Zuschauer gekommen. 1994 zum ersten Mal als
Stipendiat der Wagner-Gesellschaft, und später bestimmt noch vier- oder
fünfmal zu unterschiedlichen Aufführungen. Aber als Sänger stehe ich hier
zum ersten Mal auf der Bühne. Das ist schon ein einschneidendes Erlebnis.
FOCUS Online: Wie fühlen Sie sich als Ritter und Ratte?
Kaufmann: Ich selbst bin in dieser Inszenierung ja keine
Ratte.
FOCUS Online: Aber viele andere lässt Regisseur Hans Neuenfels
als Ratten auftreten.
Kaufmann: Eigentlich darf ich darüber nichts verraten. Am
schwarzen Brett der Probenbühne hängt sogar ein Zettel mit der Warnung an
alle Mitwirkenden, man solle sich in der umliegenden Gastronomie nicht über
Bühnenvorgänge äußern. Nicht dass da noch jemand Interna aufschnappt.
FOCUS Online: Neuenfels selbst scheint sich da nicht
angesprochen zu fühlen. Er hat schon mitgeteilt, dass sein „Lohengrin“ in
einem Labor spielt. Auch Festspielleiterin Katharina Wagner hat das
Experiment mit Versuchstieren schon verteidigt: Die Ratte ist richtig. (Das
gesamte Interview mit Katharina Wagner ist im aktuellen FOCUS zu lesen.)
Kaufmann: Richtig ist, dass die Kulisse einen klinischen Ort
beschreibt. Sehr weiß, viel Metall. Dort läuft in der Tat ein Versuch. Denn
die Geschichte des Ritters auf dem weißen Schwan ist heutigen Zuschauern ja
wirklich nur noch als Versuchsanordnung plausibel zu machen.
FOCUS Online: Wird dieser Versuch als Skandal wahrgenommen
werden?
Kaufmann: Glaube ich nicht. Es geht ja auch um eine tiefere
Deutung dieses Werks. Was ist das für eine Liebe, die Elsa schlagartig
befällt, als dieser Retter aus heiterem Himmel daherkommt? Wie entwickelt
sich diese Liebe?
FOCUS Online: Verständlich ist das wohl nur aus der Zeit
Richard Wagners heraus, in der es noch arrangierte Ehen gab.
Kaufmann: Da mussten viele Frauen mit einem Ritter klarkommen,
den sie womöglich erst kurz vor der Hochzeit kennenlernten. In der
Botschaft, dass sich Liebe auch aus einer solchen Konstellation entwickeln
kann, steckte etwas Tröstliches. Aber was fängt man heute damit an? Mich
interessiert, was für Gefühle hinter der strahlenden Fassade dieses
tragischen Helden stecken. Der möchte gar nicht als Superheld von einer
wichtigen Mission zu nächsten hechten. Andererseits hängt er in dem Bann
fest, dass seine Frau ihn niemals befragen darf, wer er ist und woher er
kommt. Und gerade als sich die Liebe zwischen Lohengrin und Elsa entwickelt,
kann sie der Frage nicht mehr widerstehen. Eine bittere Enttäuschung für
ihn.
FOCUS Online: Der Lohengrin zählt zu Ihren Paraderollen.
Gleichzeitig sind sie sehr präsent auf den Opernbühnen dieses Sommers. In
München haben Sie parallel zu den Bayreuther Proben erst den Don José in
„Carmen“, später den Cavaradossi in „Tosca“ gesungen. Wie geht das?
Kaufmann: Für die Stimme ist das strapaziös. Bei manchen
Proben markiere ich deshalb nur, um mit der Stimme zu haushalten.
Andererseits bringt der Übergang von der italienischen zur deutschen Oper
auch einen Mehrwert. Die Intonation im Italienischen, die Sprachmelodie
hilft beim Gesang auf Deutsch. Das stecken ganz andere Bögen drin. Die
unterstützen auch die Sprachverständlichkeit in meiner Muttersprache. Man
sollte ja denken, dass man sich da für den Zuhörer besonders verständlich
ausdrücken kann.
FOCUS Online: Etwa nicht?
Kaufmann: Man ist damit aufgewachsen und verschleift gerne
Vokale, spricht manchmal undeutlich. Die Klarheit der Artikulation, so wie
Wagner sie sich wünschte, muss man sich erarbeiten. In letzter Zeit habe ich
viele Wagner-Aufnahmen auf Italienisch zur Vorbereitung auf den „Lohengrin“
angehört. Da gibt es welche mit Maria Callas und anderen Großen.
Gelegentlich glaubt man, eine ganz andere Oper zu hören. Obwohl die Musik
dieselbe bleibt.
FOCUS Online: Sie feiern international Erfolge sowohl im
deutschen als auch im italienischen Fach. Ist das ein Rückkehr in die große
Zeit deutscher Tenöre wie Fritz Wunderlich auf den Bühnen der Welt?
Kaufmann: Ganz so ist das nicht. In den 50ern sangen an der
Met in New York und anderswo tatsächlich deutsche Sänger italienische Oper.
Aber eigentlich nur, wenn die Intendanz sie dem Publikum unterjubelte.
Eigentlich wurden sie als Wagner- oder Mozart-Interpreten gebucht. Und dann
sagte man eben: Oh, leider, leider fällt uns der italienische Sänger in der
„Traviata“ aus. Dafür bieten wir Ihnen heute den Deutschen XY. Das wurde
dann akzeptiert. Aber nicht sonderlich begeistert. Bei mir ist das etwas
anderes, darauf bin ich auch stolz. Mich verpflichten die Häuser in London
oder New York in beiden Fächern und schenken mir großes Vertrauen. Neulich
habe ich sogar in Paris „Werther“ gesungen. Obwohl ja die Franzosen
besonders heikel sind, wenn in ihrer Sprache gesungen wird. Nach meinen
letzten CDs mit deutschen Arien und Liedern bringe ich im Herbst ein Album
mit Stücken des italienischen Verismo heraus.
FOCUS Online: In Ihrer Heimatstadt München sind heute viele
sehr stolz auf den Weltstar Kaufmann. Das war nicht immer so.
Kaufmann: In der Intendanz von Peter Jonas gab es Vorbehalte.
Da hieß es immer: Der ist noch nicht reif. Er muss erst noch eine
Entwicklung machen. Heute freut mich der Jubel natürlich sehr.
FOCUS Online: Vielleicht war ja die Entwicklung gemeint, die
Sie in New York und London hingelegt haben.
Kaufmann: Schon. Aber im Operngeschäft werden Produktionen
lange im Voraus geplant, Sänger, Dirigenten, Regisseure vier oder fünf Jahre
vor der Premiere gebucht. Und die Häuser in USA oder England haben zu einem
Zeitpunkt auf mich gesetzt, als die Münchner noch abwarten wollten. Das ist
schon etwas anderes.
FOCUS Online: Verständlich, dass Sie das sehr aufmerksam
registrieren. Wie ist es denn um die Ehrlichkeit im Operngeschäft bestellt?
Kaufmann: Da soll man niemandem etwas nachtragen. Aber
natürlich steht ein Sänger unter enormem Druck, wenn er in einer Rolle
debütiert. Da treten dann sorgenvolle Beobachter an die Agentur heran und
fragen, ob die Partie denn wirklich schon was ist für einen. Beim „Werther“
in Paris bin dann auch noch mit einer Erkältung angereist, und einige haben
geraunt: Siehste, jetzt macht er einen Rückzieher und sagt ab. Wir hatten
dann nur Proben, bei denen ich markiert habe. Erst zur Premiere konnte ich
voll singen. Das war ein großes Risiko – und wurde ein großer Erfolg.
Hinterher haben es sowieso alle schon vorher gewusst (lacht). Dafür brauchst
du die Nerven und das Selbstvertrauen.
FOCUS Online: Wie stärken Sie beides?
Kaufmann: Um geerdet zu bleiben, ist die Familie das
Wichtigste. Meine drei Kinder – für die bin ich halt der Papa und nicht der
Opernstar. Manchmal wünscht man sich ja mehr Respekt von den Kindern. Aber
so wie früher, als man den Vater noch siezte, ist das nicht mehr. Und
letztlich ist dieser respektlose Umgang auch gut so. Das hilft einem, nicht
abzuheben.
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