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Die Presse, 14.11.2020 |
von Barbara Petsch |
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Jonas Kaufmann mit Bohrer und Kochlöffel
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In einer Dokumentation spricht Startenor Jonas Kaufmann offen über
Freud und Leid seines Berufs.
Sechs bis acht Espressi trinkt
er am Morgen, jemand, der seinen Peak zwischen 19 und 23 Uhr erreichen muss,
kann nicht früh aufstehen: In einer Doku plaudert Startenor Jonas Kaufmann
über sein Leben. Dergleichen geht nicht ohne Beweihräucherung ab, jedoch der
Film auf Amazon Prime ist insofern erfrischend, als Kaufmann, seine Frau,
seine Freunde und seine Weggefährten ihn nicht nur feiern. "Willst du nicht
eine Familie haben?", hat Kaufmanns Vater einst gefragt, als dieser sich für
den Sängerberuf entschied.
Die großen Erfolge seines Sohnes hat der
Senior nicht mehr erlebt, aber er war glücklich, als während der Ausbildung
Fachleute seinen Jonas lobten. Dabei war die Karriere, die mit einem sicher
getroffenen hohen C begonnen hat, beinahe gleich wieder zu Ende, weil
Kaufmann zwar zu singen verstand, aber erst lernen musste, die Atmung
perfekt zu beherrschen: Der Kopf, der Hals, das Rückgrat, die gesamte
Körperhaltung spielen mit, wenn Alfredo in der "Traviata" seine geliebte
Violetta verflucht, der arme Poet Rudolfo seine Mimi in der "Boh me" beweint
oder der Maler Cavaradossi in der "Tosca" die Sterne besingt. In der Wiener
Staatsoper, erzählt Kaufmann, erschien übrigens seine Tosca einmal nicht,
Angela Gheorghiu war sauer, weil er eine Arie zweimal singen wollte. Das ist
allerdings nicht so schlimm wie gesundheitliche Probleme für einen Tenor.
Bei Scampi und Prosciutto in seinem Haus berichtet Kaufmann Freunden von
einem geplatzten Äderchen am Stimmband, was nur durch Abwarten zu heilen
war, weil eine Laserbehandlung zu riskant gewesen wäre. Kaufmann ist nicht
nur in der Oper präsent, sondern auch bei zahlreichen Freiluftevents.
Weibliche Groupies
Der Vergleich mit den drei Tenören (Carreras,
Domingo, Pavarotti) liegt nah, eine Marke, die inzwischen der Vergangenheit
angehört. Man sieht selig lächelndes Publikum, vor allem viele Frauen und
junge Mädchen, auf der Berliner Waldbühne Kaufmanns Arien und
Klassik-Evergreens lauschen, aber es ist doch ein gewagter Weg für einen
Sänger. Die nötigen Schonzeiten für die Stimme werden im Erfolgsrausch
manchmal unterschätzt.
Nein, er trage nicht allzeit seine Schals,
berichtet Kaufmann, aber, ganz klar, die internationale Karriere, das
Millionenpublikum, die Angebote der großen Musiktheater-Institutionen, von
der Met bis zu den Salzburger Festspielen, seien verführerisch wie eine
"Droge".
Seine erwachsenen Kinder hätten ihm einmal gesagt: "Du warst
eh nie da!" Das habe geschmerzt, aber, nein, nicht das Geld habe ihn
verlockt, ein großer Star zu werden, sondern die Emotion, wäre seine
Karriere stecken geblieben oder hätte er sich selbst entschieden, an einem
Opernhaus zu bleiben, er wäre damit nicht glücklich gewesen, sagt er. Und
die großen Kinder sind schon auch stolz, wenn sie ihren Vater als jungen
Latin-Lover Turiddu in der "Cavalleria Rusticana" von Mascagni sehen und als
irren betrogenen bleichen Bajazzo von Leoncavallo. Solche Gefühlsausbrüche
an einem Abend!
Man mag es nicht recht glauben, dass Kaufmann kein
Lampenfieber mehr hat und sich, nachdem der Vorhang gefallen ist, unversehrt
und unverfroren erhebt, verbeugt, die Ovationen genießt und seelenruhig
heimgeht zu seiner zweiten Frau Christiane und dem kleinen Buben. Aber
Kaufmann wirkt sogar dann glaubwürdig, wenn er eigentlich Unglaubwürdiges
von sich gibt. Oder seiner Tochter erklärt, wie man mit dem Bohrer exakt
einen Baumstamm traktiert. Beim Kaffeemachen, beim Kochen, beim Handwerken,
der Mann ist nicht nur auf der Bühne ein Perfektionist, sondern immer. Und
er ahnt, dass diese Eigenschaft seine Umgebung manchmal zart nervt. Dann
singt er schnell was Eingängiges wie "Wien, Wien nur du allein" oder gar den
"Alten Herrn Kanzleirat". Am Ende des Films betont er, dass er keinesfalls
einer jener Stars sein möchte, die nicht aufhören können. Wer weiß? Da ist
es ja noch lang hin, hoffentlich, für seine zahlreichen Verehrerinnen.
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