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News, 9. August 2015 |
von Heinz Sichrovsky und Susanne Zobl |
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Der klassische Popstar
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"Fidelio" Jonas Kaufmann ist die
unumstrittene Nummer eins im Tenorfach |
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Eine betörende Stimme, darstellerische Leidenschaft und ein Aussehen, das
Anhängerinnen um die Welt treibt: Jonas Kaufmann, der bei den Salzburger
Festspielen in "Fidelio" singt, ist die unumstrittene Nummer eins im
Tenorfach.
Anna Netrebko hat wenigstens noch Konkurrenz in der
Gestalt der deutschen Kollegin Anja Harteros: Wer die Bessere auf der Bühne
ist, bleibt Ansichtssache, die Netrebko hat bloß auf dem Bankkonto die
Verhältnisse geklärt. Ihr tenoraler Kollege Jonas Kaufmann hingegen ist
Monopolist: Auch als Begünstigter eines bedrängenden Tenormangels verkörpert
der 46-jährige Deutsche Alleinstandard, und zwar als Künstler wie als
Großverdiener, im deutschen wie im italienischen Fach. Dafür gibt es in der
gesamten Operngeschichte kein Pendant.
Abgesehen von der sinnlich
dunkel gefärbten Stimme und der darstellerischen Höchstenergie ist er auch
ein attraktiver Mann, dem Anhängerinnen jenseits des Teenageralters durch
die halbe Welt nachreisen. Das mobilisiert höchstens ein paar Konkurrenten
zur Häme. Statt sich darüber Gedanken zu machen, nutzt er die Gaben der
Natur, um für Rolex und BMW zu werben. Zuletzt reiste er drei Monate mit dem
Operettenprogramm "Du bist die Welt für mich" durch Europa, um dann sogleich
wieder an die besten Opernhäuser zurückzukehren. Und sollte sich einmal eine
Rolle in einem internationalen Film ergeben, würde er nicht ablehnen.
Reputationsverlust braucht er nicht zu befürchten, denn er ist in Bayreuth
ebenso unentbehrlich wie an der Mailänder Scala.
Klar, dass auch die
Karten für die sechs Salzburger Festspielvorstellungen von Beethovens
"Fidelio" sofort nach Vorverkaufsbeginn vergriffen waren (das gelang dort
heuer nur noch der Netrebko mit der Wiederaufnahme der vorjährigen
"Troubadour"-Produktion). Kaufmann singt die mörderisch schwere Rolle des
politischen Gefangenen Florestan: ein besonderer Moment selbst für diese
Karriere, in der das Beste längst zum Alltag geworden ist.
Auf dem
Höhepunkt seines Könnens und seiner öffentlichen Wirkung scheint es für
Jonas Kaufmann keine Grenzen mehr zu geben. Kürzlich lukrierte er an der
Mailänder Scala, wo man Auswärtige mit Buh-Orkanen aus dem italienischen
Repertoire zu terrorisieren pflegt, mit einem Puccini- Arien-Abend 40
Minuten Beifall.
Manche sind unter der Last der permanenten
hysterischen Erwartungen schon zusammengebrochen, zuletzt der einst
vergötterte Rolando Villazón, der im Gefolge schwerer Stimmkrisen jahrelang
pausieren musste und heute eine solide Karriere verfolgt. "Je höher man auf
der sogenannten Karriereleiter aufsteigt, desto größer ist der Druck",
bestätigt Jonas Kaufmann im Gespräch mit News. "Jeder erwartet sich ein
Fest, und das permanent. Der Druck ist durch die Medien und Social Networks
viel größer geworden. Alles wird von Zuhörern mitgeschnitten und auf Youtube
gepostet. Da bleibt nicht aus, dass Künstler im Internet richtig an den
Pranger gestellt werden, wenn sie einmal einen hohen Ton geschmissen haben.
Vor 50 Jahren gab es nur Rundfunk-und Plattenaufnahmen, und man ließ sich
bei Gastspielreisen mehr Zeit. Heute singt man heute in München und
übermorgen in New York. Das erfordert eine gewisse Robustheit, und
gleichzeitig muss man sich seine künstlerische Sensibilität bewahren - das
ist eine der größten Herausforderungen in unserem Beruf." Problematisch sei
zudem das end-und freudlose Vorausplanen mit dem Risiko, sich für Rollen zu
verpflichten, über die man sich zum Zeitpunkt des Auftritts vielleicht schon
hinausentwickelt habe.
Er selbst aber kenne kein Lampenfieber und sei
dadurch einigermaßen geschützt. "Meine Kollegen wundern sich oft, dass ich
vor einer Vorstellung so entspannt bin. Aber das ist eine Mischung aus
Entspannung und Anspannung -wie bei einem Rennpferd, das mit den Hufen
scharrt."
Tatsächlich erscheint das Unternehmen Kaufmann stabil und
krisenfest. "Wenn er den Florestan singt, käme man nie darauf, dass es sich
um eine der schwersten Rollen handelt. Es klingt wie ein Schubert-Lied",
berichtet "Fidelio"-Dirigent Franz Welser-Möst von den Schlussproben. "Er
ist auch für einen Regisseur ein Glücksfall", ergänzt der ehemalige
Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann, der mit ihm in Zürich eine
"Carmen"-Produktion erarbeitete. "Ein Profi ohne Allüren, ein
leidenschaftlicher Gestalter, hochintelligent, was bei einem Tenor nicht oft
vorkommt. Als Regisseur wirst du von ihm geprüft: Er verträgt keine
mangelhafte Vorbereitung, kein Herumgerede. Bestehst du die Prüfung nicht,
bist du bei ihm unten durch." Welser-Möst kommt auf einen weiteren
entscheidenden Aspekt zu Zeiten des kollabierenden CD-Geschäfts: "Die
Branche arbeitet mit den Methoden des Pop-Business, um doch irgendwie Geld
zu machen. Da kommen die Menschen ins Bild, die gut aussehen. Und der Jonas
ist der Popstar der Klassik." Ein gleichfalls auf Weltniveau singender, aber
korpulenter Tenor wie der Italiener Fabio Sartori hingegen wäre für manche
Operndirektoren "nur begrenzt tauglich".
Die jahrzehntelange
Staatsopernstammbesucherin und praktizierende Kaufmann-Enthusiastin Eleonore
Moser befürwortet dieses Verfahren im Namen des weiblichen Publikums: "Die
Herren Tenöre sind heute allesamt mit Wohlstandsbäuchlein oder sogar mit
enormem Fettwanst ausgestattet. Aus diesem Grund kann Kaufmann alle
Sympathien absahnen, denn man will Nachvollziehbarkeit, man will sich mit
der Geliebten, die den Tenor anschmachtet, identifizieren können."
Mit diesem Aspekt seiner Gefragtheit hat der Gefeierte längst seinen Frieden
gemacht. Das war nicht immer so. Vor zwei Jahren noch wünschte er sich im
Gespräch mit News dringlich "weg vom Model-Image. Man kann mit gutem
Aussehen vielleicht an die Spitze kommen, aber halten kann man sich dort
nicht."
Wenig später lernte er die Niedertracht der Branche kennen:
Ein unerwartet hartnäckiger Infekt zwang ihn zu Absagen und einer längeren
Pause. Da kippte plötzlich die Wahrnehmung. Stimmverlust, gar eine
Krebserkrankung wurden kolportiert. "Was mich nervt, sind die
Unterstellungen, wie sie vor allem in Chatforen, leider auch in der Presse
verbreitet werden", sagte er im Gespräch mit News. "Es scheint schwer zu
akzeptieren, dass ich die Diagnosen meiner Ärzte nicht sofort ins Netz
stelle. Habe ich denn kein Recht auf meine Privatsphäre? Wie alle
Hochleistungssportler können auch wir Sänger durch eine harmlose Sache aus
dem Rennen geworfen werden."
Über sein Privatleben erteilt er
prinzipiell keine Auskunft. Doch führen Menschen, die ihm nahestehen, seine
aktuelle Hochverfassung auch auf die Konsolidierung der Verhältnisse zurück.
Vor mehr als einem Jahr scheiterte die Ehe. Statt mit Frau und drei Kindern
lebt Kaufmann nun mit der deutschen Opernregisseurin Christiane Lutz, die
aktuell in Salzburg dem "Fidelio"- Regisseur Claus Guth assistiert, in der
Nähe seiner Geburtsstadt München.
Das Operngeschäft hat sich in den
vergangenen Jahren auch kommerziell radikal verändert. Auf der Bühne selbst
waren nie Millionen zu holen: Die Spitzengage von 16.000 Euro pro Abend
bleibt auch für einen Superstar verbindlich. Die Bringer sind jetzt
Konzerttourneen, vor allem Auftritte in riesigen Freiluftarenen, zuletzt in
der Optimalkonstellation Anna Netrebko und Jonas Kaufmann auf dem Münchner
Königsplatz. Sponsorenzuwendungen treiben da die Gagen in unabschätzbare
Höhen.
Die Großauftritte ersetzen den Ausfall der CD-Industrie, die
sich zügig aus der multimedialen Welt verflüchtigt. Da gehe es eher darum,
etwas Bleibendes zu hinterlassen, sagt Kaufmann. "Ich arbeite wochenlang an
einer CD und verdiene damit letztlich so viel wie für ein Konzert." Im
September erscheint beim neuen Partner Sony eine Puccini-CD unter dem Titel
"Nessun dorma". Beim verlassenen Label Decca reagierte man panisch: Dort
habe man drei seiner alten Puccini-Aufnahmen mit Titeln aus bereits
existierenden Alben kombiniert und das Konglomerat unter dem Titel "The Age
of Puccini" auf den Markt geworfen -"wohlgemerkt, ohne meine Zustimmung",
klagt Kaufmann.
Mit kultivierteren Mitteln, aber um nichts weniger
leidenschaftlich rittern die Operndirektoren um die Urheberschaft am
Phänomen Jonas Kaufmann. Sicher ist nur, dass der junge Münchner nach
einigen Semestern Mathematik und bewältigtem Gesangsstudium ab 1994 in
Saarbrücken Provinzerfahrung sammelte.
Das Weitere will Alexander
Pereira, heute Intendant der Mailänder Scala, an seinem damaligen Dienstort
Zürich in Gang gesetzt haben: Er habe Kaufmann 2002 fest ins Ensemble
verpflichtet. Dort allerdings führte der Hochbegabte das unauffällige Dasein
eines Haustenors, bis ihn der damalige Besetzungsdirektor der Salzburger
Festspiele, Netrebko-Entdecker Josef Hussek, am örtlichen Landestheater in
Mozarts "Zauberflöte" hörte.
Die Festspiele suchten einen Tenor für
das radikale Regiekonzept, mit dem sich der Norweger Stefan Herheim Mozarts
"Entführung aus dem Serail" zu nähern gedachte. Kaufmann bekam den Zuschlag
und erlebte im Sommer 2003 die schlimmsten Wochen seiner Karriere: Das
Publikum wütete bei offener Szene, die Aufführungen mussten unterbrochen
werden, und als der Bass Peter Rose den Zuschauern per Video in Großformat
die Kehrseite präsentierte, trafen die allabendlichen Buh-Orkane auch die
anderen, schuldlosen Sänger. Dem jungen Jonas Kaufmann standen die Tränen in
den Augen, als er sich durch die Hölle kollektiver Zuschauerwut sang,
erinnert sich Hussek. "Aber die künstlerische Leistung hat keinen Augenblick
darunter gelitten." Die Härteschlacht veränderte indes wenig am Status der
Karriere: In Wahrheit wurde Jonas Kaufmann erst zum Star, als er 2006 an der
New Yorker Metropolitan Opera in Verdis "La Traviata" sang.
Viele
erfolgreiche Jahre in Salzburg liegen jetzt hinter ihm, dennoch kommt der
Florestan an diesem Ort historischer " Fidelio"-Aufführungen einer
Königsaufgabe sehr nahe. Vor der Rolle fürchtet sich jeder Tenor. "Man hat
Beethoven immer unterstellt, dass er von Stimmen nichts verstanden hat",
sagt da Jonas Kaufmann. "Aber ,Fidelio' ist eine Freiheitsoper. Da ist es
möglicherweise Absicht, dass die Sänger an ihre Grenzen kommen müssen.
Vielleicht wollte Beethoven ja, dass man die gesanglichen Komfortzonen
verlassen muss, um einen künstlerischen Extremzustand zu erreichen."
Wer sonst als Jonas Kaufmann soll somit die Idealbesetzung sein?
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