Es ist schwer, diesen Mann in Aktion zu
sehen, ohne an „Wetten dass“ zu denken. Verständlich, beide wären ohne
einander ja kaum die Hälfte. Und wie er da so schreitet und juxt, und die
Arme in die Luft reißt, möchte man es allein für eine Frage von Sekunden
halten, dass Thomas Gottschalk jemanden herein bittet, der einen Bagger über
vierzig Stradivaris rollen lässt.
Es gibt aber keinen Bagger, nicht hier, nicht in der Essener
Philharmonie, nicht dann, wenn Thomas Gottschalk den „Echo Klassik“
moderiert. Es sei denn, man meinte damit jenen Bulldozer namens Show, der
alles überrollt, was nicht zum Senden taugt.
Win-Win oder doch eher: Lang Lang
Essen hatte Gründe stolz zu sein. Auf eine Klassikpreis-Verleihung, mit
leichter Zeitversetzung. Aus seiner schönen jungen Philharmonie in die
Wohnzimmer Deutschlands übertragen, natürlich im Kulturhauptstadtjahr und
dazu so viele Vorzeigekünstler auf einen Schlag! Der Anlass: der Echo
Klassik 2010.
Was das ist? Eine bedeutende Klassik-Auszeichnung. Eine Auszeichnung der
Phono-Industrie für die Ihren. Eine Preisverleihung in geschlossener
Gesellschaft. Was kann da schon schiefgehen? Man nennt dergleichen wohl eine
Win-Win-Situation. Oder eine mit Lang Lang.
Der ist natürlich auch da, donnert und tupft (er kann ja beides so enorm,
wenn auch immer etwas viel) und hämmert - und träumt mit den Augen zur
Saaldecke hinauf. Als der Klavier spielende Chinese sich musizierend
bedankt, ist die Show schon mittendrin. Da hatte David Garrett schon sein
bizarres Crossover gegeigt. Da hatte das Publikum längst begriffen
(beziehungsweise hatte Gottschalk es ihm wirklich sehr charmant beigebogen),
dass dieser Abend eher bei Hans Meiser als bei Mozart anzusiedeln ist. Einer
von den beiden sitzt im Saal. Und ein Spielverderber ist, wer die Klassik
heute ernst nimmt. Das hier ist eben nur – ihr Echo.
Selbstbewusste Lichtregie
Es ist nicht überliefert, wie stark der Anteil treuer
Philharmoniebesucher an diesem festlichen Spätnachmittag im Oktober ist.
Doch deuten Fragen („Wann ist das Stück zu Ende?“) auf Quereinsteiger hin.
Was schön wäre und natürlich auch ein Sinn dieses großen Preises.
Die Zugereisten jedenfalls werden nicht erkannt haben, dass die
Holztüren, durch die die Künstler den Saal betreten, für die Show, also für
das Fernsehen und also den interessierten Zuschauer, mit fescher Silberfolie
beklebt worden sind. Auch taucht eine selbstbewusste Lichtregie, die einem
kleinen zarten Stück von Chopin offenbar keine Note über den Weg traut, den
Raum unentwegt in öffentlich-rechtliches ZDF-Orange. Besser hören tut man
damit nicht, nicht mal mit dem Zweiten.
Ein bisschen weniger Tralala?
Macht man sich lächerlich, wenn man ein bisschen mehr Kunst und ein
bisschen weniger Tralala erwartet hätte? Wahrscheinlich. Außerdem (Juan
Diego Florez und Bryn Terfel sagten kurzfristig ab) waren ja viele große
Künstler da. Jonas Kaufmann zum Beispiel, der den Pokal aus der Hand des
berühmten Sting zwar für sein deutsches „Sehnsucht“-Album bekommt, aber zum
Dank Verismo singt. Kein Wunder – das ist sein nächstes Album. Sting singt
später auch. Seine brutal verstärkte Mini-Combo durchkreuzt den Versuch, mit
Essens ehrenwerten Philharmonikern „Every little thing“ zu klingen.
Das Publikum zieht launig mit, auch wenn der „Echo“ es kaum mehr als
Kulisse sein lässt. Es hängt an Gottschalks Lippen, dessen Späße zwar von
wenig Sachkenntnis getrübt sind, aber für hübsche Pointen übers Showbiz gut:
„Man sollte nur noch solche Konzerte moderieren, aber dann kennt einen in
zwei drei Jahren keiner mehr.“
Saaltüren in Silberfolie
Doch es gibt auch rare andere Augenblicke. Vorsichtig tritt Kurt Masur
aufs Podium (unlängst ist er am gleichen Ort vor Überschwang umgefallen).
Masur, Maestro der Wiedervereinigung und für sein Lebenswerk geehrt, und
Hans-Dietrich Genscher, sein Laudator, schenken dem Abend einen stillen
Moment, der von der Größe der Bescheidenheit erzählt. Am Ende gesteht Masur,
dass er 1989 doch nur für das gesorgt habe, was sein erstes Ziel am
Dirigentenpult sei: Harmonie
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