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MAX JOSEPH, Ausgabe Nr. 3 |
Text: Anne Urbauer |
„Klatschen – Aus!“
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Bekannt wurde er mit den Helden Verdis,
jetzt singt er in München den Lohengrin. Ein Gespräch mit dem Startenor
Jonas Kaufmann über Risiken und Nebenwirkungen seines rauschenden Erfolgs
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Frage: Wir möchten mit Ihnen über Narzissmus und Erfolg reden.
Kaufmann: Das klingt nach durchaus unangenehmen Fragen.
Frage: In den vergangenen ein, zwei Jahren sind phänomenale Dinge in
Ihrer Karriere passiert: die erste CD bei dem renommierten Klassiklabel
Decca, die erste Tournee, Vergleiche mit Fritz Wunderlich.
Kaufmann: Ich habe nicht mehr gearbeitet als vorher, aber die
Resonanz hat sich sehr verändert. Das ist natürlich gut. Dann kamen die
richtigen Produktionen, Häuser, Kollegen hinzu, sodass jetzt das richtige
Gesamtbild entstanden ist.
Frage: „Der Spiegel“ hat Anfang 2008 über Sie als „kommenden
Jahrhunderttenor“ geschrieben. Was macht das mit einem, wenn man das über
sich liest?
Kaufmann: Man versucht, der Gleiche zu bleiben. Aber natürlich
verändert es einen.
Frage: Inwiefern sind Sie heute ein anderer?
Kaufmann: Es desillusioniert. Man wird reservierter, weil man hinter
die Kulissen des Geschäftes schaut und auch negative Seiten kennenlernet. Je
mehr Artikel über mein Privatleben und über Äußerlichkeiten erschienen sind,
desto reservierter bin ich geworden. Das sind Erfahrungen, die man macht.
Heute versuche ich, das Ganze in andere Bahnen zu lenken. Ich bin weniger
spontan.
Frage: Viele Leute würden sterben vor Angst, wenn sie auf eine Bühne
gehen und in einer Premiere den Lohengrin singen müßten. Wie viel Narzissmus
ist lebensnotwendig in Ihrem Beruf?
Kaufmann: Jeder Sänger muß selbstverliebt sein. Wenn ich nicht
felsenfest von mir überzeugt wäre und davon, dass die andern das gut finden
werden, was ich mache, könnte ich es nicht.
Frage: Waren Sie immer so überzeugt von sich?
Kaufmann: Nicht immer. Am Anfang meiner Karriere war ich unsicher und
habe technische Fehler gemacht. Deswegen hatte ich immer wieder Probleme,
bis dahin, dass die Stimme auf der Bühne ganz wegblieb. Beim Singen hängt ja
alles zusammen : Wenn man seine Stimme schlecht behandelt, wird der ganze
Apparat anfällig für jedes Bakterium und Virus in der Gegend.
Frage: Haben Sie an sich gezweifetl?
Kaufmann: Nicht so, dass eine Welt zusammengebrochen wäre. Aber
irgendwann war ein Punkt erreicht, an dem ich dachte: Wenn ich jeden Abend
wieder so existenziell auf die Probe gestellt werde – reicht es heute,
schaffe ich das heute? - , dann ist das nicht meine Sache.
Frage: Sind sie heute entspannt auf der Bühne?
Kaufmann: Ich bin nicht aufgeregter als jeder andere, der in seinen
Job geht. Und ich habe in meinem Job vermutlich etwas mehr Spaß als jemand,
der den ganzen Tag am Computer sitzt.
Frage: Genießen Sie den Ruhm?
Kaufmann: Natürlich freue ich mich, dass so ein Hype gemacht wird.
Man darf eigentlich gar nicht sagen, wie wenig Anstrengung das kostet. Ja,
ich bin nicht nervös, ich habe kein Lampenfieber. Ich hätte nicht gedacht,
dass das einmal so sein könnte.
Frage: Es gibt keinen Artikel aus dem vergangenen „Kaufmann-Jahr“, der
nicht Ihr Aussehen thematisiert hätte. Hat Sie jemals der Gedanke
beschlichen: Die würden mich alle nicht ganz so gut finden, wenn ich
glatzköpfig und dick wäre?
Kaufmann: Ich habe es belächelt, ich habe es anfangs auch als
schmeichelnd empfunden, aber irgendwann kam dann der Punkt, an dem ich
dachte, das ist jetzt wirklich auch mal gut. Ich gebe zu, dass man mir
anfangs bereitwilliger zuhört, weil ich so aussehe. Jemand anderer hat
vielleicht ein Handicap, überhaupt gehört zu werden. Ich liebe diesen Beruf,
und das bedeutet, dass ich ihn möglichst lange ausüben will. Wäre ich
überzeugt, dass das Aussehen ein wesentlicher Bestandteil meines Erfolgs
ist, dann würde ich Gefahr laufen, das Wesentliche zu vernachlässigen: das
Singen. Aber ich bin überzeugt, dass sich Qualität durchsetzt. Wenn es
anders wäre, müsste ich nicht nur an mir zweifeln, sondern an dem ganzen
System.
Frage: Gibt es zu viel Schönheit in der Oper – oder wie entscheidend ist
heute gutes Aussehen für die Karriere eines Opernsängerns?
Kaufmann: Ich gehöre auch zu denen, die sagen, dass die Oper
reformiert werden musste, weg vom Stehtheater, dass sie mehr
Ernsthaftigkeit, Glaubwürdigkeit, Realität und richtiges Schauspiel braucht.
Auch dass es Protagonisten geben muss, die ein neues Publikum anziehen. Das
führt zu mehr Akzeptanz. Aber heute können wir uns den Zauber zwischen zwei
Menschen eben kaum noch vorstellen, wenn nicht zwei gut aussehende Sänger
singen. Das bedeutet auch einen Verlust an Fantasie.
Frage: Haben Sie schon mal befürchtet, Sie könnten sich zu sehr an sich
selbst berauschen?
Kaufmann: Ich glaube nicht an ein Rezept, wie man einem Übermaß an
Narzissmus entgeht, außer das eigene Verhalten zu reflektieren, sich zu
fragen, welche Reaktionen man hervorruft, was das für Dinge sind, die
plötzlich so wichtig geworden sind. Letztlich ist die Antwort fast immer die
Familie. Sie hält mich immer auf dem Boden. Die Kinder behandeln mich wie
einen ganz normalen Vater und nicht als Halbgott. Gerade in den
Karriereschüben der letzten Jahre habe ich mich sehr bemüht, die Balance zu
wahren. Je mehr man haben kann, desto mehr muss man sich fragen, ob man das
haben muss. Das gilt ja nicht nur für den Ruhm.
Frage: Als der Erfolg kam, waren Sie alt genug, um ihn zu verkraften?
Kaufmann: Ich bin jedenfalls heilfroh, dass es mich erst relativ spät
erwischt hat!
Frage: Nach all den Erfolgen im Ausland sind der Lohengrin in München und
die Liedermatinee bei den Opernfestspielen eine Heimkehr oder eine
Eroberung?
Kaufmann: Eine Heimkehr. Ich habe mich immer bemüht, möglichst breit
gefächert zu sein, was sehr mühsam war und lange gedauert hat. Es war
schwierig, Akzeptanz im italienischen oder französischen Fach zu erreichen,
weil offensichtlich auch Deutsche einem Landsmann diese Gefühlswallungen
nicht zutrauen. Zu Deutschland habe ich vielleicht nicht stimmlich, aber
sicher seelisch eine ganz besondere Affinität.
Frage: Können Sie diese Affinität genauer beschreiben?
Kaufmann: Mozarts „Zauberflöte“ war bei mir, wie bei vielen, eine der
ersten Opern. Mein Großvater war ein großer Wagnerianer, saß immer zu Hause
am Klavier und spielte Klavierauszüge. Eine Eroberung ist das höchstens in
dem Sinne, dass ich sage: Ich will mir als Sänger diesen Bereich auch nach
oben hin erschließen, es ist ein erster Versuch, die Vielseitigkeit dessen,
was Oper in Deutschland bedeutet, darzustellen.
Frage: Worin liegt für Sie beim Lohengrin die Herausforderung?
Kaufmann: Ich habe so viel im französischen und italienischen Bereich
gemacht, da könnten einige ja sagen: Was wird er denn jetzt mit unserem
Wagner anstellen? Aber gerade bei Lohengrin profitiere ich von der
Erfahrungen im italienischen Fach, weil „Lohengrin“ so anders ist als andere
Wagner-Opern: eine ganz andere Linienführung, die Tessitur viel größer,
italienischer. Ein typischer Wagner-Tenor hat seine Schwierigkeiten mit
dieser Partie. Dietrich Fischer-Dieskau hat damit geliebäugelt, die Partie
zu singen. Da sieht man, wie tief sie liegt.
Frage: Ihre neue CD heißt „Sehnsucht“. Muss man Sehnsucht haben, um
Sänger sein zu können?
Kaufmann: Ja, Sehnsucht heißt, dass man sich in andere Welten
versetzen kann, dorthin , wo man gerade nicht ist.
Frage: Zur Sehnsucht gehört auch Schmerz.
Kaufmann: Als Sänger muss man große emotionale Kontraste aushalten
können. Auf der Bühne steht man im Mittelpunkt, vor Tausenden von Menschen
sehr exponiert, und kehrt fast exhibitionistisch das Innerste nach außen,
was verwundbar macht. Eine Viertelstunde später geht man durch die Tür ins
Hotel und in kürzester Zeit findet man sich in völliger Einsamkeit wieder.
Sie können nicht zu Hause anrufen, denn wegen der Zeitverschiebung schlafen
dort alle tief und fest. Sie brauchen Stunden, um den Adrenalinspiegel
abklingen zu lassen. Ich lese dann meistens, andere fangen an, die Minibar
auszuräubern. Natürlich habe auch ich sehr triste Momente erlebt. Sie kommen
mir heute bei meiner Rollengestaltung zugute, weil ich das im Spiel
reproduzieren kann.
Frage: Wie können Sie diese einmal erlebten Gefühle als Sänger nutzen?
Kaufmann: Ich kann nur Gefühle spielen, die ich zuvor erlebt habe.
Man konstruiert in sich eine virtuelle Welt, in die man so tief eintaucht,
wie es nur irgend geht. Mit der Zeit entwickelt man eine gewisse Routine
darin und, was viel wichtiger ist: Man hat dadurch ein Instrument, mit dem
man auf der Stimme spielen kann.
Frage: Wie spielt man dieses Instrument?
Kaufmann: Die Stimme ist ja nicht nur im Sprichwort ein Spiegel der
Seele. Man kann diesen Zusammenhang im Spiel nutzen, wenn man Gefühle in
sich wachruft, die man früher einmal erlebt hat. Diese Gefühle lassen sich
über das Zwerchfell an die Stimmbänder weitergeben und machen sich auch beim
Zuhörer wieder bemerkbar. Das geht direkt hier (deutet auf seinen Oberbauch)
hinein, da ist der Sitz der Seele. Ein tolles Erlebnis, das nichts mit
Vorkenntnissen oder einem Bildungsniveau zu tun hat. Wer ein Stück schon
sehr gut kennt, erlebt auch etwas anderes, als wenn man es zum ersten Mal
hört.
Frage: Spielen Sie Gefühle wie Euphorie oder erleben Sie sie auf der
Bühne auch?
Kaufmann: Ja, denn es gibt Tage, an denen alles stimmt: Man selbst ist gut
drauf, die Kollegen auch und der Dirigent und das Orchester. Das ist
phänomenal, in dieser Emphase werden ganz andere Kräfte freigesetzt, weil
man nicht bewußt wahrnimmt, was man da eigentlich gerade tut.
Frage: Klingt nach so etwas Ähnlichem wie Rausch.
Kaufmann: Voraussetzung dafür ist Technik. Wenn es nicht
hundertprozentig stimmt, wenn ich den Mund aufmache, und wenn ich nicht mit
der gleichen Spontaneität das, was ich jetzt sage, auch singen könnte, dann
wird man das hören. Das hat mit Selbstüberzeugung und mit Selbstsicherheit
zu tun , denn wenn man das eigene Können hinterfragt, dann kann es nicht
frei und natürlich und spontan kommen. Und wenn man auf der Bühne auch noch
Partner mit großen Energien hat, dann schwingt es immer weiter und immer
weiter auf und kommt in Bereiche hinein, in denen die Realität verschwimmt.
Frage: Zu guter Letzt: Was raten Sie all denen, die zum ersten Mal in die
Oper gehen?
Kaufmann: Ich versuche immer wieder, Leute in die Oper zu locken. Es
ist für mich ein Rätsel, dass man glaubt, man könne etwas falsch oder sich
lächerlich machen. Es gibt nur zwei Regeln: sich ruhig verhalten, und wenn
einem was gefällt, klatschen – aus! |
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