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Abendzeitung, 13.05.2016 |
Marco Frei |
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David Bösch und Jonas Kaufmann über die neuen "Meistersinger"
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Richard Wagners „Meistersinger“ haben am
Montag Premiere an der Staatsoper – die AZ sprach mit Regisseur David Bösch
und dem neuen Stolzing Jonas Kaufmann |
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Im Film „The Purge – Die Säuberung“ von 2013
wird ein rechtsfreier Raum entworfen. Einmal im Jahr sind für eine Nacht
alle Verbrechen erlaubt, auch Mord. Besonders gefährlich ist das im Film für
Obdachlose und Minderheiten gleich welcher Art, weil sie buchstäblich kaum
Schutzräume finden. David Bösch sieht hier Parallelen zur sogenannten
„Prügelfugen-Szene“ im zweiten Akt der Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“
von Richard Wagner, die er jetzt an der Bayerischen Staatsoper neu
inszeniert.
Hinter dieser „Prügelfuge“ verbirgt sich eine Chorszene,
die zu den spektakulärsten in der Operngeschichte zählt. Nachdem
Lautenmusik, Minnegesang und Schusterlärm die dörfliche Gemeinschaft weckt,
beginnt das große Prügeln – ein Chorfugato, das Wagner äußerst kühn
auskomponiert hat. Es ist der Nürnberger Stadtschreiber Sixtus Beckmesser,
der verprügelt wird. Allerdings geht es Bösch nicht so sehr um das Opfer,
sondern um den Mob. „Hier wütet die krude, rüde Masse. Das hat wirklich
etwas Bedrohliches, Beängstigendes.“ In Böschs Lesart läuft ein Volksfest
aus dem Ruder.
Der zügellose Mob
„Das ist
nicht einfach eine zünftige Schlägerei, sondern hier fliegen auch Bierkrüge
– lebensgefährlich.“ Der Mob entgleite, werde zügellos. „Für diese
musikalische Radikalität die szenische Entsprechung zu finden, ist nicht
leicht. Das ist nicht mehr komisch, es muss schrecklich sein.“ Sonst aber
möchte Bösch in seiner Regie das Komödiantische in dieser Wagner-Oper
unterstreichen. „Es gibt die Meister und die Lehrbuben, die etwas sind oder
glauben, etwas zu sein. Und andererseits drei Leute, die sehr
unterschiedlich an Kunst glauben.“
Es sind Typen, die Wagner laut
Bösch in den „Meistersingern“ zeichnet. Für ihn verweist dies fast auf die
italienische „Commedia dell’arte“. „Sie alle haben eine Persönlichkeit, auch
eine überspitzte. Dadurch wirken sie komisch, sind aber zugleich
liebenswert, auch rührend in ihrer Schablonenhaftigkeit.“ Dabei drehe sich
alles um den „Konflikt zwischen Ideal und Tradition“, so Bösch – um den Sinn
und Unsinn, auf einem Fest das schönste Lied zu singen und einen Preis zu
gewinnen. Dieses Treiben inszeniert Bösch als ein Dorf- oder Volksfest.
„Für mich hat das mit einer dörflichen Atmosphäre zu tun – mit etwas,
dass es in Bayern immer gab und noch heute gibt“, erklärt Bösch. „Es war mir
wichtig, dass es nicht drei verschiedene Räume für die drei Akte sind,
sondern dass alle miteinander verbunden sind – und mit der Welt, in der das
spielt. Etwas aus dem jeweiligen Akt davor soll stets mitgenommen werden.
Wir versuchen, dass der erste und dritte Akt im Verhältnis
zueinanderstehen.“ Der erste Aufzug soll die Atmosphäre atmen, wenn ein
Volksfest aufgebaut wird.
„LKWs stehen herum und werden entladen,
Tribünen sind erst halb aufgebaut. Ich hoffe, dass das den dritten Akt
wiederum leichter macht – weil man mit etwas spielt, was sozusagen schon
‚etabliert’ und eingeführt ist. Und was schlussendlich eingelöst wird.“
Jonas Kaufmann debütiert szenisch als Stolzing
In dieses Szenario stolpert nun der Jungspund Walther von Stolzing hinein,
gestaltet von Tenor Jonas Kaufmann, der im Nationaltheater sein szenisches
Debüt in dieser Rolle gibt. „Als unbescholtenes Landei bringt dieser
Stolzing plötzlich die Gepflogenheiten in Nürnberg durcheinander“, so
Kaufmann. Es ist die Liebe, die ihn treibt: „Er hat Eva gesehen und möchte
sie heiraten.“
Für Kaufmann hat Stolzing etwas Aufrührerisches. „Ich
sehe in ihm den Sturm-und-Drang-Typen, der alles zerreißen möchte, weil ihm
dermaßen die Liebe packt. Die Frage ist dabei nur: Warum ist er anders als
die anderen? Wieso passt er da nicht rein? Was für eine Vorgeschichte und
für einen Hintergrund hat er? Offenbar hat es sich in Nürnberg so
entwickelt, dass diese Singgemeinden die höchste gesellschaftliche Stufe
sind, die man sich vorstellen kann – gewissermaßen wie Rotary Clubs.
Und egal, wie absurd ihre Regeln sein mögen: Alle wollen da hinein, weil man
mit diesen Beziehungen etwas werden kann in der Stadt. Deswegen unterziehen
sie sich den teilweise martialischen Prüfungen.
Eine besondere
stimmliche Prüfung ist auch die Partie des Stolzing – zumal für Tenöre,
deren Stimme wie bei Kaufmann baritonal gefärbt ist. Viele meiden den
Stolzing, weil die Rolle teilweise sehr hoch liegt. Für Kaufmann ist das
kein Argument: Den Stolzing hat er bereits 2006 erstmals gesungen, in einer
konzertanten Aufführung in Edinburgh. „Seit meiner technischen Umstellung
1996 habe ich eine dunklere Stimmfarbe, aber Sie dürfen nicht die Stimmfarbe
mit der Tessitura verwechseln“, betont er.
Keine ideale
Aufnahme
„Nur weil ich dunkler klinge, heißt es nicht, dass
ich keine hohen Töne singen kann. Außerdem ist Stolzing im Grunde nicht sehr
hoch gesetzt. Es kommt zwar ein hohes C vor, das ist allerdings mehr ein
Laut – ein Schrei, den man so hoch wie möglich singen soll.“ Das gesangliche
Problem am Stolzing sei vielmehr, dass die Partie im Passaggio-Bereich
liege, dem Registerwechsel. Überdies sei die Rolle auf der textlichen Ebene
schwierig. „Man muss so unendlich oft dieselbe Melodie singen, aber stets
mit einem anderen Text. Nur wenige Stolzings haben in der Vergangenheit den
Text bei Aufführungen komplett richtig gesungen.“
Eine rundum
inspirierende Stolzing-Gestaltung aus der Vergangenheit kann Kaufmann nicht
nennen. „Es gibt einige wunderbare Aufnahmen der ‚Meistersinger’, aber beim
Stolzing fehlt mir oft das Romantische.“ Denn Stolzing sprühe eben auch vor
Energie in seiner Liebe zu Eva, mit Präzision allein komme man nicht weit.
„Deshalb habe ich noch nicht die ideale Aufnahme für mich gefunden.“ Mit dem
Mitschnitt seines Edinburgher Stolzing ist Kaufmann indessen recht
zufrieden: „Sicherlich werden jetzt manche Details anders sein, zumal in
München mit Kirill Petrenko ein Dirigent am Pult steht, der in der Dynamik
wahre Wunder vollbringt.“ |
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