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Die Welt, 19. Dezember 2010 |
Martina Kausch |
Irrungen und Wirrungen
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Opernstar und Publikumsliebling Jonas Kaufmann singt im "Fidelio" des Skandalregisseurs Calixto Bieito. Eine Herausforderung für beide Seiten |
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Von Jonas Kaufmann, 41, schwärmen nicht nur
Münchens Opernfreunde. Er ist einer der gefragtesten Tenöre weltweit.
Calixto Bieito, 47, dagegen muss damit leben, als "Hassfigur konservativer
Kulturfreunde" bezeichnet zu werden ("Spiegel"). Blut, Nacktheit und Gewalt
sind Teil seiner Inszenierungen. In München treffen beide aufeinander in der
Neuproduktion von Beethovens "Fidelio". Am Dienstag ist Premiere.
Jonas Kaufmann bestreitet in der Hauptrolle in Beethovens einziger Oper zwar
kein Rollendebüt, aber jede Premiere in seiner Heimatstadt ist für ihn ein
Ereignis. Schließlich stand er unter Bayerns früherem Staatsintendanten Sir
Peter Jonas nie auf der Bühne des Hauses am Max-Joseph-Platz. Mit Nikolaus
Bachler haben sich aber die Zeiten geändert. "Natürlich ist es eine Freude
und Genugtuung, wenn man endlich zu Hause angekommen ist", sagt Kaufmann im
Gespräch mit der "Welt am Sonntag". Bachler hat Kaufmann sofort und
langfristig verpflichtet. Dennoch bleibt der Sänger, der mittlerweile auch
wieder in München lebt, Realist: "Der Intendant hat viel mit mir vor, aber
risikolos ist das nicht. Das Entscheidende ist das Publikum." Seit 1994
steht Kaufmann auf der Bühne und weiß: "Wenn das Publikum einen ablehnt,
kann der Intendant noch so sehr an dich glauben."
Aber das Problem
stellt sich nicht. Als man 2007 im Nationaltheater mit dem gut aussehenden
Tenor Pläne machte, war er bereits ein erfolgreicher Sänger, hatte 2006 an
der New Yorker MET als erster Deutscher den "Alfredo" in Verdis "La
Traviata" gesungen. Das Münchener Publikum begegnete "seinem" Rückkehrer mit
Sympathie und ließ sich von seiner schauspielerischen Gewandtheit und dem
unverwechselbar dunklen Timbre seiner Stimme begeistern. Kaufmann ist darum
"besonders glücklich", weil er merke, dass das Publikum einverstanden ist.
"In der Heimat zu leben und zu singen ist eine ideale Kombination."
Nach dem "Lohengrin", Kaufmanns erstem großen Auftritt in München, singt er
nun mit "Florestan" eine Rolle, die seine Gesangslehrerin ihm zunächst nicht
zutraute. Doch Kaufmann überzeugte sie: "Ich habe ihr die schwierigste Arie
ein paar Mal vorgesungen, und als ich immer noch nicht heiser war, konnte
sie nichts mehr sagen."
Kaufmann steht mit Begeisterung auf der Bühne
und "so soll es bleiben". Nach der "Fidelio"-Serie ist er im Februar in
München wieder in "Carmen" zu hören. Die nächste große Aufgabe ist sein
erster "Siegmund" in Wagners "Walküre" im April an der New Yorker MET.
Fernziele gibt es natürlich auch: Verdis "Othello": "Vielleicht in fünf,
sechs Jahren wäre er dran. Aber ob das nun in München sein wird, kann ich
nicht beschwören." Wer Kostproben hören möchte, muss zum Silvesterkonzert
nach Baden-Baden fahren, dort singt Kaufmann mit Anja Harteros "Già nella
notte densa", das Liebesduett aus der Verdi-Oper. Anzeige
Anders
als Kaufmann arbeitet Calixto Bieito für "Fidelio" zum ersten Mal in
München. An Beethovens Moraloper, in der es um die Freiheit geht, denn
Leonore befreit nicht nur ihren Gatten Florestan aus dem Todeskerker. In
ihrer verzweifelten Entschlossenheit will sie eine allgemeingültige gute Tat
tun, einfach einen Gefangenen retten, egal, wer er ist. Auch für Bieito geht
es in diesem Stück nicht nur um äußere Freiheit. "Ich möchte ein großes Poem
über die Freiheit des Geistes machen, über das Gefängnis und die Befreiung
der Gedanken", sagt er. Der Frage, wie es jemandem geht, der ein Gefangener
der eigenen Ideen ist, geht der Regisseur auch im Bühnenbild nach: "Die
Bühne soll ein großes Labyrinth sein, das sich immer wieder neu
zusammenfügt, als ob man in den Kopf einer Person eindringen würde, die in
sich selbst gefangen ist."
An dieser Stelle schlägt Bieito den Bogen
von der Opernbühne zur Realität. "Mentale Gefängnisse sind in unserer
Gesellschaft von größerer Relevanz als die realen Gefängnisse einer
Diktatur. Wir leben in einer Gesellschaft, in der jeder nur noch mit sich
selbst beschäftigt ist. Man redet, hört aber nicht zu."
Die Mittel,
zu denen Bieito greift, erschrecken und fordern heraus. So viele Abgründe,
so viel Blut, so viel Brutalität wie er in seinen Opern- und
Theaterproduktionen zeigt, so emotional aufgeladen reagiert oft sein
Publikum. Ein großer deutscher Veranstalter von Opernreisen schreibt
beispielsweise zu einer Fahrt zur Münchner "Fidelio"-Aufführung mit einem
"Achtung!" dazu, dass die Oper von Bieito inszeniert wurde - ein Hinweis,
sich auf eine spezielle Sichtweise einzurichten.
Bieito gibt zu, dass
es kein Genuss ist, sich nach einer Premiere auf der Bühne dem wütend
tobenden Parkettpublikum zu präsentieren: "Ich fühle mich nicht wohl dabei.
Aber ich habe einen großen Drang, mich als Mensch und Künstler auszudrücken.
Ich kann mich nicht verstellen, denn ich kann die künstlerische
Ausdrucksfähigkeit nicht verleugnen." Zu der Beethoven-Oper, die er zum
ersten Mal inszeniert, findet Bieito auch einen sehr persönlichen Zugang.
"Mir persönlich gibt die Kunst eine große Freiheit." Also versteht er
"Fidelio" am Schluss auch als einen großen Gesang über die Kraft der Kunst,
sich frei zu fühlen: "Beethoven selbst hat einmal gesagt, die Kunst bringe
Freiheit und Fortschritte", so der Regisseur. Und: "Man sollte über Details
wie nackte Leute auf der Bühne nicht das große Ganze aus den Augen
verlieren."
Dienstagabend entscheidet sich also erneut, ob zutrifft,
was Jonas Kaufmann über seine Rückkehr ans Opernhaus seiner Heimatstadt
empfindet: "Das ist so, wie man es sich immer vorgestellt hat als kleiner
Junge im Zuschauerraum und dachte: Da oben auf der Bühne zu stehen und zu
singen, das wär's doch." |
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