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Der Tagesspiegel, 01.07.2010 |
Christine Lemke-Matwey |
Der Zaunpfahl der Kanzlerin
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Wagner-Werkstatt (13) |
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Das gab's noch nie: Eine Journalistin, die in
Wagners Allerheiligstes vorgelassen wird und dort die nächsten sechs Wochen
zubringen darf. Diesmal trifft sie Jonas Kaufmann, Tenor und Star des neuen
Bayreuther "Lohengrin".
Ich habe es ja immer gesagt: Unsere Bundeskanzlerin kann richtig witzig
sein. Das Jackett gewordene Schrebergartentum, das streift man ihr bloß
über, sobald irgendwo ein Rotlicht brennt; dieser ganze Ossi-Thatcherismus
ist eine Erfindung von Beratern. Bei ihrer ersten – historischer Moment! –
Ansprache je auf einem Empfang der Bayerischen Staatsregierung fand Angela
Merkel nun ein paar höchst beziehungsreiche, ja hintersinnige Dankesworte.
Lieber Horst, sagte sie (gemeint war der Bayerische Ministerpräsident Horst
Seehofer als oberster Ausrichter des Staatsempfangs im Neuen Schloss nach
der Eröffnung der Festspiele), lieber Horst, sprach Frau Merkel also und
schraubte das Mikrofon einen halben Meter weiter runter, ich möchte es kurz
machen und mich bedanken: Bei Richard Wagner für den „Lohengrin“, bei den
Künstlern für die Kunst und bei den Schwestern Festspielleiterinnen dafür,
dass sie sich so gut vertragen! Rumms! Zaunpfahl! Ha! Mächtiges Raunen im
weißblauen Festzelt. Darüber fiel prompt nicht groß auf, dass Angie sich
beim Horst für die leckeren Häppchen und Schlückchen irgendwie gar nicht
bedankte, was dazu führte, dass Kabinettskollege Rainer Brüderle noch zwei
Stunden nach der Kanzlerinnenansprache leicht orientierungslos durch den
Garten irrte: „Wo isch’n hier der Wein? Wo isch’n hier der Wein?“
Wie gut oder schlecht sich Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier nun
tatsächlich verstehen und vertragen, wer will das wissen. So lange der Laden
läuft, ist das eigentlich auch egal. Und er scheint zu laufen, wie die
folgende flankierende Maßnahme beweist: Schlussapplaus nach der
„Lohengrin“-Premiere, viel Stimmung im Saal, Ovationen für die Solisten,
Getrampel für Andris Nelsons, Kusshände für Eberhard Friedrich und seinen
Chor – und das notorische Buhgeschrei für Hans Neuenfels und Reinhard von
der Thannen. Irgendwo muss das Publikum seinen Frust ja abladen: Ein
„Lohengrin“ ohne jede romantische Ästhetik und Idylle, ein „Lohengrin“, der
Sachsen und Brabanter in Rattenkostüme steckt, schwarze und weiße (und
niedliche rosafarbene), und behauptet, die ganze Welt sei ein Labor und der
Mensch zu Liebe und Hingabe nicht fähig? Keine leichte Kost fürs
eingefleischte Wagnerherz.
Neuenfels und von der Thannen werden also gerade zum zweiten Mal
niedergemäht, da eilen ihnen zwei Bodyguards zur Hilfe. Eva von rechts hakt
sich bei von der Thannen unter, Katharina von links bei Neuenfels, fertig
ist die Quadriga. Den tosenden Unwillen konnten die Damen
Festspielleiterinnen damit zwar nicht besänftigen, auch wäre die Geste kaum
nötig gewesen, da haben die Herren Künstler schon ganz andere Kämpfe
ausgefochten; ein schönes Bild aber war es allemal. Schade, dass die Kamera
meines iPhones das aus Reihe 30 nicht geschafft hat, das Ding hat entweder
keinen Zoom oder ich finde ihn nicht. Zwei rechtschaffen ratlose
Theatermachergesichter wären darauf zu erkennen gewesen (niemandem machen
Buhs nichts aus!) und zwei betont gefasste Intendantinnenmienen. Überhaupt
muteten die Schwestern an diesem Abend sehr schwesterlich an: Katharina mit
einer schwarzen Schwanenfeder im hochgesteckten Blondhaar, Eva mit langem
Silberschmuck um den Hals, beide in schlichten schwarzen Roben. Ein
Statement, zweifellos. Und nicht das blödeste.
Wer Hans Neuenfels kennt, weiß, dass er seinen Premieren gerne beiwohnt, als
Zuschauer unter Zuschauern. In Bayreuth ging das bis zum Auftritt Telramund
im ersten Akt gut. Zu dessen verleumderischer Anklage, Elsa habe ihren
Bruder Gottfried verschwinden lassen, um sich den Thron von Brabant zu
sichern, soll eigentlich ein kleiner Zeichentrickfilm gezeigt werden, der
erste von dreien, „Wahrheit 1“. Die Leinwand fährt brav herunter, das Licht
dunkelt ein – und es passiert weiter nichts. Kein Film, gar nichts. Der
Computer streikt, wie sich später herausstellt, und Neuenfels hält es nicht
länger auf seinem Sitz. Den Rest des Abends verbringt er irgendwo in den
Katakomben des Hauses, Fernsehschirme gibt es hier genug und Gesellschaft
auch: Die Assistenten der Produktion zum Beispiel, die ausnahmslos keine
Premierenkarten bekommen haben, was mindestens so unschön ist wie die
Tatsache, dass es keine Premierenfeier für alle gibt. Die Promis rauschen im
Konvoi zum Staatsempfang, das Bühnenpersonal rottet sich in der Kantine
zusammen, die Künstler flüchten in dieses oder jenes Lokal. Liebe
Schwestern, hier wäre Handlungsbedarf! Vom Pfört-ner bis zum Heldentenor
seien auf dem Grünen Hügel alle gleich und würden auch gleich behandelt,
hieß es zu Wolfgang Wagners Zeiten. Davon war im unmittelbaren Umfeld der
„Lohengrin“-Premiere nicht viel zu spüren.
Ich habe den ersten Akt mit einem mexikanischen Ehepaar, das vergeblich
einen Parkplatz gesucht hatte, im so genannten Fernsehzimmer auf der
Westseite verbracht (gleich hinter dem seitlichen Balkon, der nicht genutzt
wird, wegen des Fernsehzimmers wohl, das früher auf der anderen Seite war
und viel kleiner): Acht türkis gepolsterte Reihen à vier Plätzen,
Flachbildschirm an der Wand, Fernbedienung in der Hand, fehlen nur noch
Chips und Weißbier. Vom Bild her sieht man lediglich eine etwas unscharfe
Totale, ich fürchte, die Mexikaner haben bei diesem Ameisentheater rein gar
nichts erkannt und kapiert. Und wenn sich das schwere Blech unten im Graben
ein paar echte Fortissimi leistet, dann rächen sich die TV-Boxen mit lautem
Ächzen und Krachen dafür.
Den zweiten Akt bin ich im Graben gesessen, als einzige Hörerin. Nachdem es
vor zwei Jahren bei Stefan Herheims „Parsifal“ auf den Hörerplätzen zu
tumultuösen Zuständen gekommen war, hatte sich das Orchester alle Zaungäste
in Zukunft verbeten, wenigstens für die Premieren. Mir aber hat’s Andris
Nelsons erlaubt, und ich war auch ganz andächtig und untumultuös. Wie leicht
Nelsons einem das macht! Jede seiner Bewegungen ist Musik, Seele, Liebe,
Hingabe! Ein Fließen und Kosen, ein Befeuern und Beflügeln! Vielleicht wäre
dasselbe Ergebnis auch mit weniger emotionalem Aufwand zu erzielen,
kapellmeisterlicher sozusagen. Aber ist es nicht toll, wenn Künstler jung
sind und wagemutig und heilig überschäumen, vor Enthusiasmus und Gier nach
Leben? Mich tröstet so etwas, denn weniger wird’s von ganz allein. Ab Reihe
20 übrigens und in der zweiten Szene – das hat mir ein Fan dieser Kolumne
verraten – spiegelt sich Nelsons Grabenkonterfei in der Vitrine mit Schwan,
die Reinhard von der Thannen für Elsas Auseinandersetzung mit Ortrud gebaut
hat. Man sieht den 31-Jährigen also richtig dirigieren! Das muss ich Hans
Neuenfels erzählen, der anfangs eine Reihe Bullaugen in den Grabendeckel
sägen lassen wollte, damit das Publikum von Nelsons hinreißendem Anblick
etwas hat (siehe Folge 3).
Und den dritten Akt, nun ja, habe ich wandernd zugebracht. Eigentlich wollte
mich Karlheinz Matitschka, der technische Direktor, in einen Bühnenturm
setzen, aber da Matitschka nicht kam und ich nicht kaltblütig genug war,
einfach auf dem Stuhl neben Wolfgang Wagners legendärem Klappsitzchen Platz
zu nehmen (siehe Folge 11), bin ich, was sowieso verboten ist, zum
Brautgemach ein bisschen auf der Seitenbühne herumgestanden, habe im Foyer
an den Türen gehorcht, bin auf der Treppe zum BR-Studio gestanden (wo man
besonders gut hört!), habe nachgeguckt, wer in der Kantine so alles vor
Aufregung Fingernägel kaut, und bin schließlich wieder im Fernsehzimmer
gelandet, wo zwei schmatzend Kaugummi kauende ältere Damen und ein leise
schnarchender älterer Herr gerade der Gralserzählung lauschten. Und zum
Applaus bin ich dann ganz schnell an die sich öffnende Tür in Höhe der
letzten Reihe gesprungen und habe „Bravo“ geschrieen, so laut ich konnte,
und habe einen Kloß im Hals verspürt, weil es jetzt vollbracht ist und
vorbei. Morgen gibt’s die Kritiken. Und ich bin mir ganz sicher: Die Lektüre
der Kollegen wird mir den Weg zurück in mein altes Leben verlässlich ebenen. |
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