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Der Standard, 07. Mai 2009 |
Peter Vujica |
"Die Musik ist irritierte Ordnung!"
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Der deutsche Startenor Jonas Kaufmann im Gespräch |
Foto: STANDARD /Newald |
Wien
- Eigentlich ist Jonas Kaufmann, der die Wiener Musikfreunde in diesen Tagen
mit seiner Tenorstimme (zwischen Konzerthaus und Staatsoper) in wahre
Glücksräusche versetzt, ein Spätzünder. In seinem Alter, jetzt ist der
gebürtige Münchner 39, war Fritz Wunderlich schon drei Jahre tot. Und
Kollege Rolando Villazón ist mit den 37 Jahren, die er erst zählt, leider
bereits in seiner zweiten Stimmkrise.
Bei Kaufmann ging alles nicht so schnell und auch nicht so glatt. Zwar
wollte er immer schon Sänger werden - "wie andere Lokomotivführer" . Und
sein Großvater finanzierte ihm ebenfalls nach der Matura die Gesangsstunden,
doch sein Hauptinteresse galt damals noch der Mathematik. Erst nach zwei
Jahren entschied er sich für das Musikstudium. Auch der Start seiner
Karriere verlief nicht glücklich. Die Tätigkeit in Saarbrücken war
anstrengend, seine Stimme war überfordert. Dann aber fand er in Michael
Rhodes einen Lehrer, der ihn davon abbrachte, einen weichen deutschen Tenor
zu imitieren und ihm Mut zu sich selbst machte.
"Reine Schönheit ist nicht berührend. Man muss eine Rolle ehrlich über die
Rampe bringen. Man muss bei deren Gestaltung die eigene menschliche
Erfahrung abrufen und darf sich nicht von vornherein in fremde Emotionen
hineinsteigern. Sonst werden wir schizophren. Wenn man eine Rolle aus seiner
eigenen Gefühlswelt heraus gestaltet, denkt man auch gar nicht mehr ans
Singen. Dann geht alles wie von selbst." Aber welche Rolle spielt in dem
Gefühlsganzen der Text?
"Meiner Meinung nach muss man nicht jedes Wort verstehen, vielmehr den durch
die Musik gesteigerten Sinn einer Phrase. Auf alle Fälle halte ich die
Vokale für wichtiger als die Konsonanten. Manche Lehrer zwingen einen ja,
die Konsonanten richtig zu spucken. Deshalb habe ich vor der russischen
Sprache eine gewisse Scheu. Ich halte nämlich nichts von der Methode, die
einige Kollegen anwenden: Sie zeichnen über eine Zeile, die einen heiteren
Inhalt hat, ein fröhliches Gesicht, und über eine traurige ein bekümmertes."
Interessant auch Kaufmanns grundsätzliche Gedanken zur Musik.
Von seinem Mathematikstudium hat er offenbar auch eine profunde Kenntnis des
Bruchrechnens, die er auf ziemlich eigenwillige Weise auf die Musik
anwendet. Er sagt nämlich, "die Kunst, Musik zu machen, besteht in der
Ungenauigkeit. Durch den persönlichen Ausdruck des Interpreten wird die
exakte metrische Ordnung der Noten verunordnet. Musik ist Ordnung, die durch
den Interpreten in die eine oder in die andere Richtung irritiert wird."
Die kleinen Details
Diese Vielzahl an Varianten, die es innerhalb der einzelnen Interpretationen
gibt, findet Kaufmann durchaus spannend. "Man kann immer wieder feilen, auch
wenn es sich dann nur um kleine Details handelt. Aber das Lernen sollte nie
aufhören." Vor allem aber möchte er nicht zu jenen Sängern zählen, die mit
sechs oder sieben Partien eine ganze Karriere hindurch das Auslangen finden.
Die Gefahr besteht bei Jonas Kaufmann allerdings nicht. Zwischen Tamino und
Otello singt er an allen bedeutenden Opernbühnen alles, was gut und teuer
ist. Zuletzt war er an der Staatsoper in Wien ein begeisternder Des Grieux
in Jules Massenets Manon; ab Samstag singt er Cavaradossi in Puccinis Tosca.
Und im Juli, bei den Münchner Opernfestspielen, hört man ihn erstmals in der
Titelpartie bei Richard Wagners Lohengrin.
Dass man Jonas Kaufmann, der einen Exklusivvertrag beim Label Universal hat,
beim Singen nicht nur gern zuhört, sondern ihn auch gern ansieht, hat sich
mittlerweile ja wohl schon herumgesprochen. Wie geht er mit den ihn
umschwärmenden Verehrerinnen und auch Verehrern um?
"Ich nehme mir nach den Vorstellungen hinreichend Zeit. Nicht nur für
Autogramme, sondern auch zum Zuhören. Immerhin haben sich ja alle auch Zeit
genommen, um mir zuzuhören. Aber ich spiele die Rolle, die ich auf der Bühne
gespielt habe, im profanen Leben nicht weiter. Dazu bin ich viel zu
bodenständig" , so der Vater dreier Kinder. (Peter Vujica / DER STANDARD,
Print-Ausgabe, 8.5.2009) |
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