Der Neue Merker 2/2011
Sieglinde Pfabigan
 
JONAS KAUFMANN - Bei den „Opernfreunden" - 16.1. vm.
Hinweis: Dien Rundfunksendung des Gesprächs findet ihr auf dieser Seite
 
Sie füllten nicht etwa den Gustav Mahler-Saal, sondern den gesamten Zuschauerraum der Staatsoper - obwohl Jonas Kaufmann erst 5 (fünf) Vorstellungen an diesem Hause gesungen hatte (Tamino 1x 2006, 2x Des Grieux in „Manon" 4/2009, 2x Cavaradossi 5/2009). Dass da die Medienpräsenz des Sänger mitgespielt hat, dürfte außer Zweifel stehen. Dass ihm dieses „Freunde"-Gespräch am Tag vor seinem Wiener Werther-Debut viele zusätzliche Sympathien eingebracht hat, ebenfalls. Er gehört - Gott sei's gedankt - zu jenen Tenören, die das Vorurteil vom geistig minder bemittelten Vertreter dieser Stimmlage Lügen strafen. Und spielt so überhaupt nicht den „Star", als den man ihn zu verkaufen versucht.
Was den geborenen Münchner auch als Gesprächspartner so sympathisch und damit auch populär macht - abgesehen von seiner Stimme - ist die gesunde Mischung aus Intelligenz und Natürlichkeit, künstlerischer Seriosität und der Gabe, sich selber und sein Metier mit Humor zu betrachten. Jedes Schubladendenken ist ihm fremd, und er wünscht es sich auch von den Kunstverantwortlichen und vom Publikum nicht.

Als der Moderator Thomas Dänemark zur Sprache bringt, dass die Wiener als Stimmfetischisten gelten, für die angeblich alle anderen Bereiche der Kunstgattung Oper sekundär sind, erwidert Jonas Kaufmann sofort, dass es das Wissen der Wiener um die Stimme und die Musik im allgemeinen sei, das zu besonderer Wertschätzung der Sangeskunst führe, und deshalb die Szene für sie von geringerer Bedeutung sei, während sich die Berufskritik allerorts heute zu 90% mit den optischen Effekten befasse. Er ist voller Hochachtung für die musikalische Kompetenz hierzulande.

Und er witzelt, dass die Bayern, obwohl uns geographisch nahe, zwar hier trotzdem als „Piefke" gelten, er sich aber mental näher zur österreichischen als zur dänischen Grenze fühle. Viele Aufenthalte als Kind in Tirol haben dazu beigetragen.

Schnell gibt der Künstler sein „Credo" preis: Singen ist für ihn nur „mit Herzblut" denkbar, und jede Rolle gestaltet er „mit Passion': In Verbindung mit einer Aufzeichnung aus London von Cavaradossis „Recondita armonia" bezeichnet er „Tosca" - zum Gaudium der Zuhörer - als „ein Festessen": Da gibt es keine Leerläufe, es ist vollster Einsatz vom Anfang bis zum Ende nötig - das macht dem Sängerdarsteller Freude. Und diese Freude an der Rolle verlangt, dass er sogar die Folterschreie selber produziert. Als sich bei seinem Wien-Debut vor dieser Szene ein Herr neben ihn stellte und der Sänger erfuhr, dass das ein Statist sei, der statt seiner schreien sollte, teilte er diesem mit, dass er sich diese Affekt-Szene nicht nehmen lasse! „Hier geht der Krimi sozusagen ab!" fügt er im Gespräch hinzu. Der Titel seiner jüngst erschienenen Biographie „Meinen die wirklich mich?" bezieht sich auf sein „Traviata"-Debut an der Met: Er war dort, vielen vielleicht nicht einmal dem Namen nach bekannt, keineswegs das Zugpferd beim Publikum, sondern Angela Gheorghiu war der „Star". Als er am Ende bei seinem Solovorhang den Publikumsjubel vernahm, drehte er sich um, ob vielleicht hinter ihm jemand stehe, dem dies galt. Aber nein: es galt wirklich ihm! „Da hab ich schon die Gänsehaut gekriegt und bin auf die Knie gesunken (auch wenn dies schmalzig klingt)!"

Kaufmann erzählt von seiner Kindheit, dass er zum Klavierüben keine Geduld gehabt habe, ein aufmüpfiger Schüler gewesen sei, aber mit 7 Flöte gelernt und immer schon gern und - laut gesungen habe, gefördert von der Familie. Sein erster Opernauftritt, in „Madame Butterfly",hat ihm sehr viel Spaß gemacht. Dass die Verstorbenen nach Schluss wieder vor den Vorhang kamen und sich verbeugten, war ein Schlüsselerlebnis. So wird Kunst gemacht. Wenig glücklich verlief sein erstes Engagement in Saarbrücken. Da hatte er noch nicht „seine Stimme"gefunden und kein Lehrer konnte ihm weiterhelfen. Als ihm dann sogar als 3. Knappe in „Parsifal" plötzlich die Stimme wegblieb, läuteten die Alarmglocken! Doch es fand den richtigen Ratgeber und damit zu seinen Potenzen: starkes baritonales Fundament, dunkles Timbre, sichere Höhe, aufgebaut auf einer soliden Technik, die ihm jede Differenzierung erlaubt.

Gesang und Familie
Heute kann er es sich leisten, jederzeit normal zu reden, sich auch seinen Kindern nicht wegen bevorstehender Auftritte entziehen zu müssen - selbst auf die Gefahr hin, sich von deren Erkältungen anstecken zu lassen und Vorstellungen absagen zu müssen. Wir hören eine Aufnahme des Wiegenliedes „Aber heitschi-popeitschi-bumbum", gesungen von Jonas Kaufmann und seiner Frau, der Mezzosopranistin MARGARETE COSWIG. Die allgemeine Reaktion: Die Kinder, denen auf diese Weise vorgesungen wird, sind zu beneiden! Die Frau mit der wunderbar ausgeglichenen, pastosen Mezzo-Stimme kann aus familiären Gründen nun natürlich nur sporadisch ihrer Singleidenschft nachgehen. Für den Ehemann auf Welterfolgstrip ist das keineswegs selbstverständlich: „Singen ist etwas Emotionales. Wenn man diese Kunst liebt und beherrscht, führt der Verzicht auf Bühne und Podium zu einem ständigen Konflikt`; meint er bedauernd. Aber diese Zeitspanne muss gemeinsam bewältigt werden. Das Ehepaar Kaufmann arbeitet an einem Kinderlieder-Projekt. „Singen mit Kindern bringt Nähe und Wärme für die Kinder. Gesang ist der Zugang zur Seele des Publikums. "

Bewegungs- und Leidenstherapie
Gesunde, sportliche Betätigung findet Jonas Kaufmann unerlässlich. „ Operngesang ist Hochleistungssport. «'Joga hilft sehr, Liegestütze vor Liederabenden geben Kraft und fördern eine gute Durchblutung auch der Stimme. Auch durch Kauen kann man sich Energie zuführen: Das braucht er z.B. als Lohengrin während der langen Pause zwischen dem 1. Akt und den 2. Hälfte des 2. Akts.

Ob das viele Leiden in den großen Tenorrollen eine Art Therapie darstelle, wird er gefragt. „Ja, eine Gratis-Eigentherapie".

Die richtige Rollenauswahl im richtigen Moment sei eine Art Gratwanderung. Natürlich denkt er in gehöriger Ferne an den Otello, an Tristan und Tannhäuser, aber nur über einen stufenweisen, soliden Aufbau seines Repertoires. „Vorfreude ist die größte Freude!" „Ich will den Raum erweitern, ohne auf eine Tür zuzuspringen. "

Mit Regisseuren kommt er in der Regel gut zurecht, wenn man mit ihnen reden und gemeinsam etwas entwickeln kann. Große sportliche Herausforderungen, wie zuletzt im Münchner „Fidelio", wo er während des Singens auf dem Stahlgerüst umherklettern musste, sind dann allerdings schon eine gewaltige Herausforderung, auch für die Stimme.

Auf sein gutes Aussehen angesprochen, kommentiert Jonas Kaufmann, dass ihm das in jungen Jahren zunächst gar nicht bewusst gewesen sei. Und heute sagt er:„ Dafür kann ich nichts. Aber natürlich ist es hilfreich in einer Zeit, wo die Optik eine so dominierende Rolle spielt. "Was für ihn aber nichts daran ändert, dass die Fantasie des Zuschauers darüber hinaus angeregt werden muss und ihm ein andauernder Erfolg nur durch die Stimmbeherrschung und den vollen persönlichen Einsatz als Rollengestalter möglich scheint.






 
 
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