BR24, 22.06.2021
Peter Jungblut
 
 
"Es passt": Tenor Jonas Kaufmann riskiert Wagners "Tristan"
 
Seine Stimme hat in der Pandemie-Zwangspause an Kontur gewonnen, daher kann der Sänger quasi schwindelfrei die Achttausender seines Fachs besteigen. Er sieht sich auf einem "Hochplateau", den Herzenswunsch von Donna Leon will er aber nicht erfüllen.

Er gehört zu den Künstlern, die sich in der Pandemie keine Sorgen machen mussten, zumindest keine finanziellen. Jonas Kaufmann ist hochbezahlter Topstar im internationalen Operngeschäft, und er nutzte die Auszeit, um seine Stimme zu schonen. Nicht nur Kritiker hielten sie nach ersten Auftritten bereits für erstaunlich erholt, warm und volltönend. "Ein guter Freund, den ich seit vielen Jahren im Opernbereich kenne und immer wieder treffe, der hat gesagt, sie klinge zehn Jahre jünger, wenn man die Augen schließe", sagt Kaufmann gegenüber dem BR und lacht schallend: "Sie sei zwar nie schlecht gewesen, sagte er, aber jetzt eben sei sie so gut. Also, da muss ich mir jetzt direkt überlegen, ob ich die zehn Jahre obendrauf lege auf meine Karriere oder es trotzdem bleiben lasse, irgendwann."
Donna Leon will von ihm Händel hören

Jonas Kaufmann ist gerade dabei, die "Achttausender" seines Stimmfachs zu bezwingen, Verdis Otello liegt schon hinter ihm, jetzt folgt Wagners Tristan an der Bayerischen Staatsoper in München. Mehr geht einfach nicht, bleiben dann überhaupt noch Herausforderungen übrig? Er selbst kann sich noch den Tannhäuser vorstellen, den er 2023 angehen will, demnächst ist auch der Peter Grimes von Benjamin Britten fällig. Mit Händel-Opern aber will er sich keinesfalls mehr abplagen, obwohl seine prominente Freundin Donna Leon ihn andauernd damit bestürme, sich auch mal wieder im Barockbereich zu versuchen.

Ab September hätte Kaufmann ohne die Pandemie ein Sabbatical genommen, das nun natürlich ausfällt. Er hatte – wie wohl viele andere auch – einen Zettel parat, auf dem stand, was er alles angehen wollte, wenn mal Zeit ist. Leider sei kaum etwas davon in der Pandemie machbar gewesen. Umso erfreulicher, dass die Stimme es ihm danke: "Ich weiß bis heute nicht, woran es nun wirklich liegt, ob es einfach auch der Kopf ist, der dann wieder freier ist. Ob es der Kopf ist, der einem auch wieder mehr Freude bereitet, weil man einfach emotional wieder ganz anders dabei ist, nach vielen Monaten der Enthaltsamkeit."

Virtuelle Auftritte? Kein Vergleich zum Singen vor Publikum

Insofern kommt die Partie des Tristan, die Kaufmann ab nächster Woche an der Bayerischen Staatsoper bei den dortigen Festspielen singt, gerade richtig. Denn die gehört zu den anstrengendsten überhaupt – wegen der Länge von vier Stunden, aber auch wegen der unglaublichen Textmassen und der eruptiven Ausbrüche, die auch Superstars an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringen können. Nicht von ungefähr ist Placido Domingo niemals live als Tristan zu sehen und zu hören gewesen, er beließ es bei Ausschnitten und einer energiesparenden Plattenaufnahme. Jonas Kaufmann: "Ich glaube, auf diesem Hochplateau, zumindest karrieremäßig, befinde ich mich schon erstaunlich lange. Es ist ein Risiko, das ich vielleicht – das kann man so sagen – karrieremäßig nicht nötig habe, eingehen zu müssen. Ich tue diesen Beruf wirklich für mich. Ich tue es, weil mir das Spaß macht."

Auch in der Pandemie hatte der Tenor den einen oder anderen virtuellen Auftritt. Doch daran erinnert er sich mit einem gewissen Grausen. Vor allem deshalb, weil es ganz schwierig sei, aus den gesungenen Rollen am Ende wieder herauszufinden: "Ohne diesen Applaus steht man wie bestellt und nicht abgeholt vor der Kamera und denkt sich, was mach ich denn jetzt mal? Räuspern? Einmal lächeln, ein paar verabschiedende Worte oder einfach nur stumm verbeugen und abgehen? Das fand ich eigentlich das Allerschwierigste."

"Es passt einfach unglaublich zur Stimme"

Auch wenn das Schlimmste womöglich überstanden ist, rechnet Kaufmann mit gravierenden Spätfolgen der Pandemie im internationalen Operngeschäft: "Viele junge Menschen, die jetzt in dieser Krise gemerkt haben, wo der Stellenwert von Kultur liegt, wenn es denn wirklich hart auf hart kommt, werden sich wahrscheinlich für einen anderen Beruf entscheiden, um auf der sicheren Seite zu sein. Das fürchte ich einfach, und da werden uns viele Talente und begeisterte Musiker verloren gehen."

Karten gibt es für seine fünf Münchener Auftritte als Tristan natürlich nicht mehr, aber er will die Monster-Rolle auf jeden Fall noch häufiger singen: "Jeder, der es bisher gehört und gesehen hat, sagt, das liegt dir ja perfekt, inklusive mir, ich gebe es zu. Es passt einfach unglaublich gut zur Stimme. Und zweitens, der Aufwand, das alles zu lernen, das wäre nur für fünf Aufführungen ein bisschen zu mühsam."
Ein Regie-Puzzle zum "Tristan"

Inszeniert wird "Tristan und Isolde" in München übrigens vom polnischen Regisseur Krzysztof Warlikowski, der für so provokante wie mitunter sperrige Konzepte bekannt ist. Jonas Kaufmann lässt keinen Zweifel daran, dass er persönlich eine andere Vorstellung vom Tristan hat als der Regisseur und wohl auch ein kleines bisschen mit dessen Konzept hadert: "Es ist ein Puzzle aus verschiedenen Teilen, die er bis zum Schluss möglichst geheim hält und die er kurz vor Ende dann zu etwas zusammensetzt, was das Publikum hoffentlich als das Neue erkennt, von dem er aber, so fürchte ich, hofft, dass es der Sänger nicht versteht."

Ob das Publikum Ausstattung und Konzept der neuen Münchner Wagner-Produktion schätzt, wird sich zeigen. Die Besetzung wird es wohl stürmisch bejubeln: Neben Kaufmann debütiert auch Sopran-Star Anja Harteros als Isolde.


















 
 
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