Nordbayerischer Kurier, 27.07.2010
Von Christina Knorz
„Ich bin der einzig Normale in diesem Stück“
 
BAYREUTH. „Jetzt wird mir langsam klar, was Neuenfels gemeint hat“, freut sich Festspielbesucher Karl-Heinz Ruths aus München. Jetzt bedeutet: Nach Jonas Kaufmanns Gesprächs-Besuch am Montagmorgen in der Markgrafen-Buchhandlung.
Auf dem Programmzettel stand eigentlich: Buchvorstellung. Aber der mit auf dem Podium sitzende Buch-Autor Thomas Voigt nutzte sinnreich den Morgen nach der „Lohengrin“-Premiere, um den Tenor ein bisschen was erklären zu lassen.

„Während der Ouvertüre zum ersten Akt versuchst du die Labortür zu öffnen. Willst du da eigentlich rein oder raus?“, fragte Voigt den geborenen Münchner, der mit Applaus begrüßt und unter dem Klicken zahlreicher Fotoapparate Platz genommen hatte. „Ich will da rein.“ Er finde den Einfall von Regisseur Hans Neuenfels gut, Lohengrin von außen in diese hermetische Welt vordringen zu lassen. In dieses Labor, in dem mit Ratten und Verrückten experimentiert werde. „Ich bin der einzig Normale in diesem Stück.“ Für diese Rollen-Anlage habe er Neuenfels aber nicht bestechen müssen, lacht Kaufmann. Das sei so geplant. Er könne verstehen, dass ein „Lohengrin“-Regisseur neue Wege versuche, denn der Stoff ist heute nur noch schwer zu verstehen. „Dass Lohengrin in göttlicher Mission ausgesandt wurde, um das deutsche Volk zu retten, hinterlässt bei uns doch einen schalen Beigeschmack“, erklärt Kaufmann. „Oder wir denken an Märchen. Aber so können wir die Ernsthaftigkeit der Personen nicht erfassen.“ Neuenfels’ Inszenierung ohne Pomp und Glanz der Heerschau ermögliche den Blick auf intime menschliche Beziehungen. So dass er den Chor kurzerhand von der Bühne verbanne, wenn Lohengrin in einem Blitzeinfall Elsa seine Liebe gesteht. „Das ist für mich und das Publikum einfacher nachzuvollziehen, wenn die Szene nur zwischen uns spielt, als wenn 140 Chorsänger herumstehen und auf ihren nächsten Einsatz warten.“

Als Einziger betrete Lohengrin das Labor von außen und verlasse es am Ende auch wieder – während die in grünen OP-Kitteln bekleideten Laboranten während des Stücks etliche Versuche anstoßen und wieder abbrechen. Gottfried am Ende – übrigens sang Kaufmann „zum Schützer“ und nicht „zum Führer sei er euch ernannt“ – sei die Kreation einer neuen Rasse, der wie ein Virus in das Labor komme. Er sei also weder Schützer noch Führer. Denn als er sich die Nabelschnur durchtrennt, sterben alle anderen, auch Elsa, als Teil der alten Versuchsanordnung. Lohengrin verlässt traurig und einsam diese Welt. Er lernt: „Mit Liebe kommt man weiter als mit Gewalt“, sagt Kaufmann.

Lohengrin: kein Superheld

Während sein Münchner Lohengrin vor einem Jahr ein fleißiger, geradliniger, ehrlicher Charakter gewesen sei, habe sein Bayreuther Lohengrin mehr menschliche Fehler und Schwächen. Der Mensch hinter dem Superhelden sollte deutlich werden. Allein dass er in der Brautgemach-Szene anfange vor Elsa zu prahlen, was er alles für sie aufgegeben habe. „Er verlangt ja von ihr, dass ihre Liebe das alles aufwiegen muss. Selbst wenn sie zuvor keine Zweifel gehabt hätte, hätte sie ihn spätestens in diesem Moment fragen müssen, wer er eigentlich ist.“

Zu seinem Gesangsstil erklärte Kaufmann, dass man ihn hier in Bayreuth zwar dazu angehalten habe, „die Konsonanten zu spucken und das R zu rollen“. Wagner sei aber sehr für das Legato gewesen. „Durch diese Weichheit und Eleganz der Legato-Phrasierung bekommt die Musik eine besondere Qualität.“ Danach habe er sich gerichtet.

Kaufmanns nächste Wagner-Rolle wird der Sigmund in der Metropolitan Opera in New York im kommenden April sein. Andere Wagner-Rollen wie Tannhäuser oder die Siegfriede seien die nächsten fünf Jahre nicht geplant.

„Wenn er auf sich aufpasst, wird er ein zweiter Domingo“, prophezeit ihm der Münchner Opernfan Karl-Heinz Ruths, während er in der Schlange steht und auf ein Autogramm wartet. Wegen Überfüllung wurde die obere Etage der Buchhandlung geschlossen.

Foto: Lammel
 






 
 
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