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Müssen Tenöre schön sein?
Heldentenor Jonas Kaufmann, Bayreuths neuer Lohengrin und „der schönste Mann der Oper“ wie deutsche Blätter schreiben, gastiert an der Wiener Staatsoper und im Konzerthaus.
Müssen Tenöre schön sein? Oder wäre Juan Diego Flórez, der stratosphärische Belcantist aus Peru, genauso berühmt, wenn er aussähe wie der Glöckner von Notre-Dame? Auch Jonas Kaufmann, der schwarzgelockte Bayer mit dem schicken Dreitagebart und dem bigsmile, der so gar nicht deutsch ausschaut, sondern eher wie ein italienischer Gigolo, ist ein schöner Mann. Und er ist auf dem besten Weg, nach dem neuerlichen stimmlichen Zusammenbruch des Mexikaners Rolando Viliazón, mit seinem baritonal gefärbten, leicht verschleierten Tenor, der nicht nur über enorme Kraftreserven, sondern auch über ein ergreifend zartes, fast gehauchtes Piano verfügt, der Nachfolger des großen Domingo zu werden.

Schwanenritter. An der New Yorker Met, in London und Paris hat er als Alfredo, Cavaradossi und Don José triumphiert, am Opernhaus Zürich hat er mit Großmeistern wie Harnoncourt und Welser-Möst gearbeitet. In München debütiert er im Sommer als Lohengrin, ein Jahr später will er als Wagners Schwanenritter den Grünen Hügel in Bayreuth erstürmen, womit klar ist, wer der deutsche Heldentenor des 21. Jahrhunderts ist.

An der Wiener Staatsoper hat Kaufmann, der einen Exklusivvertrag mit dem englischen Label DECCA hat und im Mai seine zweite Solo-CD, Sehnsucht, herausbringt, nach einem einsamen Tamino vor drei Jahren nun den Des Grieux in Massenets Manon gesungen, der Cavaradossi in Puccinis Tosca folgt. Im Konzerthaus gibt er einen Liederabend mit Werken von Schubert, Schumann und Richard Strauss.

ÖSTERREICH: Sie sind ein Superstar in Deutschland - warum sind Sie in Wien kaum aufgetreten?

JONAS KAUFMANN: Ich habe tatsächlich vor meinen jetzigen Auftritten in Wien nur eine Vorstellung gesungen, den Tamino in der Zauberflöte. Letztes Jahr hätte ich eine Serie Manon singen sollen, da hab ich mir eine Rippe gebrochen und musste absagen. Ich bin aber auch in Deutschland nicht sehr viel aufgetreten, ich bin über das Ausland, London, Paris, Mailand, New York, in meiner Heimat angekommen. In Wien ist es ähnlich; jeder Operndirektor hat seinen persönlichen Geschmack, manche engagieren mich, manche nicht. Andere Häuser waren schneller und haben ein größeres Stück vom Kuchen bekommen.

ÖSTERREICH: Wie geht es weiter an der Wiener Staatsoper?

KAUFMANN: Es wird mehr werden. Ich bin mit dem neuen Direktor Dominique Meyer im Gespräch, und mit dem Musikchef Franz Welser-Möst habe ich ja in Zürich viel gearbeitet. Er möchte mit mir eine Neuproduktion von Fidelio in Wien machen, da müssen wir nur noch einen Termin finden. Es gibt auch noch andere Premieren und Wiederaufnahmen, über die wir sprechen.

ÖSTERREICH: „Fidelio“ haben Sie in Zürich mit Harnoncourt gemacht. Haben Sie eine besondere Affinität zu österreichischen Dirigenten?

KAUFMANN: Dass beide Österreicher sind, ist, glaube ich, ein Zufall. Musikalisch kommen sie aus ganz anderen Richtungen. Obwohl sie beide sehr genau sind und auch leise dirigieren können. Welser-Möst achtet sehr auf das Piano, und ich finde auch, dass die leisen Töne das Salz in der Suppe sind. Man sollte nicht alles zudröhnen, die Feinheiten findet man im Leisen. Harnoncourt sucht und findet in jedem Stück, das er dirigiert, einen neuen Weg. Er hat nicht nur viele Verdienste in der Alten Musik, das reicht weit bis in die Romantik, wo er scheinbare „Neuerungen“ eingeführt hat - die stehen sogar in der Partitur, sind aber durch Schlamperei und falsche Hörgewohnheiten verloren gegangen.

ÖSTERREICH: Warum singen Sie Des Grieux und Cavaradossi an der Staatsoper und kein deutsches Repertoire?

KAUFMANN: Weil ich mein Repertoire — deutsche Partien, italienische, französische —mischen will. Das ist ein gutes Rezept, mich frisch zu erhalten, was die Motivation und die Stimme betrifft. Ich bin auch nicht über das deutsche Fach bekannt geworden, sondern über Carmen, Manon, Traviata, Bohème,Tosca. Ich möchte verschiedene Aspekte zeigen. In Wien gebe ich zwischen Manon und Tosca, einen Liederabend im Konzerthaus mit deutschem Repertoire — Schubert, Schumann, Richard Strauss. Ich will in keine Schublade gesteckt werden.

ÖSTERREICH: Aber Ihre Stimme hat einen deutschen Klang.

KAUFMANN: Das finde ich nicht. Auf meiner ersten Solo-CD bei der DECCA, Romantische Arien, habe ich ein gemischtes Repertoire gesungen, das neue Album, Sehnsucht, ist deutsch, es wird aber auch ein italienisches und ein französisches geben. Ich will mich auch auf der Bühne nicht festlegen. Diese Saison habe ich Manon in Chicago gesungen, Fidelio in Paris, Tosca in Zürich, als nächstes Projekt kommt Lohengrin in München. Auch in Wagner-Partien profitiert meine Stimme von den Erfahrungen in italienischen und französischen Opern.

ÖSTERREICH: Wagner wird immer wichtiger, Bayreuth steht vor der Tür...

KAUFMANN: Ich habe zuerst Parsifal in Zürich gesungen —da habe ich gleich Blut geleckt, Wagner tut auch meiner Stimme sehr gut -‚ dann den Stolzing, jetzt kommt Lohengrin. Die französischen und italienischen Rollen werden auch immer dramatischer, im deutschen Fach gibt es für mich nur mehr Wagner und Strauss. Ariadne und Die Frau ohne Schatten werde ich singen, aber jetzt ist Wagner dran. Man orientiert sich natürlich immer nach oben, und Wagner ist das Ende der Leiter im deutschen Fach.

ÖSTERREICH: Und das Lied

KAUFMANN: Das Lied gibt es immer, ich liebe es sehr, weil ich da die größte künstlerische Freiheit habe. Ich mache Liederabende mit dem Pianisten Helmut Deutsch, den ich seit fast zwanzig Jahren kenne; da muss ich nicht ein großes Orchester überschreien und auf Kollegen Rücksicht nehmen. Außerdem kann ich beim Lied in Bereiche meiner Stimme vordringen, die in der Oper nicht möglich wären.

ÖSTERREICH: Wie stehen Sie zur Vermarktung von Opernsängern als Popstars?

KAUFMANN: Leider ist Oper heute ein Nischenprodukt; vor hundert Jahren gab es kein Kino, kein Fernsehen, kein Internet, da waren die Opernsänger und Schauspieler die Könige. Heute wird ein Opernsänger von einer breiten Öffentlichkeit nur dann wahrgenommen, wenn eine große Plattenfirma mit ihrer Marketingmaschinerie hinter ihm steht. Das hat den erfreulichen Nebeneffekt, dass man Aufnahmen machen kann, man muss aber aufpassen, dass die Vermarktung nicht überhand nimmt. Wenn ich wollte, könnte ich jeden Tag in einer Talkshow auftreten; das mache ich aber nicht. Man muss wissen, was man will, und darf sich nicht auf einer Welle der Glückseligkeit treiben lassen.

ÖSTERREICH: Wie Rolando Villazón, der sich durch zu viele Marketing-Aktivitäten die Stimme ruiniert hat?

KAUFMANN: Ja, das ist furchtbar. Ich wünsche ihm, dass er die Kurve wieder kriegt. Singen ist eine sehr komplexe Angelegenheit. Wenn man psychische Krisen hat, schleppt man alles mit auf die Bühne. Ein Opernsänger braucht Ruhe und Selbstsicherheit, denn er muss sich ja da hinstellen und vor ein paar tausend Leuten auf ziemlich exhibitionistische Weise sein Innerstes nach außen kehren. Wenn ich unruhig und unsicher bin, kann ich diese Leistung nicht bringen. Die Stimme spiegelt ja meine Seele wider, meine Stimmung. Wenn ein Knacks im System ist, strahlen die Stimmbänder, diese schmalen, verletzlichen Muskeln, nicht. Villazón ist kein Einzelfall; man muss sich über die Endlichkeit dieser Kunst im Klaren sein; morgen kann die Stimme weg sein.
E. Hirschmann-Altzinger






 
 
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