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Journal21, 10.10.2017 |
Von Annette Freitag |
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Voilà! Jonas Kaufmann … en français
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Kommt er? Und kommt er pünktlich? Bange
Frage, wenn man mit einem Superstar abgemacht hat. «Mais oui!»
Der Pressechef der Pariser Oper wischt alle Bedenken mit einem
strahlenden Lachen beiseite … klar kommt er! Und zwar pünktlich auf die
Minute: Jonas Kaufmann, im sportlichen Dress, Turnschuhe … eh voilà …! Mit
dynamischem Schritt windet er sich durchs Drehkreuz des Bühneneingangs der
Pariser Opéra Bastille. Genau ein Jahr ist es her, seit er hier «Hoffmanns
Erzählungen» absagen musste und dann monatelang nicht mehr auf der Bühne
stand.
Genau auf dieser Bühne konnte er dann allerdings auch wie
Phönix aus der Asche wieder auferstehen und als «Lohengrin» eine triumphale
Rückkehr auf die Bühne feiern. Und nun «Don Carlos», die Urfassung von
Verdis Oper. In der Titelrolle: Jonas Kaufmann.
Verdi à la française
…
Durch lange Gänge und viele Stockwerke führt uns der Pressechef ins
Büro des Intendanten. Der Chef sei gerade nicht da, und hier hätten wir doch
Ruhe und Platz. Vornehm, edel und sehr gross ist es, mit einem
atemberaubenden Blick über die Dächer von Paris … Es ist tatsächlich der
richtige Ort für ein Gespräch mit Jonas Kaufmann, dem die französische Oper
momentan in jeder Beziehung am Herzen liegt. Dieser «Don Carlos» ist die
Urfassung des Werkes, die Giuseppe Verdi im Auftrag der Pariser Oper 1867
komponiert hat. Mit französischem Text. «Vor diesem Projekt hatte ich
einigen Respekt», sagt Kaufmann. «In der späteren, italienischen Version
habe ich ‘Don Carlo’ oft gesungen, aber auf der fast gleichen Melodie nun
einen französischen Text zu haben und nicht zwischendurch ins Italienische
abzurutschen, das wird schwer.» Obwohl Verdi vor der Uraufführung selbst
schon einiges gekürzt hat, vor allem, damit das Pariser Publikum, das nicht
in der Stadt wohnte, zu angemessener Zeit wieder nach Hause kam … ist dieser
«Don Carlos» mit seinen fünf Akten sehr lang. «Extrem lang …», betont
Kaufmann, «das sind schon Wagner’sche Dimensionen …» Also Dimensionen, in
denen er sich auskennt.
Für Jonas Kaufmann macht die ausführliche
Fassung mehr Sinn als die italienische Version in vier Akten. «In der
italienischen hat man wirklich Schwierigkeiten, nicht in die Ödipus-Ecke
gesteckt zu werden, denn wenn der Vorhang aufgeht, schüttet da einer sein
Herz aus, wie sehr er doch in seine Mutter verliebt ist. Da sagt man sich,
‘na komm, so schlimm wird’s ja wohl nicht sein’, nicht wissend, dass sie im
selben Alter ist wie er, dass sie eigentlich füreinander bestimmt waren,
sich aber zufällig kennengelernt und ineinander verliebt haben, dass dann
aber die grausame Entscheidung kam, dass sie nicht ihn, also Carlos, sondern
– aus politischen Gründen – dessen Vater heiraten musste. Wenn man das alles
nicht weiss, versteht man die Tragik des Problems nicht.» In diesem Punkt
ist in Paris alles klar verständlich.
… und eine französische CD
Da passt es doch, dass Jonas Kaufmann jetzt auch gleich noch eine neue
CD herausgebracht hat mit dem Titel «L’OPÉRA». Auf dem Bild sieht man den
Sänger vor der prächtigen alten Opéra Garnier in Paris, und die Arien und
Duette stammen alle aus französischen Opern: ein Querschnitt von Gounod bis
Berlioz über Bizet bis Massenet. Nach Gassenhauern unter dem Titel «Du bist
die Welt für mich» oder »Dolce Vita» nun also Französisches, das ihn durch
seine ganze Karriere begleitet hat. «Werther», «Manon» oder «La Damnation de
Faust» gehören zu seinen grössten Erfolgen, ganz zu schweigen von «Carmen».
Eine französische CD habe sich geradezu aufgedrängt, meint er.
Ermöglicht wurde ihm dies mithilfe der leichten Muse. Damit hatte er die
Klassik-Hitparade voll im Griff. «Also erstens macht mir dieses Genre sehr
viel Spass», sagt er. «Es hat mich niemand dazu gezwungen. Es hat mich im
Gegenteil einige Überredung gekostet, weil die Plattenfirma befürchtete, ich
könnte bei den Hardcore-Klassik-Liebhabern ins Abseits geraten.» Das
Gegenteil war der Fall: zur «Winterreise» oder zu «Mahler-Liedern» gesellten
sich nun Gassenhauer aus dem alten Berlin und stürmten die Hitparade,
während «Dolce Vita» gleich auch noch Italien eroberte. «Ich dachte mir, man
schafft es vielleicht, sich über die etwas leichtere Muse doch noch einem
Publikum zu nähern, das sich dadurch auch für das echte Klassische
interessiert. Und das funktioniert recht gut. Ansonsten ist es ja so, dass
auch ein Andrea Boccelli mit seinen Alben zur Klassik zählt, David Garrett
oder André Rieu. Da muss man sich mal klar machen, mit wem man da auf dem
Markt ‘konkurriert’. Insofern tut der Erfolg sicher gut und ich habe dadurch
jetzt einen besseren Stand bei der Plattenfirma und entsprechend die
Möglichkeit, auch mal Projekte durchzusetzen, die einem sehr persönlich am
Herzen liegen …auch wenn sie vielleicht nicht der grosse Bestseller werden.
Das ist eine Rechnung, die allen gerecht wird.» In diesem Sinne ist
«L’OPÉRA» vorläufig noch eine Wundertüte auf Französisch.
Krankheit
überstanden
Nach der überstandenen mehrmonatigen Zwangspause, nach
«Lohengrin» in Paris, «Otello» in London, «André Chenier» in München und
nach Liederabenden an den verschiedensten Orten, geht es Jonas Kaufmann
sichtlich gut. Er ist wieder voll da. Dass er bei seinem Wiedereinstieg als
«Lohengrin» gleich mit so viel Jubel von seinen Fans begrüsst wurde, hat ihm
gutgetan. «Ja natürlich …», bestätigt er strahlend. «Ich werde auch immer
gefragt, was man aus dieser Geschichte lernen kann. Das ist ganz schwer zu
beantworten, zumal ich einerseits sicher bin, dass meine Halserkrankung
einem dummen Zufall geschuldet ist und nichts damit zu tun hat, dass es eine
dauerhafte Überbelastung war. Sonst hätte man das schon vorher zumindest
ansatzweise bemerkt. Andererseits will man sich ja auch nicht davon
beeinflussen lassen. Also wenn sie Sänger interviewen, werden sie
feststellen, dass nahezu alle der Meinung sind, dass man fast besser singt,
wenn man ein bisschen angeschlagen ist, als wenn man im Vollbesitz seiner
Kräfte ist. Warum? Weil man alles ein bisschen bewusster und vorsichtiger
macht, damit nichts schief gehen kann. Wenn man Glück hat, besitzt man eine
Technik, oder weiss um eine Technik, die ideal für die Gesundheit der Stimme
ist.» Allerdings ist es auch Jonas Kaufmann klar: «Dieses gesundheitlich
ideale Singen ist nicht das, was ein Publikum wirklich anrührt … das heisst,
dass man sich irgendwo zwischen der emotionalen und der ‘gesunden’
Interpretation bewegen muss.»
Aber passiert ist es doch. Auf einmal
hatte Jonas Kaufmann ein Hämatom, eine Stimmband-Einblutung, und konnte
nicht mehr singen. Alles musste er absagen. Opernhäuser mussten fieberhaft
Ersatz suchen, die Fans waren zutiefst beunruhigt. Und die Gerüchteküche
brodelte. Zeitungen befragten Fachleute, die dubiose Ferndiagnosen abgaben
und Ratschläge erteilten. «Unter den Fans war es noch extremer, da wurden
Gerüchte verbreitet, ich würde nie wieder singen, von Stimmbandoperationen,
Krebs und solchen Sachen war die Rede. Und sogar Philippe Jordan schrieb
mir, es täte ihm so leid und er hoffe, dass die Operation gut verlaufe. Ich
schrieb zurück: was für eine Operation …??? Von was redest du …??? Wenn ein
Sportler sich den Meniskus reisst, sagen alle: Ach, der Arme, hoffentlich
wird er bald wieder gesund. Bei einem Sänger sagt man: Naja, klar, jetzt ist
alles vorbei …» Dann lacht er laut: «Das konnte ich nun voll widerlegen.»
Wie weiter?
Trotzdem stellt sich natürlich die Frage, wie geht es
weiter, wenn es einmal wirklich nicht mehr weitergeht? «Ich bin ja schon vor
dieser Krise ab und zu gefragt worden, ob ich nicht Lust hätte, mal zu
inszenieren oder etwas in dieser Richtung zu machen. Eine liebe Freundin hat
damals händeringend nach einem Professor für ihre Schule gesucht und mir
gleich eine Stelle angeboten. Sie würde mich mit Kusshand nehmen, wenn’s
nicht mehr weitergeht. Das ist ja lieb … aber ich weiss nicht so recht …
aber klar, man macht sich schon so seine Gedanken … Also, ich bin sehr
kreativ und finde viele Möglichkeiten.»
Dann wird er ernsthaft. Zum
Beispiel Dirigent. „Das würde mich wahnsinnig reizen. Welchem
Vollblutmusiker würde es nicht gefallen, derjenige zu sein, dessen
Interpretation dann die letztgültige ist. Es gab grossartige Beispiele von
Quereinsteigern wie Harnoncourt. Es gab aber auch viele Quereinsteiger, die
eigentlich nicht dirigieren konnten. Nikolaus Harnoncourt war zwar auch
nicht so der Techniker, aber er hat seine Vorstellungen auf unvergleichliche
Art und Weise vermittelt. Und vielleicht hätte ich auch die Energie und die
Möglichkeit, die Leute zu überzeugen.» Wer weiss, vielleicht gerade darum,
weil er selbst nur zu genau weiss, wie es ist, wenn man auf der Bühne steht?
Das könnte doch ein Vorteil sein. «Das stimmt … wenn das Aufnahmegerät jetzt
nicht laufen würde, könnte ich aber auch Gegenbeispiele nennen …» Kaufmann
lacht entschuldigend. «Es muss also nicht immer klappen, sage ich jetzt mal
ganz vorsichtig. Ich habe aber vor einigen Jahren zum Beispiel auch sehr
gute Erfahrungen mit dem Bariton Dietrich Henschel als Dirigenten gemacht.
Es geht also schon. Aber entscheidend ist doch, ob man musikalisch etwas zu
sagen hat. Ich würde wahrscheinlich sowieso eher von der emotionalen Seite
her kommen. Ich wüsste genau, was ich gern machen will, ich hätte aber
wahrscheinlich Schwierigkeiten, es dem Orchester rein technisch zu
vermitteln.» Jonas Kaufmann blickt zum Fenster raus in den grauen Pariser
Himmel. «Aber das ist jetzt ohnehin eine theoretische Diskussion. In meiner
nächsten Atempause werde ich das mal angehen und meine Dirigentenfreunde
anfragen, ob ich mal bei ihnen einen Kurs machen kann …»
Vorläufig
müssen sich Kaufmanns Dirigentenfreunde wohl noch keine Sorgen machen, dass
er sie verdrängen könnte. Vorläufig bleibt alles beim Alten: Dirigenten
unten im Graben, Kaufmann oben auf der Bühne. Zunächst in Paris als «Don
Carlos», dann Tournee durch China, «Andrea Chénier» in München,
Silvesterkonzert in Moskau, Gastspiele in Japan, Liederabend in New York,
dann quer durch Europa und und und … es wird einem ganz schwummrig nur schon
beim Lesen.
Und Zürich?
Zürich steht allerdings nirgends auf
dem Terminkalender. Dabei hat er nach 2000 einige Jahre als festes
Ensemblemitglied hier am Opernhaus verbracht und auf dieser Bühne die
verschiedensten Rollen gespielt, bevor er durch einen Auftritt an der New
Yorker Met sozusagen über Nacht zum Weltstar wurde. Rückblickend meint er,
dass die Zürcher Jahre grosse Auswirkungen auf seine Karriere hatten.
«Zürich war damals sozusagen ein Bindeglied zwischen den kleinen Häusern, in
denen man etwas ausprobieren kann, ohne den internationalen Druck allzu sehr
zu spüren, und den grossen Welthäusern, wo alle hinschauen. Stars, die in
den grossen Häusern gesungen haben, haben sich auch in Zürich getroffen.
Wohl dank der Überredungskünste des Intendanten, ob diese nun pekuniärer Art
waren, oder was immer die Argumente waren … die Grossen waren jedenfalls
alle da. Für mich war es perfekt und ich konnte Partien zum ersten Mal
singen, alles mögliche, in ganz unterschiedlichen Rollen. In Zürich habe ich
meinen ersten ‚Parsifal‘ gesungen und gleichzeitig ‚Cosi fan tutte‘. Heute
wäre es undenkbar, dass man das in der gleichen Spielzeit machen kann.»
Seine Zürcher Fans werden also weiterhin z. B. den TGV nach Paris nehmen
müssen, wenn sie Jonas Kaufmann wieder einmal auf der Bühne sehen wollen?
«Ich fürchte schon … wobei das ja gute Verbindungen sind …aber jedes Ding
hat seine Zeit, sagt man doch so schön …» Genau. Auch das Interview. Der
Pressechef steht schon an der Tür mit einem strengen Blick auf die Uhr … Au
revoir, Monsieur Kaufmann, und alles Gute!
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