|
|
|
|
|
Neue Luzerner Zeitung, 25.09.2010 |
Fritz Schaub |
|
Der Tenor, der fast seine Stimme verlor
|
|
Ungeachtet dessen, dass immer wieder der Zerfall
der Gesangskunst beklagt wird, sind gerade im Tenorfach in letzter Zeit
vielversprechende Ritter des hohen Cs aufgetaucht: Marcelo Alvarez, Juan
Diego Florez, Rolando Villazon und jüngst Vittorio Grigolo. Seit zwei, drei
Jahren aber ist einer im Gespräch, der sie alle überragt. Er heisst Jonas
Kaufmann, ist 41-jährig, sieht eher wie ein Latin Lover aus, stammt aber aus
München.
Über welch aussergewöhnliche Qualitäten der Sänger verfügt,
konnte man am Lucerne Festival bei der halb szenischen Wiedergabe von
Beethovens «Fidelio» unter Abbado erleben, in dem Kaufmann mit dem Florestan
eine der schwierigsten Tenorpartien sang: mit einem Pianissimo-Ansatz bei
der grossen Freiheitsarie, die er in der Folge scheinbar mühelos zu
heldischer Strahlkraft steigerte.
«Meinen die mich?»
Wie bei
allen grossen Sängern markierte ein bestimmtes Ereignis den grossen
Durchbruch: 2006 das Debüt an der New Yorker Met mit dem Alfredo in Verdis
«La Traviata», als er vom verwöhnten New Yorker Publikum stürmisch gefeiert
wurde. «Meinen die wirklich mich?», soll der Künstler ungläubig gefragt
haben. Dieser Ausspruch ist der Untertitel der neuen Biografie über
Kaufmann.
«Ein Sänger ganz nach meinem Herzen», schrieb Placido
Domingo in seinem Vorwort. Auch Alexander Pereira und Franz Welser-Möst
weisen auf gewisse Parallelen mit dem Megastar hin: die baritonale Tiefe,
die Spannweite des Repertoires, den Schmelz, der sich genauso gut für das
französische und italienische Fach wie für das deutsche eignet. Pereira und
Welser-Möst kennen den Künstler besonders gut, bildete doch das Zürcher
Opernhaus das «Mutterschiff» für den Sänger. Nachdem Kaufmann im ersten
Festengagement nach der Studienzeit in Saarbrücken in eine Stimmkrise
geriet, fand er im Zürcher Ensemble so etwas wie einen stillen Hafen, in dem
er sich ruhig entwickeln konnte.
«Stimme verleugnet»
Diese
Stimmkrise, und wie er sie überwand, bildet einen wesentlichen Teil der
Biografie von Thomas Voigt, und Kaufmann hat auch in Luzern sehr offen
darüber gesprochen. «Man sah in mir partout einen deutschen Buffo-Tenor, je
leichter, desto besser. Aber so habe ich meine Stimme verleugnet und geriet
in einen Teufelskreis.»
In den «Galeerenjahren», die dem geschützten
Hochschulbereich folgten, eskalierte die Situation dramatisch. «Als dritter
Knappe im "Parsifal" hatte ich nur 24 Sätze zu singen, brachte aber in einer
Vorstellung keinen einzigen Ton heraus, sodass der Dirigent mich entgeistert
ansah», gab Kaufmann freimütig zu. Auf die Frage, wie sein Mentor,
US-Bariton Michael Rhodes, ihm geholfen habe, meinte er: «Er gab mir
Vertrauen in die Stimme, so entspannt man sich, drückt nicht und lässt
heraus, was die Natur gegeben hat. Er lockte so dunklere, kräftigere Töne
aus mir heraus.»
Das alles und noch vieles mehr kann man nachlesen
in der Biografie, die ein differenziertes Porträt des Sängers ist.
Thomas Voigt: «Meinen die wirklich mich?». Henschel, Leipzig 2010, 176
Seiten, Fr. 31.90. |
|
|
|
|
|
|