Opernglas, Juni 2002
JONAS KAUFMANN
VORGESTELLT

Erfolg international
Nicht nur macht der junge deutsche Tenor international Karriere; er feiert seine Erfolge auch abseits des deutschen Repertoires. Karl-Franz Schulter traf ihn in Stuttgart.

Herr Kaufmann, diese Wochen stehen bei Ihnen ganz im Zeichen des Faust. Sie werden in Brüssel in einer Neuinszenierung von »La Damnation de Faust« die Titelpartie übernehmen.

Ich werde den Faust in Brüssel zum ersten Mal singen und habe dabei das Glück, mit Susan Graham und José Van Dam zwei ganz ausgezeichnete Partner zur Seite zu haben. Der Faust ist ja nicht so ganz ohne, man hat einen Spagat zu meistern zwischen den - etwa im Duett - extremen Höhen, die zwei Mal hinauf bis zum Cis gehen, und den tollen dramatischen Stellen, wie etwa in der „Invocation à la Nature“, der letzten Arie des Faust, wo fast alles in der Mittellage liegt und die Stimme voll strömend gesetzt werden muss.

In Ihrer noch jungen Laufbahn haben Sie bereits etwas erreicht, was in Ihrem Fach nicht vielen deutschen Sängern gelingt: Sie können bereits auf große Erfolge in den USA verweisen. Über Ihr Debüt in Chicago im Herbst des letzten Jahres als Cassio war nicht nur die amerikanische Presse voll des Lobes (vgl. OG 12/01). Was hat sich seither in Amerika für Sie getan?

Ich habe nicht nur das erste Mal dort gesungen, ich war auch zum ersten Mal in meinem Leben in den Staaten! Während der Probenzeit gab es ein Openair-Konzert in Chicago im Grand Park. Das war ein traumhaftes Erlebnis, in einer wunderbaren Atmosphäre. Es war einer der letzten lauen Abende und dazu diese gigantische Kulisse: Man hörte den See rauschen, der ja eigentlich ein Meer ist, und hatte die beleuchtete Stadt mit ihren großen Türmen hinter sich. Es waren über 40.000 Menschen bei diesem Konzert. Ich weiß nicht, wie ich das verdient habe, aber die Presse hat sich schon nach diesem Konzert überschlagen und getitelt „A new star was born“ und ich sollte ja nur den Cassio singen! Ich hatte diese Rolle bewusst für mein Amerika Debüt gewählt, aus Respekt vor dem Land und vor seinen großen Opernhäusern. Zwei Jahre zuvor war ich schon einmal für eine wesentlich größere Partie im Gespräch; ich habe mich aber damals dagegen entschieden, da ich sie noch nie gesungen hatte. Ein Rollendebüt und das Debüt in den Staaten - das war mir einfach zu riskant.

Seither habe ich viele neue Anfragen bekommen, nicht nur aus Chicago, sondern auch von anderen Theatern. An der Lyric Opera werde ich nächstes Jahr im März den Alfredo in »La Traviata« singen, wie auch an der Met im Dezember 2005 und Februar 2006. Aber auch von den anderen großen Häusern in den Staaten, wie San Francisco, habe ich Anfragen, und alle sagen, dass sie unbedingt etwas mit mir machen möchten. Es hat mich schon sehr beeindruckt, dass solche Opernhäuser, die ja auch ein großes Risiko tragen - ein noch größeres als jene hier in Europa, weil sie eben rein privat finanziert sind - einfach so spontan sagen können: „Ja wir wollen Sie für das und das.

Arbeiten Sie trotz Ihres Erfolges weiterhin mit einem Gesangslehrer? Wie wichtig ist es, die Entwicklung der Stimme immer weiter kontrollieren zu lassen?

Ich habe vor allem einen so genannten, eigentlich gar nicht vom Gesang kommenden „Coach“. Mit ihr gehe ich alle meine neuen Partien durch, und sie sagt mir dann immer sofort: Halt, du drückst, das ist zu viel, der ist zu tief, der sitzt nicht usw... Natürlich versuche ich daneben auch immer wieder zu einem „richtigen“ Lehrer zu gehen, aber mir kommt auch zu Gute, dass ich eine Frau habe, die ebenfalls Opernsängerin ist. Sie hat ein sehr gutes Ohr und ist zugleich meine schärfste Kritikerin. Extrem von der Spur abweichen kann man also nicht, weil dann der Partner - ich mache das umgekehrt auch - die Notbremse zieht, und sagt, irgendwie läufst du in eine falsche Richtung.

Wenn man neue Sachen singt, so wie ich jetzt gerade diese »Damnation«, ist das natürlich besonders wichtig, wenn jemand da ist, der einen bremst. Als ich den Faust zuerst allein einstudierte, habe ich schon bemerkt, dass ich übers Ziel hinaus schieße, weil mich die Musik und diese Emotionen derart mitgerissen haben. Ich habe schon einige Stücke, die man mir angetragen hatte, abgelehnt, nicht weil ich denke, dass ich sie nicht singen könnte, sondern weil ich einfach glaube, dass ich vom Kopf her noch nicht abgeklärt und routiniert genug bin, um sie zu gestalten. Don José würde ich zum Beispiel liebend gerne singen, aber der steht so unter Strom, und das überträgt sich auch auf den Sänger als Person. Wenn man sich da zu sehr mitreißen lässt, kann es sehr gefährlich werden.

Sie gastieren zurzeit wieder am Stuttgarter Opernhaus und singen hier, wie bereits vor vier Jahren in der Premiere, den Jaquino. Viele Opernbesucher stört an dieser Inszenierung des »Fidelio«, dass er durch die Ausdehnung der gesprochenen Passagen mit Schauspieleinlagen fast schon in die Nähe eines Schauspiels mit Musik gerückt wird. Können Sie diese Bedenken nachvollziehen?

Ja und nein. Wenn ich nicht in dem Stück involviert wäre, und es sehen würde, ohne irgendeine Vorkenntnis, dann würde ich mich auch sehr wundern. Aber man muss doch auch sagen, dass »Fidelio« ein Singspiel ist, was bedeutet, dass es aus einzelnen Musiknummern besteht, die durch Text voneinander getrennt sind. Und ich denke auch, dass es von Beethoven so angelegt worden ist, weil er gerade auf die Wirkung der einzelnen Stücke mehr Wert gelegt hat, als auf den Gesamtbogen. Martin Kusej, der ja vom Schauspiel kommt und keine Berührungsängste mit Dialogen hat, hat sich diesen Teil besonders intensiv vorgenommen.

Das Extreme in seiner Inszenierung ist ja nicht, dass der Text relativ lang ist, sondern dass zwischen den Textpassagen oft minutenlanges Schweigen herrscht. Es handelt sich dabei aber nie um mehr als zwei Minuten, in denen nichts gesprochen wird, und doch kommt es einem unendlich vor. Ich finde, durch diese Anlage werden die Spannungen, die in diesem Stück liegen, sehr stark hervorgehoben. Mir hat diese Produktion auch Spaß gemacht, weil der Jaquino normalerweise eine wesentlich geringere Tätigkeit auf der Bühne hat.

Anfang 1998, also kurz vor dem »Fidelio«, hatten Sie noch die Gelegenheit, mit Giorgio Strehler in Mailand zu arbeiten, der während der Proben zur »Cosi« verstorben ist. Was zeichnete die Arbeit mit diesem Altmeister der Regie aus?

Die Arbeit mit Strehler war für mich eines der einschneidendsten Erlebnisse, die ich bisher gehabt habe. Es war einfach unglaublich, wie dieser Mann, der bereits weit über siebzig war, mit seiner unglaublichen Energie und Präsenz diese Produktion beherrscht hat. Wir haben uns gefühlt wie in der Schule.

Ich hatte Strehler in Mailand vorgesungen, und er war offenbar angetan von mir - aber nicht von der Idee, mich als Ferrando zu besetzen. Seine Begründung war, ich sei zu alt! Ich war bei diesem Vorsingen noch keine 27. Jeder Sänger rechnet damit, dass er irgendwann einmal an den Punkt kommt, an dem man zu ihm sagt, dass er zu alt für eine Rolle sei, aber dass mir das so früh passieren würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Aber Strehler wollte unbedingt ganz junge Leute haben. Seine erste Idee war, alle sollten unter 20 sein. Das war natürlich vom musikalischen Standpunkt her nicht realisierbar. Die nächste Messlatte war 25. Über die war ich auch schon hinaus. Letztlich musste er dann doch Kompromisse in so mancher Hinsicht machen.

„...das hat mir in all den Jahren meines Studiums niemand beigebracht.“

Sie stammen aus München und haben an der dortigen Musikhochschule studiert. Wie sind Sie zum Gesang und zu Ihrem Entschluss, Gesang zu studieren, gekommen?

Ich bin in München geboren und aufgewachsen. Ich habe immer viel und gern gesungen und schon als Kind gesagt: „Ich werde Opernsänger. Das war aber so, als wenn man sagt, man wolle einmal Lokomotivführer werden. Mein Großvater und mein Vater sind beide sehr begeisterte Opernliebhaber gewesen, und es lief zu Hause ständig klassische Musik.

Durch meinen ersten richtigen Lehrer an der Hochschule in München habe ich dann zum ersten Mal Begriffen, dass man Gesang auch studieren kann. Ich war aber trotzdem noch der Meinung, ich müsse etwas anderes machen, weil man damit kein Geld verdienen kann. Mein Vater, so sehr er Musik auch mochte, fand das irgendwie eine brotlose Kunst, und ich gebe ihm in gewissem Sinne auch Recht, denn es gibt genügend ausgebildete Sänger, die damit nicht ihr Geld verdienen können. Nach dem Abitur habe ich angefangen, Mathematik zu studieren, aber sehr schnell gemerkt, dass das gar nicht mein Ding ist. Aus Spaß habe ich an der Hochschule die Aufnahmeprüfung gemacht - in München und in Salzburg. Ich entschied mich für München, weil das für mich sehr praktisch war.

Nach dem Abschluss Ihrer Gesangsausbildung sind Sie für zwei Jahre als Ensemblemitglied an das Staatstheater in Saarbrücken gegangen. Wie wichtig war diese Zeit für Sie, wenn Sie jetzt zurückblicken?

In Saarbrücken, von 1994-1996, waren meine Lehrjahre. Ich habe insgesamt in diesen zwei Jahren in 14 Rollen debütiert. Ich hätte mich vielleicht auch mehr wehren können, denn bis auf eine einzige Partie habe ich alles gesungen, was ich machen sollte. Während des Studiums erahnt man noch nicht, wie umfangreich das Arbeiten eigentlich ist. Heute macht mir das nichts mehr aus, ich habe mich daran gewöhnt. Aber die Stimme und den Körper daran zu gewöhnen, dass man sechs Mal die Woche acht Stunden am Tag singt, das bringt einem kein Studium bei. Auf der Hochschule wird eine Opernproduktion ein halbes Jahr lang vorbereitet, bis es letztlich zu einer kleinen Serie von Aufführungen kommt. Und wenn man dann in den Opernbetrieb hinein kommt, muss man von heute auf morgen ein Stück erlernen, und hat immer drei oder vier Sachen gleichzeitig im Kopf. Das wechselt anfangs tagtäglich zwischen den Fächern. Das hat mich sehr geprägt. Mir hat damals jemand gesagt: “Wenn du das überlebst, dann hast du gute Aussichten, in diesem Beruf weit zu kommen.“

Ich hatte einen typischen Anfängervertrag, in dem es lautete: Tenor für Oper, Operette, Musical und nach Individualität - und das heißt eben alles. Durch das viele Singen und Wechseln zwischen den Fächern habe ich wirklich Schwierigkeiten bekommen und an diesem Beruf gezweifelt. Dann konnte ich einen neuen Lehrer kennenlernen, der mir einen neuen Weg gezeigt und mir auch klar gemacht hat, dass man immer mit seiner Stimme singen muss.

Welche Sänger sind Vorbilder für Sie?

Nicolai Gedda ist ein Vorbild für mich. Ich hatte vor, wegen des Faust zu ihm zu fahren, aber leider hat das nicht geklappt. Er hat das deutsche, das französische und das italienische Fach gesungen, und seine Stimme ist dabei immer weich und rund geblieben. Er hat alles abgedeckt, ohne Probleme. Mir ist jetzt ein paar Mal »Benvenuto Cellini« angeboten worden, das ist ja eine ewig lange Partie, und wenn man sich Geddas Aufnahme anhört, denkt man, das ist alles ganz gemütlich. Wenn ich aber die Noten dazu ansehe, weiß ich, dass das ein Hammer ist. Von den deutschen Tenören ist es Fritz Wunderlich, wobei mich bei ihm beeindruckt, dass er eben als Deutscher nicht nur in das deutsche Fach hineingerutscht ist.

Werther und Hoffmann wären auch Rollen für Sie?

Werther ist fraglos eine Partie, die ich sehr gerne Singen würde, denn eine bessere französische Partie kann man sich nicht wünschen. Hoffmann ist schon wieder eine von diesen stark emotionalen Partien.

Lohengrin oder Florestan?

Lohengrin, denke ich, wird bei mir irgendwann kommen. Aber den schiebe ich noch möglichst weit vor mir her. Mir ist sogar bereits Siegfried angeboten worden, zwar erst für 2007 oder so, aber dazu kann ich nur sagen: Was soll das? Das habe ich auch jetzt zu Angeboten für Lohengrin gesagt. Was nützt es mir, wenn ich als jüngster Lohengrin in die Geschichte eingehe, der danach seine Stimme verloren hat? Ich denke schon, dass die Wagnersche Art mir entgegenkommt, dieses rezitativische Singen mag ich sehr gerne.

In Konzerten mache ich manchmal schon solche Experimente. Im Sommer singe ich unter Helmuth Rilling ein paar Mal den Florestan, den ich jetzt aber noch auf keinen Fall auf der Bühne singen will. Rilling vertraue ich einfach. Ich habe bereits viele Sachen unter ihm gesungen.

Können Sie noch weitere fest eingeplante Projekte nennen?

Ich werde im nächsten Sommer in Salzburg unter der musikalischen Leitung von vor Ivor Bolton Belmonte und 2004, ebenfalls in Salzburg, den Tamino in einer Wiederaufnahme von Achim Freyers »Zauberflöte« singen. Als Titus werde ich 2004 in Hamburg auf der Bühne stehen. Auch den Cassio singe ich wieder 2004 an der Pariser Bastille.






 
 
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