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Musikfreunde Magazin, April 2022 |
Joachim Reiber |
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„Du meine Seele, du mein Herz“
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Liebeslieder von Schumann und Brahms mit
Jonas Kaufmann, Diana Damrau und Helmut Deutsch
„Aber man
darf ja träumen.“ Helmut Deutsch schrieb den Satz in sein Erinnerungsbuch
von 2019 – und träumte davon, mit Jonas Kaufmann und Diana Damrau wieder
eine große Lied-Reise zu dritt zu unternehmen, wie sie 2018/19 mit Hugo
Wolfs „Italienischem Liederbuch“ geglückt war.
Jetzt wird der Traum
lebendig. Mit Liebesliedern von Robert Schumann und Johannes Brahms kehren
die drei in die großen Konzertsäle zurück. Krönender Abschluss: ihr Konzert
am 13. April 2022 im Großen Saal des Wiener Musikvereins.
„Du meine
Seele, du mein Herz,/ Du meine Wonn, o du mein Schmerz …“ Ja, dieses Du! Wer
ist es? Und wer mag dieses Ich sein? Es bleibt offen in diesem
herzbewegenden Liebeslied, ein jeder, eine jede darf sich angesprochen und
sich ausgedrückt fühlen im Strom von Schumanns Musik. Die „Widmung“ lässt
den Raum frei für alle Fantasien von Liebesglück und Sehnen, genauso wie es
im Unbestimmten bleibt, wenn Schumann singen lässt: „Mein Herz ist betrübt,
ich sag es nicht,/ Mein Herz ist betrübt um Jemand …“ Wer ist der Jemand? Am
13. April, im Großen Musikvereinssaal in Wien, ist dieser Jemand niemand
anderer als: Jonas Kaufmann. Er darf sich angesprochen fühlen, wenn Diana
Damrau dieses Lied singt – so wie die „Widmung“ zuvor, von ihm gesungen,
auch ihr gilt. Ich und Du auf der Bühne, zwei wunderbare Sänger im Dialog.
„Liebeslieder“ von Brahms und Schumann, so lautet, kurz und prägnant, das
Programm. Am Flügel des Gesanges: Helmut Deutsch, der mit beiden schon seit
Jahrzehnten zusammenarbeitet, Doyen unter den Liedbegleitern (den Begriff
„Begleiter“ lässt er explizit für sich gelten!), seit bald einem halben
Jahrhundert einer der Besten seines Fachs und in diesem Fall auch
verantwortlich für die Konzeption, ja Komposition des Abends.
Die
perfekte Dreiecksbeziehung! 2018/19 waren sie schon zu dritt auf Tournee und
beglückten das Publikum in zwölf großen Sälen Europas, darunter,
selbstverständlich, auch im Großen Musikvereinssaal in Wien mit dem
„Italienischen Liederbuch“ von Hugo Wolf. „Das wurde so wunderbar
aufgenommen, es war eine Mission fürs Lied“, sagt Diana Damrau. „Es war
auch“, ergänzt Helmut Deutsch, „eine Mission für den Hugo Wolf“ – und setzt
amüsiert hinzu, dass wenig liedaffine Kritiker in Norddeutschland gar von
„Ausgrabungen“ schwärmten. Kurzum: Die Reise war ein Riesenerfolg, „die
Stimmung auf der Tournee“, so Jonas Kaufmann, „war unglaublich gut, und wir
fragten uns schon währenddessen, warum wir nicht schon viel früher darauf
gekommen sind, so etwas einmal gemeinsam zu machen. Wir beide geben ja sehr
gern und sehr oft Liederabende, wir beide haben als gemeinsamen Partner den
Helmut Deutsch – und dann hat diese Erfahrung gezeigt, wie schön es sein
kann, wenn man sich auch bei einem Liedprogramm sozusagen die Bälle
zuspielen kann, wenn man sich inspirieren lässt von dem, was der andere
singt, und da anknüpft, wo der andere aufgehört hat. Das macht unglaublich
Spaß! Und deshalb war nach dem ,Italienischen Liederbuch‘ sofort klar, dass
wir so etwas wieder machen wollen. Die große Frage war nur, mit welchem
Programm? Und da hat“, ergänzt er lachend, „dankenswerterweise unser lieber
Professor Deutsch das Heft in die Hand genommen.“
Das Heft war nicht
vorhanden. Auf das „Italienische Liederbuch“ von Hugo Wolf einfach dessen
„Spanisches“ folgen zu lassen war keine Option: von der Stimmlage nicht,
erläutert Jonas Kaufmann, und auch nicht von der Stimmung. Ein „roter Faden“
sollte gefunden werden, einer, den die Liebe spinnt. Denn was sonst könnte
das Thema sein, wenn er und sie auf der Bühne stehen, ein Ich und ein Du:
zwei, die sich finden, verfehlen und wieder zusammenkommen, zwei, die sich
vor Sehnsucht quälen und zum Glück erwählen … „Du meine Wonne, du mein
Schmerz“. Robert Schumann überreichte seiner Clara dieses Lied als
Brautgabe, zusammen mit dem ganzen Zyklus „Myrthen“, am Tag seiner Hochzeit.
Helmut Deutsch lässt das Programm mit dieser „Widmung“ beginnen. Und schon
hier kommt gedanklich der zweite Liebende ins Spiel, Johannes Brahms, der,
wenn er vom Du singen ließ, oft genug an diese Clara gedacht haben mag. Rund
fünfhundert Lieder haben Schumann und Brahms geschrieben, wenn man ihre
Œuvres aufs engere Thema der Liebe hin sichtet, bleiben immer noch gut 150
übrig. Helmut Deutsch machte sich, liebend gern, die „Heidenarbeit“ und
wählte aus. Ein Herzenswunsch war dabei natürlich auch – Diana Damrau sagt
es –, „unbedingt Duette zu singen“. Sie finden sich nun als Inseln der
Zweisamkeit im Wechselspiel der Sololieder – wobei man, angeregt durch ein
so fein erdachtes Programm, schon jetzt nachzudenken beginnt, dass auch
sogenannte Sololieder nie etwas Solipsistisches haben. Diana Damrau erinnert
an die „Tradition der Hausmusik“, die so, in verwandelter Form, wieder zur
Geltung kommt, die Atmosphäre der Salons wird wieder wach, der intime,
kleine, gesellige Rahmen, für den Lieder einst geschaffen wurden. Unter den
Liebesliedern, die Helmut Deutsch ausgewählt hat, finden sich nicht zuletzt
auch solche, die Schumann für seine Sammlungen „Liederspiel“ und
„Minnespiel“ komponiert hat.
Wie kann man sich solche Aufführungen
damals vorstellen? „Nun“, sagt Helmut Deutsch, „wahrscheinlich ähnlich, wie
man damals auch eine ,Schöne Müllerin‘ von Wilhelm Müller in Rollen verteilt
gesprochen und sich gegenseitig vorgelesen hat. Überhaupt: Diese Kultur des
Einander-Vorlesens, die heute nur noch rudimentär weiterlebt, wenn man
Kindern etwas vorliest, war ja etwas Wunderbares! Und daran schließt sich
an: das Einander-Vorsingen. Auch an diese historisch verlorene Dimension
darf man denken …“ Wie lässt sich etwas so Zartes, Feines, Intimes in einen
Großen Musikvereinssaal übertragen? Helmut Deutsch schmunzelt bei der
vielgestellten Frage und antwortet mit einer Reminiszenz: aus dem
Musikverein! „Ich kann mich genau an den ersten Liederabend erinnern, den
ich von Dietrich Fischer-Dieskau gehört habe, ich saß in der allerletzten
Galeriereihe im Großen Musikvereinssaal und habe wirklich jede Nuance
gehört, jedes Wort verstanden. Ja, ich erinnere mich noch genau, welche
Schumann-Lieder ich dort zum ersten Mal gehört habe.“ Das war – man darf’s
verraten – 1966. Kurzgefasst Helmut Deutschs Statement zu Liederabenden im
Großen Saal: „Man kann. Aber man muss es schon können.“
Die
Liebeslieder, die er im Zusammenspiel mit Diana Damrau und Jonas Kaufmann
ausgewählt hat, formen sich nicht zu einer durchgängigen Geschichte, sie
werden nicht darauf festgezurrt, eine „Story“ zu erzählen, aber sie haben
einen Verlauf. Durch und durch künstlerisch empfunden ist dieses Programm,
musikalisch auch im großen Bogen von dunkleren Sphären zu den hellen, aber
eben: offen für all die ewig unfassbaren, ewig faszinierenden Zwischentöne
der Liebe. Robert, Clara und Johannes – natürlich ist auch diese
tiefromantische Dreiecksbeziehung präsent, wenn Jonas Kaufmann, Diana Damrau
und Helmut Deutsch Liebeslieder von Brahms und Schumann musizieren. Erst
recht darf man diese Resonanzen im Musikverein spüren – im Archiv des
Hauses, speziell im Nachlass, den Johannes Brahms der Gesellschaft der
Musikfreunde vermacht hat, finden sich Herzensspuren dieser Beziehung:
Bücher, die Clara ihm schenkte, Briefe, die sie ihm schrieb, Blumen, die sie
für ihn presste und in einem Gedenkbüchlein für ihn sammelte.
Zu
Weihnachten 1854 übergab sie’s ihm, ein Dreivierteljahr nach Roberts
Einweisung in eine geschlossene psychiatrische Anstalt; ihr jüngstes Kind
aus ihrer Ehe mit Robert, Felix, hatte sie im Juni zur Welt gebracht – ein
Schmerzenskind auch später, literarisch begabt, labil, krank zum Tode schon
als junger Mann. Brahms hat diesen Felix, der mit 25 Jahren starb, durch
drei Lieder unsterblich gemacht. Zwei von ihnen finden sich am Ende des
Programms … „Versunken“ und „Meine Liebe ist grün“, Lieder, voll
Leidenschaft, „explodierend“ vertont, wie Helmut Deutsch im Gespräch sagt.
Und dann diese Zurücknahme beim Abkadenzieren im Klavier, ähnlich wie beim
heiß aufgepeitschten „Von ewiger Liebe“ – „ganz verhalten schließt er da,
wie in der Dritten Symphonie auch. Was war los mit diesem Brahms, fragt man
sich da. Was sagt das aus über ihn? – In seiner Mozart-Biographie hat
Wolfgang Hildesheimer ja darauf aufmerksam gemacht, dass bei Mozart der
Charakter der komponierten Musik auffallend konträr zur jeweiligen
Lebenssituation sei, bei Brahms und bei Schumann aber glaube ich doch, dass
das persönliche Erleben und Empfinden sich im Werk spiegelt.“ Über all das
darf man bei diesem Programm nachdenken. Man darf es. Aber man muss es
nicht. Denn Kunst und Leben bleiben, so oder so, geheimnisvoll aufeinander
bezogen.
Wie ist es für die Singenden. Wie viel eigenes (Er-)Leben
steckt im Singen, speziell im Liedgesang? Sollte man sich hier, einer
objektiveren Darstellung wegen, vielleicht sogar bewusst zurücknehmen?
„Natürlich muss man nicht alles selbst erlebt haben, was man als Liedsänger
erzählt, da braucht es in erster Linie Vorstellungskraft“, gibt Jonas
Kaufmann zur Antwort. „Aber ich kann mir nicht vorstellen, beim Liedgesang
eine Haltung einzunehmen, die eigene Erfahrung und eigenes Erleben
konsequent ausschließt. Und ich möchte bezweifeln, dass man durch eine
strikt ,neutrale‘ Erzählhaltung dem Publikum die Gefühlswelt eines Liedes
vermitteln kann.“ Diana Damrau taucht schon im Gespräch gedanklich in die
Musik dieser Lieder ein, in „diesen riesigen Fluss an großer Liebe und
Traurigkeit und Schönheit – da ist alles drin! Und da bin auch ich mit drin.
Wenn das lyrische Ich spricht, kann ich das ruhig sprechen lassen, ich kann
und will mich davon nicht distanzieren.“ Das Lied, sagt sie als bekennende
„Romantikerin“, ist „Verschmelzung von Sprache und Musik“. Aus der
Verbindung aber geht etwas hervor, das übers Sagbare hinausgeht. „Ihre
Stimme“, ein Schumann-Lied auf einen Text August von Platens, bringt es in
diesem Programm wunderbar zur Geltung. So viele Worte, heißt es da, „dringen
ans Ohr uns ohne Plan“. Aber das „Zauberwesen“, das spricht erst aus „deiner
Stimme“! „In der Stimme“, kommentiert Diana Damrau, „schwingt die Seele mit.
Und wir kommunizieren mit der Seele. Und deswegen lege ich auch meine Seele
in diese Lieder."
Wie heißt es doch im „Italienischen Liederbuch“ so
schön? „Auch kleine Dinge können uns entzücken …“ Um die kleinen Dinge geht
es im Liedgesang, um die scheinbar kleinen, und was Brahms und Schumann
betrifft, so haben sie schon durch ihre kompositorische Haltung gezeigt,
dass die „kleine Form“ die ganze Fülle ihrer Begabung verlangt.
„Musikalisch“, erläutert Helmut Deutsch, „ist ihr Liedwerk so gehaltvoll,
wie es ihre ganz großen Werke sind, das alles ist so unglaublich
konzentriert gedacht, nie hat man das Gefühl, speziell nicht bei Brahms,
irgendein Lied sei nebenbei geschrieben worden …“ In solcher Ernsthaftigkeit
steckt auch etwas vom tiefromantischen Geist, an den man immer denken mag,
wenn von den „Dingen“ die Rede ist – Eichendorff hat es unvergleichlich
gesagt: „Schläft ein Lied in allen Dingen,/ Die da träumen fort und fort,/
Und die Welt hebt an zu singen,/ Triffst du nur das Zauberwort.“ Das
Zauberwort – in den Chats unserer Tage wird es kaum getroffen, und wohl kaum
in den unzähligen Twitter- und WhatsApp-Nachrichten, den Posts und SMS, die
wir rasch mal digital durchs Handy jagen. Diana Damrau spricht
leidenschaftlich davon und prangert die Oberflächlichkeit an, die mit der
immer rascheren, immer flacheren Absonderung von Meldungen einhergeht, mit
all dem, womit wir uns „zumüllen“, all diesen ichbezogenen Posts, bei denen
man fragen muss: Wo bleibt das Du?
Die Liebeslieder von Schumann und
Brahms öffnen da eine Gegenwelt. Eine, die uns vielleicht gerade jetzt, in
der Zeit mit und nach Corona, besonders wert sein muss. Jonas Kaufmann: „Wie
sehr sich das Konzertleben durch die Pandemie verändert hat, haben wir ja
Tag für Tag schmerzlich erfahren. Ich hatte glücklicherweise immer zu tun,
aber wie viele Künstler hat es in dieser Zeit hart getroffen! Manche
wechselten den Beruf, bei anderen war die Verzweiflung so groß, dass sie
sich das Leben genommen haben. Viele kleine Häuser wurden geschlossen… Ich
fürchte, dass die Bandbreite der Möglichkeiten und Angebote, die wir vorher
als selbstverständlich betrachtet haben, nach Ende der Pandemie nicht mehr
existieren wird. Um so wichtiger ist es, dass wir nicht aufgeben, dass wir
uns gerade für das Genre ,Liederabend‘ und seinen Platz im Musikleben
einsetzen.“
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