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Basler Zeitung, 18.01.2019 |
Von Simon Bordier |
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Elbphilharmonie-Saal entzaubert
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Nach einem Gastspiel des Sinfonieorchesters Basel hagelt es Kritik an der Akustik
So hatte sich das Sinfonieorchester Basel (SOB) sein Debüt in der
Elbphilharmonie in Hamburg nicht vorgestellt: Letzten Samstag bei einem
Gastspiel mit dem deutschen Startenor Jonas Kaufmann kam es zu lautstarken
Unmutsbekundungen im Publikum. Wie Zeitungen und Besucher vor Ort eine
Basler Delegation war mit angereist berichten, gab es Probleme mit der
Akustik im 2100-plätzigen Konzertsaal. Dies im Gegensatz zur Aufführung des
Programms am Mittwoch im Goetheanum Dornach, die das Publikum zu stehenden
Ovationen hinriss.
Was ist geschehen? Die Stimme Kaufmanns, der die
Solos in Mahlers sinfonischem "Lied von der Erde" sang, drang offenbar neben
dem Orchester kaum durch. "Herr Kaufmann, wir können Sie nicht richtig
hören", soll ein Besucher gerufen haben, "wir hier auch nicht", sekundierte
jemand anders: "Singen Sie bitte lauter!" Kaufmann, der schon einmal
schlechte Erfahrungen in dem Saal gemacht hatte, reagierte prompt. Es sei
ihm nicht möglich, lauter zu singen, es müsse an der Akustik liegen. "Fragen
Sie die Architekten."
Publikum mehrheitlich solidarisch
Tatsächlich sass einer der beiden Basler Architekten, Pierre de Meuron, im
Publikum. Doch was sollte er schon tun? Die Saalakustik ist das Werk des
Akustikers Yasuhisa Toyota, und es ist die Aufgabe des Veranstalters,
mögliche Probleme zu antizipieren und für einen reibungslosen Ablauf zu
sorgen. Ein Grossteil des Publikums solidarisierte sich indes mit dem Sänger
und animierte ihn durch Applaus zum Weitersingen Protestaktionen zum Trotz.
So entschieden sich ein paar Besucher, ihre Plätze zu verlassen, durch
die Ränge zu wandern und Kaufmanns Vortrag stehend von einer ihnen genehmen
Position aus zu verfolgen. Einige verliessen vorzeitig den Saal. Die
Protestler störten sich anscheinend nicht nur an der Akustik, sondern auch
an den Sichtverhältnissen: Die Tribünen sind ringförmig um die Bühne
angelegt, sodass viele im Rücken Kaufmanns sassen.
Die Ereignisse
haben hohe Wellen geworfen. Dass der Saal je nach Sitzplatz und Repertoire
seine Tücken hat, ist nicht neu. Doch es ist das erste Mal, dass ein Star
wie Kaufmann öffentlich und laut seinem Ärger Luft macht. "Dieser Saal gibt
einem keine Hilfe", erklärte er in einem Zeitungsinterview. Das nächste Mal
werde er vielleicht der Hamburger Laeiszhalle den Vorzug geben, sagte er.
Dass sich ein Teil des Publikums geärgert habe, könne er verstehen nicht
aber die lauten Proteste. Diese seien wohl auch darauf zurückzuführen, dass
im Saal neben Klassikfans wohl auch Touristen sassen, die einfach mal die
"Elphi" erleben wollten.
Die Ereignisse haben auch das
Sinfonieorchester Basel nicht kalt gelassen, wie der künstlerische Direktor
Hans-Georg Hofmann erklärt. Schon bei der Vorprobe habe man gemerkt, dass es
heikel werden könnte, da der Sänger nicht überall gut hörbar war. Man habe
das Orchester denn auch zur Zurückhaltung angehalten. Andererseits sei
Mahlers "Lied von der Erde" nun mal für grosse Besetzung geschrieben. Es sei
schade, dass die Tournee mit Auftritten in München, Nürnberg, Hamburg, im
Luzerner KKL, in Dornach und Baden-Baden von diesen Ereignissen überschattet
werde. Aber Hofmann ist klar, dass die Schuld dafür nicht beim SOB gesucht
wird. Alles in allem seien die Konzerte in zumeist ausverkauften Sälen
sowohl ein künstlerischer als auch ein PR-Erfolg.
Das SOB ist
tatsächlich nicht das erste Orchester, das mit der Elphi-Akustik zu kämpfen
hat. Bereits bei der Eröffnung des 800-Millionen-Prestigebaus von Herzog &
de Meuron war Kritik zu lesen in Blättern wie der FAZ oder Die Welt
("Weltklasse geht leider anders").
Ohr von Klangfülle überfordert
In Konzertrezensionen dieser Zeitung war die Akustik auch schon ein Thema,
praktisch jedes Mal waren Probleme zu bemängeln: An einem Abend mit
Beethovens "Tripelkonzert", gespielt von den Lucerne Festival Strings und
den Solisten Vilde Frang, Nicolas Altstaedt und Nicholas Angelich, wollte
sich der Klang partout nicht mischen; bei einer Aufführung von Haydns
Oratorium "Die Schöpfung" mit dem Insula-Orchestra waren die Bässe in den
oberen Rängen kaum hörbar; bei der jüngsten halbszenischen Aufführung von
Mozarts "Don Giovanni"-Oper durch das Kammerorchester Basel, den Bariton
Erwin Schrott und andere kam der Gesang hallig wie in einer Turnhalle daher,
wie der Autor dieses Texts feststellen musste.
Das Problem legte
sich dann mit der Zeit: Sei es, dass die Sänger besser aufeinander hörten,
sei es, dass sich die Publikumsohren an die Situation gewöhnten. Generell
wird kritisiert, dass der Klang zwar hyperklar ist, jedoch kein Eigenleben
entfaltet. So wird das Ohr durch die Fülle überfordert zumal in Grosswerken,
wie dem "Lied von der Erde".
Nach dem denkwürdigen Kaufmann-Abend
haben sich Elbphilharmonie-Direktor Christoph Lieben-Seutter und weitere
Verantwortliche zur Krisensitzung getroffen. Man sei sich bewusst, dass bei
gross besetzten Orchesterwerken Probleme mit der Akustik auftreten könnten,
lässt man wissen.
Generell wird aber nicht von der Aufführung
solcher Werke abgeraten, auch sind keine grösseren Eingriffe am Saal
geplant. "Beim Thema der richtigen Konstellation bei Konzerten mit
Gesangsdarbietungen werden wir in Zukunft schon bei der Saalbuchung
verstärkt beratend zur Seite stehen", lässt sich die Elbphilharmonie-Führung
im Hamburger Abendblatt zitieren.
Einsichtig klingt das nicht, so als
wolle man den Elphi-Hype nicht gefährden. Dabei sind die überzogenen
Erwartungen des Publikums mit ein Grund des Problems: Sie können in dem
"höchstens mittelguten Saal" (Riccardo Muti) nur enttäuscht werden.
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