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Der Tagesspiegel, 01.07.2010 |
Christine Lemke-Matwey |
Nie sollst du mich befragen
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Wagner-Werkstatt (7) |
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Das gab's noch nie: Eine Journalistin, die in
Wagners Allerheiligstes vorgelassen wird und dort die nächsten sechs Wochen
zubringen darf. Diesmal trifft sie Jonas Kaufmann, Tenor und Star des neuen
Bayreuther "Lohengrin".
Um Punkt 12.41 Uhr ist es so weit. Eine Silhouette zeichnet sich in der
schmalen Tür zur Probebühne VI ab, Lockenkopf, sportliche Figur. Nervosität
macht sich breit. Auch Eva Wagner-Pasquier ist da, die Mutter Striese der
Produktion (dazu muss man sagen, dass die Festspielleiterinnen sich die
sieben Aufführungen dieses Sommers in der Betreuung aufteilen, Katharina
Wagner hat vorrangig mit ihrer eigenen „Meistersinger“-Inszenierung zu tun,
EWP mit dem „Lohengrin“). Nicht dass sie nicht öfter mal vorbeischaute oder
sich nach dem Wohlbefinden ihrer Künstler erkundigte. Diesmal aber hat sie
einen besonderen Auftrag. „Meine Damen und Herren“, ruft sie in die Halle,
„auch wenn es nicht nötig ist: Ich darf Ihnen hiermit Jonas Kaufmann
vorstellen, unseren Lohengrin!“ Das ist ungefähr so, als würde man der
englischen Fußballnationalmannschaft erzählen, wer David Beckham ist. Oder
die Deutschen an Ballack erinnern.
Kaufmann ist Tenor und ein Star, der Star des neuen Bayreuther „Lohengrin“.
Mit der Partie hat er im vergangenen Sommer in München debütiert, das Ganze
gibt’s längst auf DVD, und auch jetzt ist er direkt aus München angereist.
Am Vorabend hat er dort zur Eröffnung der Opernfestspiele „Tosca“ gesungen,
den Cavaradossi. Und nun steht er hier, die Wagner-Noten unterm Arm und ein
bisschen blass um die Nase. Starsein ist anstrengend. „Danke für die
Geduld!“, ruft er seinerseits in die Runde und tippt sich mit dem Finger an
den Kopf – „jetzt kommt hier der andere Chip rein!“ Wagner gegen Puccini,
das meint er damit, Lohengrin gegen Cavaradossi. Der eine ist Gralsritter
und soll die Welt retten, der andere ist Kunstmaler und stolpert ins
Räderwerk politischer Intrigen. Unterschiedlicher geht’s nicht. Überhaupt
kommt man mit der guten alten Belcanto-Technik bei Wagner nicht sonderlich
weit.
Oder doch? Oder gerade? An Kaufmanns Münchner „Lohengrin“ wurde seinerzeit
vor allem sein lyrischer Ton gefeiert. Wagner wie Schubert, und endlich
würde die Partie mal nicht gebrüllt! In Richard Jones' Inszenierung trug
Kaufmann eine Zimmermanns-Montur, schwarze Cordhose und –weste, was ihn
famos kleidete. Das szenische Konzept bestand aus einem Hausbau, das heißt,
Elsa und Lohengrin mörtelten, spachtelten und mauerten die meiste Zeit nach
allen Regeln der Handwerkskunst an ihrer Utopie eines besseren, heileren
Lebens herum. Das wird in Bayreuth nun definitiv anders sein. Startenöre –
wie Sänger überhaupt – werden nicht groß gefragt, ob sie mit dieser oder
jener Regie-Tat einverstanden sind. Sie müssen’s erst einmal machen. Und das
muss man erst einmal können.
Die neue Münchner „Tosca“ war sogar dem „Nordbayerischen Kurier“ (der
ansonsten nicht durch überregionale Berichterstattung besticht) eine Kritik
wert. Die Inszenierung sei so düster wie lahm, stand da zu lesen, und man
wolle sich gar nicht vorstellen, was ohne Kaufmann gewesen wäre: „Sein
Cavaradossi kommt voller Leidenschaft daher, einzig er glüht vor Liebe. Sein
geschmeidiger Tenor überstrahlt die Mattheit des Premierenabends, ihm
gelingt alles, vor allem die leisen Töne sind ein Genuss zu hören.“ Das
lässt sich sicher noch eloquenter formulieren, trotzdem ist es für Jonas
Kaufmann ein schönes Bayreuther Eintrittsbillett. Wie er so seine ersten
Probenschritte tut, wie er ein erstes „Nie sollst du mich befragen“ singt,
nein, erst markiert und dann singt, richtig singt, aussingt, mit Kraft, als
gäbe es keinen Cavaradossi und keinen Ritt über die A8 von München nach
Bayreuth und keine Chips im Kopf – das hat plötzlich etwas unvergleichlich
Lohengrinöses, als wäre Kaufmann selbst vom Himmel gefallen. Bei Annette
Daschs Elsa ist übrigens etwas Ähnliches zu beobachten gewesen. Während
ihrer ersten Probentage hatte sie mit einem schlimmen Infekt zu kämpfen. Bei
wem sie sich angesteckt hat? Bei ihrem Bruder! Und was sind Elsas erste
Worte im Stück? „Mein armer Bruder!“ Da soll doch noch mal einer sagen,
Wagner verhexe seine Interpreten nicht.
An Jonas Kaufmanns zweitem Tag werde ich gebeten, den Proben fern zu
bleiben. Es mache sich nicht so gut, sagt Hans Neuenfels, wenn während
intimer Szenen zu viele fremde Augen zuguckten. Auf dem Probenplan steht
III,2 – das zweite Bild des dritten Aktes, das Brautgemach. Intimer geht es
nicht. Selbstverständlich bin ich einverstanden. |
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