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Arte TV, Dezember 2009 |
Teresa Pieschacón Raphael, Zürich
2009 |
Interview mit dem Tenor Jonas Kaufmann
"In der Musik aber fand ich Freiheit!"
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- Man nennt Sie die Botox Spritze der Oper!
Was? Das habe ich noch nie gehört! Wie geht das? Wenn es wenigstens die
Endorphin oder Adrenalinspritze wäre. Aber Botox? Nein!(Lachen) Das hieße
ja, ich wäre absolut glatt und würde nur schön singen und damit ein
ziemlich langweiliger Sänger sein.
- Wann haben Sie Ihre Stimme „entdeckt“?
Mein Großvater war ein Wagnerianer, er hatte alle Klavierauszüge, setzte
sich häufig ans Klavier und sang die Partien begeistert mit - auch die
Frauenstimmen (Lacht). Auch mein Vater, der in einer Versicherung tätig
war und meine Mutter eine gelernte Kindergärtnerin sind große
Musikliebhaber. Sie hatten viele Langspielplatten, ausschließlich Klassik,
darunter viele symphonische Werke. Sonntag morgens hörten meine Schwester
und ich gerne Musik, wir durften uns dann etwas wünschen. Ich selbst habe
immer gerne gesungen, mich zur Schau gestellt, Quatsch gemacht, das war
meine Rolle. Als ich dann älter wurde konnte ich mir aber nicht
vorstellen, das Singen zum Lebensunterhalt zu machen. Das kam erst sehr
spät. Und ich hatte angefangen Mathematik zu studieren
- Musik und Mathematik beschäftigen die gleichen Hirnregionen
Eine klassische Komposition ist eine sehr logisch strukturierte
Konstruktion. Ohne Systematik geht nichts. Dazu kommt noch das
physikalische Element. Beim Singen aber muss man die Logik ausschalten.
Zunächst war ich fasziniert von Zahlen, fand es beglückend, nach der
Formel zu suchen, die einem den Weg weist, eben dieses „jetzt geht alles
auf“. Doch auf die Dauer sah ich keine große Abwechslung, es stieß mich
ab, dass in der Mathematik alles immer gleichförmig und theoretisch
bleiben würde. In der Musik aber fand ich Freiheit.
- Wie meinen Sie das?
Ich meine die künstlerische Freiheit mit der ganz eigenen Persönlichkeit
intuitiv, emotional und spontan eine Phrase zu gestalten, wie sie noch
niemand anderes so gestaltet hat und gestalten wird.
Musik statt Mathematik
- Sie gaben das Mathematikstudium also auf und schrieben sich an der
Hochschule für Musik und Theater in München ein.
Ich bestand die Aufnahmeprüfung für das Gesangsstudium auf Anhieb und
begann im Sommer 1989 meine Ausbildung zum Opern- und Konzertsänger.
Dennoch zweifelte ich lange.
- Trotzdem schlossen Sie Ihr Studium ab und erhielten ein Engagement in
Saarbrücken. Doch irgendetwas stimmte nicht…
Ja …. Mit meiner Stimme. Ich hatte null Tiefe, meine Stimme klang wie
Mickey Mouse, ganz «kopfig» und mit ein bisschen «Edelknödel» im Hals,
manchmal blieb mir auf der Bühne die Stimme selbst in kleinen Partien weg.
Ich war erschöpft, falsch beraten, ich wusste, dass ich so nicht weiter
machen kann.
- Woran lag das? Sie hatten doch eine Ausbildung absolviert.
Ja, aber nicht die richtige Technik erworben. Die große Schwierigkeit beim
Singen ist: es gibt keine ganz feste Technik, wir arbeiten mit
Vorstellungen, unsere Muskeln können nur reflexartig reagieren und nicht
bewusst angesteuert werden. Wir müssen uns Bilder, Situationen vorstellen,
und dann die ideale Kehlkopfhaltung finden, aus der wir heraus diese
gestalten können. Dabei kann viel schief gehen, wie zunächst bei mir. erst
ein langer mühsamer Weg voller Arbeit ließ mich zu meiner wirklichen
Stimme finden.
Von Herakles heißt es, er habe seinen Musiklehrer Linos mit der Leier
erschlagen.
(Lachen) Ich will keinem Lehrer etwas vorwerfen, keiner kann in einen
hineinsehen. Man empfahl mir, alles langsam, vorsichtig und leise zu
machen gemäß dem Motto: je mehr man sich schont, umso weniger die Gefahr,
die Stimme kaputtzumachen. Klingt logisch, doch wenn man den Motor auf nur
einen Zylinder laufen lässt, und die anderen schont, dann geht der Motor
kaputt. Amerikaner nennen das „undersinging“. Ich musste hart arbeiten.
- Sie vergleichen die Technik eines Autos mit dem Singen?
In gewisser Hinsicht ja. Die Technik muss bei beiden hundertprozentig
stimmen. Sonst gibt es einen Crash. Erst wenn das Fundament stimmt und die
Technik verinnerlicht ist, dann erst kann ich mich der Inspiration
hingeben. Es dauert sehr lange, bis man so weit ist. Einen Unterschied
gibt es aber schon, ein Wagen hat ein elektronisches Hilfssystem und einen
Air-Bag. Ein Sänger nicht. (Lachen)
- Sie hatten keinen und sangen sich allmählich kaputt?
So ungefähr. Zum Glück lernte ich einen anderen Lehrer kennen, der sagte
mir: ‚Mach doch mal deinen Mund auf! Lass deine Stimme heraus!’ Ich sollte
ein Selbstvertrauen zu meiner Stimme aufbauen – ohne etwas zu
manipulieren, zu schieben oder zu drücken. Es dauert natürlich, bis man
das Ganze verfeinert hat und alles nicht mehr grob, sondern elegant wirkt.
Jetzt läuft die Stimme, jetzt kann ich sie belasten, jetzt weiß ich, dass
mir nichts mehr passieren kann. Auf der Bühne zu stehen wird immer
schöner.
- Jetzt stehen Sie als Don José auf der Bühne der Mailänder Scala bei
der Eröffnung der Spielzeit neben Erwin Schrott als Escamillo in Georges
Bizets „Carmen“.
Ich habe die Partie des Don José schon seit einigen Jahren im Repertoire
und auch öffentlich in Covent Garden gesungen. Er ist ja ein sehr
vielschichtiger Charakter und nicht der nette langweilige Typ von nebenan
und das ist spannend. Es ist aber nicht so, dass er nur das Böse
verkörpert. Er hat eine gewalttätige Jugend in der Armee hinter sich,
steht sehr unter dem Druck der Mutter, die ihn mit einer anderen
verheiraten möchte. Und als er Carmen sieht, ist er absolut verwirrt. Und
auch die Blumenarie des Don José, wie er der Carmen die Liebe gesteht,
sozusagen fast unter Zwang, weil sie ihn so fertig macht, ist spannend
umzusetzen. |
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