Die Welt, 16. Mai 2010
Peter Krause
Deutschland hat den Supertenor
Jonas Kaufmann singt an allen großen Opernbühnen dieser Welt und bald auch in Bayreuth. Am Mittwoch ist der Münchner in der Laeiszhalle mit Werken von Mozart bis Wagner zu hören
Als vor genau zehn Jahren ein junger, wuschelköpfiger Tenor namens Jonas Kaufmann als Ferrando in Mozarts "Cosí fan tutte" auf der Bühne der Staatsoper stand, mochte kaum jemand von einer sängerischen Sensation sprechen. Wenn Kaufmann am Mittwoch nach Hamburg zurückkehrt, um in der Laeiszhalle Arien von Mozart, Beethoven, Schubert und Wagner zu singen, dann eilt ihm der Ruf eines Supermanns der Oper voraus. Eine männliche Ausgabe der Anna Netrebko sei er, der derzeit einzige deutsche Tenor von Weltruf.

Was ist in diesen zehn Jahren bloß geschehen? Offenbar fand die komplizierte Genese eines Sängers statt, dessen Erfolgsgeschichte sich keineswegs früh abzeichnete. Denn bei seinem Hamburg-Debüt gefiel zwar die suggestiv lyrische Strahlkraft seiner feinen Tenorstimme, die dennoch mitunter unstet und noch lange nicht so gefestigt wirkte, dass man ihm alsbald kräfteraubende Rollen wie Wagners Lohengrin oder Beethovens Florestan zugetraut hätte. Diese Partien aber singt er heute auf den wichtigsten internationalen Bühnen, von London über Zürich bis nach New York.

Ende Juli debütiert er mit seiner derzeitigen Paraderolle, dem Lohengrin, gar in Bayreuth. Den Schwanenritter hatte Kaufmann 2009 auch auf den Münchner Opernfestspielen gegeben und dabei seine Fans schwer beeindruckt. Schließlich adelte er Wagners Helden mit virilem, dabei sensiblem Trompetenton und jener baritonal abgedunkelten Farbgebung, die man von deutschen Heldentenören der alten Schule kennt. Bei allem stupenden Glanz war die Schattenseite von Kaufmanns Facherweiterung indes nicht zu überhören. Denn jenseits der kraftvollen Höhe im Forte wirkt seine Mezza-voce-Fähigkeit begrenzt. * Das Piano klingt spröde und hauchig.

Kaufmann reflektiert seinen Weg von den tenoralen Lyrikern bei Mozart und Rossini zu den dramatischen Schwergewichten von Puccini und Wagner durchaus selbstkritisch: "Während meines ersten Engagements in Saarbrücken habe ich sogar mit dem Gedanken gespielt, den Beruf aufzugeben. Ich steckte mitten in einer Stimmkrise, kein Lehrer konnte mir wirklich nachhaltig helfen", sagt Kaufmann. Als er Mitte der 90er-Jahre an dem kleinen Opernhaus in zwei Spielzeiten ganze 15 Partien zu stemmen hatte, kam Kaufmann bald an seine Grenzen. Heiserkeit sei damals an der Tagesordnung ge-wesen, "manchmal wusste ich während einer Vorstellung kaum, ob ich bis zum Ende des Abends würde singen können".

Seine Stimme sei damals wie der Motor eines Autos gewesen, das immer im falschen Gang fahre. Da drohen Schäden am Getriebe. Davor bewahrt hat ihn der Gesangspädagoge Michael Rhodes, der ihn zum "Wendepunkt meines Lebens" brachte. Ihm gelang es, Kaufmanns "natürliche Stimme" und die "Grundmauern meiner Stimmsubstanz" freizulegen. Der Tenor erläutert: "Er war Psychologe und gab mir genug Selbstvertrauen, den neuen Sound zu akzeptieren: 'Entspann dich und sing', war sein Imperativ und genau richtig für mich in dieser Situation. Meine Stimme wurde dichter und dunkler, die Heiserkeit war weg, und es fiel mir auch leichter, mit meinem Instrument zu arbeiten."

Erst jetzt entdeckte der 40-Jährige, welche Freude Singen und Spielen ihm bereiten. In Stuttgart erhielt er die Chance, sich mit dem Alfredo in "La Traviata" das italienische Fach zu erschließen, bis Alexander Pereira von der Oper Zürich auf ihn aufmerksam wurde und ihm die Tore zu all jenen Partien öffnete, die seiner "eigenen Stimme" wirklich entsprechen.

In Pereiras Ensemble eroberte sich Kaufmann über Mozarts Idomeneo und Bizets Don José in "Carmen" schrittweise jenes Heldenfach, mit dem er heute immer mehr identifiziert wird und weswegen er nun als die deutsche Tenorhoffnung schlechthin gilt. Parallel vervollkommnete Kaufmann seinen Liedgesang, erkundete mit seinem vormaligen Professor an der Münchner Hochschule, Helmut Deutsch, jene "Poesie des Augenblicks", durch die sich im Zwiegespräch zwischen Pianist und Sänger immer wieder neue Zwischentöne zum Klingen bringen lassen.

Auf das Markenzeichen des deutschen Helden will sich der zum "Sänger des Jahres 2009" erkorene Tenor nicht einengen lassen, sondern sich seine stimmliche Flexibilität bewahren: Zwischen dem Hamburger Galaabend und dem Bayreuther Lohengrin steht der Münchner in seiner Heimatstadt als Puccinis Cavaradossi auf der Bühne.
(* Anscheinend hat der Schreiber Jonas noch nie live gehört.)






 
 
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