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Tages-Anzeiger, 19.6.2012 |
René Staubli |
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Star-Tenor Kaufmann kündigt Rückkehr an
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Der an der Zürcher Oper gross gewordene deutsche Star-Tenor Jonas Kaufmann
hat gestern ein Ende seiner langen Zwangspause angekündigt. Seit mehr als
einem Jahr hatte der Sänger immer wieder Auftritte abgesagt, letztmals stand
er am 23. April 2012 auf der Bühne. Zuletzt machte das Gerücht die Runde, er
müsse wegen Zysten an den Stimmbändern operiert werden. Anfragen des TA
blieben zwei Wochen lang unbeantwortet.
Gestern Abend nun schrieb der
Sänger in einem Communiqué, er habe unter einem hartnäckigen Infekt
gelitten, sei aber «laut ärztlichem Befund auf dem besten Wege der
Besserung» und werde im Juli wieder singen können. Die Auszeit sei ein
«Zeichen der Verantwortung gegenüber mir selbst und gegenüber meinem
Publikum». Beobachter fürchten indes, dass die Gesundheit des Tenors unter
der Belastung durch die weltweite Vermarktung leidet. (res)
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Ein Sänger verstummt
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Der deutsche Star-Tenor Jonas Kaufmann (42) sagt
seit April alle Auftritte «wegen Erkrankung» ab. Die globale Vermarktung
bedroht die einzigartige Stimme des in Zürich gross gewordenen Opernsängers.
Den 11. Mai hatten die Zürcher Opernliebhaber regelrecht herbeigesehnt.
Der Weltstar Jonas Kaufmann sollte Arien aus «Carmen», «Tosca» und «La
Bohème » singen. Die Enttäuschung war gross, als der deutsche Tenor
kurzfristig absagte und die Sopranistin Edita Gruberova für ihn einspringen
musste. Intendant Alexander Pereira entschuldigte sich beim Publikum: «Jonas
Kaufmann kann leider nicht auftreten, weil er Zysten auf den Stimmbändern
hat.» Welch dramatische Botschaft, zumal für einen Sänger! Zysten müssen
operativ von den Stimmbändern, genauer: von den Stimmlippen entfernt werden,
was Risiken birgt. Man erinnerte sich sofort an den Leidensweg von Rolando
Villazón, mexikanischer Star-Tenor, der ebenfalls solche Zysten hatte und
nach einer Operation lange pausieren musste. Wie Kaufmann hatte er seine
Agenda vollgestopft, sang auch, wenn er erkältet war, nahm wie Kaufmann
mehrere CDs auf und überforderte sich heillos.
Mittlerweile scheint
Villazón auf dem Weg zurück in die Normalität, doch was ist mit Kaufmann?
Die Besorgnis wuchs, als dieser am 27. Mai auch den Arienabend am KKL
Luzern kurzfristig absagte – und bald danach das «Gipfeltreffen der Stars»
mit Anna Netrebko und Erwin Schrott in Münster. Die Ausfälle häufen sich nun
seit mehr als einem Jahr. Im Februar 2011, als die Probleme begannen,
enttäuschte er innert weniger Tage das Publikum der grossen Häuser in
München und Mailand. Letztmals stand Kaufmann im April auf der Bühne, bis
Mitte Juli sind sämtliche Termine gestrichen. Der 42-jährige Sänger war für
Journalisten nicht erreichbar, sein Münchner Sekretariat nicht besetzt, das
Management in New York reagierte nicht auf Mails. Auf seiner Website
bedankte sich Kaufmann bei jenen, «die in den letzten Wochen zu mir gehalten
haben». Doch über die Probleme, die ihn am Singen hindern, schwieg er sich
aus.
Krank aus Protest Als junger, noch
unbekannter Sänger hatte Kaufmann in Saarbrücken darunter gelitten, dass
andere über seine Zeit verfügten und ihm zu viele Auftritte abverlangten. In
einer kürzlich erschienenen Kaufmann-Biografie heisst es, er habe sich
damals mit allen Mitteln gegen diese Fremdbestimmung gewehrt, auch mit
körperlichen: «Das war mit ein Grund, dass ich so oft krank war.» Dann
entdeckte ihn Alexander Pereira und holte ihn ins Ensemble der Zürcher Oper,
wo er mehr Freiheiten genoss und zum Publikumsliebling wurde. Er wohnte mit
seiner Familie in Zürich und sagte: «Es ist schon ein Unterschied, ob man
als Sänger quasi allein in freier Wildbahn unterwegs ist und aus dem Koffer
lebt, oder ob man an einem Theater singt, wo man sich wirklich zu Hause
fühlt.»
«Singen ist ein Leistungssport», hatte Kaufmann
einmal gesagt. Als er zum Weltstar avancierte, verliess er sein
behagliches Zürcher Nest und setzte sich der freien Wildbahn aus, allerdings
mit klaren Vorstellungen: «Wenn ich selbst der Idiot bin, der den Kalender
vollpackt, dann löffle ich auch die Suppe aus, dann halte ich durch, dann
kann ich nicht sagen: ‹Was die mir alles zumuten.›» Ob Kaufmann durchhält,
ist mittlerweile die grosse Frage. Denn er hat sich ein beachtliches Pensum
aufgeladen, wie der Vergleich mit den Plänen anderer Opernstars zeigt.
Während er von Mitte Juli bis Ende Jahr für 34 Auftritte in ganz Europa
gebucht ist, sind es bei der Star-Sopranistin Netrebko nur 15, bei Villazón
und Placido Domingo je 19. Im Jahr bis zu seiner Zwangspause hatte Kaufmann
nicht weniger als 67 Engagements mit 37 dazwischen geschalteten Reisen. Er
sang unter anderem in New York, Berlin, Reykjavik, Zürich, Valencia, St.
Petersburg, München, London, Stockholm, Athen, Prag, Wien, Paris, Katar,
Salzburg und Birmingham. Die zusätzlich für den September vorgesehene
Japan-Tournee sagte er ab, weil er sich einen Knoten aus der Brust operieren
lassen musste. Angesichts dieses globalen Feldzugs stellt sich die Frage:
Wird Kaufmann von seinem Management verheizt? Wird er zum Opfer seines
eigenen Erfolgs?
Besorgter «Stimmenpapst» Jürgen
Kesting wird in Deutschland «Stimmenpapst» genannt. Der renommierte
Musikkritiker ist der Verfasser des vierbändigen Standardwerks «Die grossen
Sänger», erschienen bei Hoffmann und Campe. Er will die krankheitsbedingte
Auszeit Kaufmanns nicht überbewerten. Solche Probleme hätten Sänger zu allen
Zeiten gehabt: «Auch Caruso hatte Stimmlippenknötchen, die operiert werden
mussten, was ihn zu einer längeren Pause zwang.» Den Sängern ergehe es nicht
anders als den Fussballern, die auch innehalten müssten, um einen Muskelriss
oder eine Wadenquetschung auszukurieren. «Singen ist ein Leistungssport»,
hatte Kaufmann einmal gesagt.
Gleichwohl verfolgt Kesting Kaufmanns
Karriere mit einer gewissen Besorgnis. Dieser habe früher eine schlanke,
leichte, lyrische Stimme gehabt. Nach dem Ausfall des Star-Tenors Villazón
habe sich Kaufmann als attraktiver Ersatz angeboten und weltweit «die
grossen, schwierigen Partien wie Florestan, Don José, Faust und Lohengrin
übernommen, möglicherweise ein bisschen zu früh». Für solche Rollen ständig
abgerufen zu werden, sei «ein immenser physischer und psychischer Stress».
Für das Repertoire, das Kaufmann heute singe, gebe es derzeit «nur
ein, zwei weitere Tenöre von vergleichbarer Qualität, aber keinen mit
ähnlicher Ausstrahlung », sagt Kesting. Alle grossen Häuser und Festivals
wie die Metropolitan Opera in New York, die Royal Opera in London, die Opéra
National de Paris, die Bayerische und die Wiener Staatsoper, die Salzburger
Festspiele, Bayreuth und die Mailänder Scala wollen ihn haben, jene Häuser
also, die sich Abendgagen im Bereich von 15 000 bis 20 000 Euro leisten
können. Der Druck auf einen solchen Sänger sei sehr stark, sagt Kesting, und
die Versuchung gross, Konzessionen zu machen im Sinn von: «Mensch, ich kann
doch nicht die Met oder Wien schon wieder enttäuschen.»
Den grossen
Durchbruch hatte Kaufmann im Februar 2006, als ihn das New Yorker Publikum
für sein Debüt als Alfredo in «La Traviata» enthusiastisch feierte. Ein Jahr
später löste er sich von seinem langjährigen Münchner Manager Christian
Lange. Seither lässt er sich von der New Yorker Agentur Zemsky/Green global
vertreten, während Lange nur noch das Segment der Liederabende betreut.
Kaufmann band sich mit einem Exklusivvertrag an die Schallplattenfirma Decca
und produzierte etliche CDs für den breiten Geschmack, die viel Anklang
fanden. Natürlich gebe es Agenten, die ihre Sänger behutsam einsetzten, sagt
Kesting, «aber ob es so viele davon gibt, die merken, was sie einem Sänger
zumuten, da habe ich doch inzwischen meine grossen Zweifel».
Reise- und Familienstress Es ist für Kaufmann nicht leicht, als
international gefragter Sänger allen Ansprüchen gerecht zu werden. Während
er um die Welt reist, lebt seine Frau, die Opernsängerin Margarete Joswig,
mit den drei Kindern in München. Er fliegt nach Hause, «sobald es zwischen
den Aufführungen eine Lücke von mehreren Tagen gibt», wie er in einem
Interview sagte; das bedeutet zusätzlichen Reisestress. Auf kürzere Besuche
verzichte er, denn das verursache zu Hause nur Unruhe. Kaufmann betont immer
wieder, wie sehr er an seiner Familie hänge. An spielfreien Abenden sitze er
«irgendwo in einem Hotel und vermisse sie ganz furchtbar».
Die
beruflichen und privaten Belastungen seien nicht zu unterschätzen, sagt
Kesting. Wenn ein Sänger drei Monate im selben Theater auftrete, könne er in
diesen 90 Tagen in relativer Ruhe 20 oder 25 Aufführungen singen. Wenn er
aber fliegen und in neue, heutzutage sehr mühevolle Proben hinein müsse,
multipliziere sich die Beanspruchung – durch wechselnde Luftfeuchtigkeit in
den Flugzeugen und Hotels, kurze Akklimatisierungszeiten und den Jetlag.
Lukrativ, aber auch besonders heikel seien die Open-Air-Konzerte: «Wenn
jemand schweissgebadet bei kühler Luft abends um 9 Uhr singt, kann das
strapaziöser sein als im Opernhaus.»
Gefährliche Sucht nach
Applaus Mittlerweile ist Kaufmann unter den Opernsängern zum
gefeierten Popstar geworden, als der er sich auf seiner Website auch selber
inszeniert. Sein langjähriger Manager Christian Lange räumt ein: «Die Sucht
nach Applaus und Anerkennung ist in diesem Metier eine der grössten
Gefahren.» Das Publikum, das weniger wegen des Stücks als wegen des Sängers
kommt, verlangt Höchstleistungen, was immensen Druck erzeugt. Da müsse man
gute Nerven haben, sagte Kaufmann einmal: «Denn in jeder Vorstellung sitzt
mindestens einer, der heimlich mitschneidet. Jeder misslungene Ton kann
sofort via Youtube weltweit verbreitet werden.» Der Musikkritiker Kesting
hatte zuletzt das Gefühl, «dass Kaufmann sich strapaziert und nicht ganz
frei singt». Dieser sah es zumindest vor seinen Ausfällen anders: «Ich kenne
meine Stimme inzwischen vollkommen; sie gehorcht mir.»
In Interviews
betont der Tenor stets, er trage seiner Stimme ausreichend Sorge.
Schliesslich habe er nur dieses eine Instrument und könne sich für kein Geld
der Welt ein neues kaufen. Er achte darauf, dass er nach einer Aufführung
noch so viele Reserven habe, dass er dieselbe Rolle gleich noch einmal
singen könnte. Das garantiere ihm, dass er nur mit den Zinsen seiner Stimme
singe und nicht mit dem Kapital.
Das sei «eine uralte Sängerfloskel,
über die man nur lachen kann», sagt Kesting. Selbst der 71-jährige Placido
Domingo, eine Ausnahmeerscheinung unter den Topstars, habe immer mit dem
Kapital gesungen, welches aber nahezu unerschöpflich scheine. Die Kunst
liege in der Selbsteinschätzung und Selbstbeschränkung.
Krank
– oder einfach gescheit? Wie geht es Kaufmann wirklich? Pereiras
Assistent am Zürcher Opernhaus korrigiert seinen Chef. Laut dem New Yorker
Management habe Kaufmann keine Zysten auf den Stimmbändern, sondern einen
Pilz – Pereira habe sich vor dem Publikum in der Wortwahl vertan. Kaufmann
leide unter einer chronischen Entzündung der Luftröhre, schrieb eine lokale
Zeitung nach der Absage einer Operngala in Übersee. Sein langjähriger
Gesangslehrer Michael Rhodes (88) sagte gegenüber dem TA, sein ehemaliger
Schützling habe ihn vor einigen Wochen in Trier besucht. Ihm fehle «nichts,
er fühlt sich derzeit einfach nicht in der Lage, auf der Bühne 100 Prozent
zu geben ». Kaufmanns langjähriger Manager Christian Lange brachte letzte
Woche eine zusätzliche Variante ins Spiel: Wer auf einem solchen Level
angelangt sei, überlege sehr sorgfältig, ob er auftrete und damit sein
Renommee schädige, wenn er sich nicht hundertprozentig wohlfühle. Kaufmann
sei «einfach zu gescheit, um solche Fehler zu machen». Gestern nun hat
Kaufmann via seinen Pressesprecher klargestellt, dass er seit April unter
einem hartnäckigen Infekt leide, doch sei er laut ärztlichem Befund «auf dem
besten Wege der Besserung».
Ob der Star-Tenor im Juli tatsächlich
zurückkehrt, bleibt offen. Das Schweizer Publikum erwartet ihn am 29. August
zum Verdi-Requiem in Luzern, am 24. September zu einem Liederabend in
Zürich, am 28. Oktober zu einem Soloabend erneut in Luzern. Er hat die
Termine zusätzlich in seine Agenda gepresst. Im Oktober will Kaufmann in 23
Tagen 10-mal auftreten – unter anderem in der «Tosca» in München, im
«Fidelio» in Berlin und Paris sowie an einem Liederabend in Wien. Im
Dezember ist er für Wagners «Lohengrin» sechsmal an der Mailänder Scala
gebucht. |
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