Festspielemagazin, Baden-Baden 2009
Text RÜDIGER BEERMANN
BLOSS KEIN BOULEVARD!
Auf Schnörkel kann er verzichten:
Wie man Mensch bleibt im Kunstzirkus, beweist der Tenor Jonas Kaufmann, dem Authentizität mindestens so wichtig ist wie hohe Töne. Szenen eines Fotoshootings...
Fotos: Renate Recht
Es ist Nachmittag in der Lindwurmstraße. Das Münchner Vorstadtquartier weiß nicht so recht, ob es „hip“ werden will oder einfach eine gewachsene Wohnstadt in City-Nähe bleiben darf. Im Hinterhof der Nummer 145 liegt das Fotostudio etwas verborgen in unerwartet idyllischer Atmosphäre. Ein Parkplatz vor der Haustür ist zufällig noch frei. Auf ihm wird jede Minute Jonas Kaufmann erwartet, der Münchner Tenor, der das Singen auf der Opernbühne lieben lernte und es sich dabei absolut nicht nehmen lassen möchte, ein natürlicher Typ zu bleiben.

Das Fotostudio hat schon viel erlebt: Mode-Shootings, Porträt-Sessions, die Umstellung von Film auf digital. Heute legt Regina Recht wieder einen Rollfilm in die Mittelformat-Kamera ein. Der Titel des Baden-Badener Festspielhaus-Magazins ist ein Exot in der Branche. Er soll halb wie ein Foto, halb wie ein Gemälde wirken und sich dem abgebildeten Künstler sehr persönlich nähern.

Jonas Kaufmann findet seinen Parkplatz direkt vor der Haustür und ohne Navi: „Ich bin Münchner.“

Das weiße BMW-Cabrio passt zum lässigen und stilsicheren Auftritt des Sängers, der seinen Status nicht überstrapaziert. Die Kleidersäcke wuchtet er selbst aus dem Kofferraum. Er betritt das Studio vorbei an spielenden Kindern im Hof und kommt zur Sache: „Bitte erklärt mir genau, was ihr machen möchtet.“

Jonas Kaufmann mag keine Schnörkel und möchte vor allem nicht mit welchen umgeben werden. In seiner Studentenzeit jobbte er unter anderem als Fahrer für VIPs bei BMW, heute ist er dort selber VIP-Partner. Anfangs sang er in Trier und Saarbrücken, hatte Zweifel, ob das je klappen würde mit der Karriere. Heute liegt man ihm an der Met, an der Scala und an der Bayerischen Staatsoper zu Füßen. Auch das ist das Ergebnis harter Arbeit und realistischer Selbsteinschätzung.

Seinen Haarfestiger - halb Wachs, halb Gel -zieht er selbst aus der Tasche: „Ich bin vorbereitet“, schmunzelt er in den Spiegel. Während eines Lichtwechsels wird keine Zeit vertan. Kaufmann geht seine Fanpost durch und überlegt, wer ein Foto bekommt und wem wie geantwortet wird. Jeder Brief wird wahrgenommen - auch das ist ein Teil des Business und selbstverständlich. Überhaupt der Alltag: Kaufmann ärgert sich kurz über eine Urheberrechtsfrage und will genau wissen, wo das Problem liegt. Er lacht über einen Kalauer und erzählt erheitert von einer skurrilen Abendgesellschaft, ohne einen der Teilnehmer zu diskreditieren

Der Tenor, dessen eher dunkles Timbre die Opernliebhaber und Kenner gleichermaßen beeindruckt, sucht das Gerechte und fürchtet weder unbequeme Fragen noch hohe Töne. Er mag kein Geschwätz und das „Reduziertwerden“ auf ein Boulevard-Klischee. Kaufmann fragt kritisch, und er wartet aufmerksam jede Antwort ab, scheint dabei abzuwägen. „Eigentlich stellt ihr doch nur junge und eher unbekannte Künstler auf dem Titel vor“, stellt er fest und erwartet eine plausible Erklärung, warum es diesmal „ein Star“ sein soll. Dann gibt sich der Tenor aber gleich selbst die Antwort: „Das gefällt mir. Geht genauso an die Geschichte heran wie immer. Stellt mich vor wie einen jungen und noch unbekannten Künstler.“ Nur kein Pathos, keine Superlative: „Bitte keinen Schmarrn.“

Dieser Wunsch kommt von Herzen. Kaufmann weiß, dass die wenigen Töne des „Italienischen Sängers“ im Baden-Badener „Rosenkavalier“ noch nicht der Einstand im größten deutschen Opernhaus waren und dass er das Publikum noch auf seine Weise erobern möchte. Ein kompletter Arienabend ist da etwas anderes... Regina Recht hat den letzten Film belichtet und ist zufrieden. Jonas Kaufmann ist in Eile. Er verabschiedet sich trotzdem herzlich und vergisst nicht, an seinen Wunsch zu erinnern: „Bloß kein Boulevard!“

Als er in seinen Wagen steigt, bleiben zwei Passantinnen mit Einkaufstaschen stehen, nicken in seine Richtung und lächeln sich wissend zu. Hier in München scheint es so, als hätte man Kaufmann verstanden: Man kennt ihn und man achtet ihn - als Künstler, als Mensch und als netten Typ.

Bildertext
JONAS KAUFMANN
Jonas Kaufmann gilt in der Szene momentan als „Eisen, das geschmiedet werden muss, solange es heiß ist. Hier Kontrolle über die eigene Entwicklung zu behalten, ist nicht immer einfach. Fotografen, Publikum, Konzertveranstalter, alle äußern Wünsche; die Gelegenheiten überschlagen sich, dabei will eine lange Sängerkarriere genauestens geplant werden. Kaufmann behält die Ruhe und wählt bewusst aus. Im Festspielhaus stellte er sich dem Publikum mit der eher kleinen Partie des „Sängers“ im „Rosenkavalier vor. Nun erst folgt ein großer Arienabend.



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