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Rheinischer Merkur, 21. Mai
2009 |
VON CHRISTIANE FLORIN |
TERMIN MIT JONAS KAUFMANN - Ein Heldenleben
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Endlich ein deutscher Tenor, der wieder
das Zeug hat zum Wagnerschen Hügel-Heros. Der Münchner will nach ganz oben.
Eine Gratwanderung zwischen Stimm- und Imagepflege.
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Der Mann ist auf dem Gipfel. Keine Schweißspur zeigt sich auf seinem
Gesicht, trotz schwerer Stiefel und warmem Rolli. Der dunkle Gehrock hebt
sich von dem weißen Nebel im Hintergrund ab. Caspar David Friedrich lässt
grüßen. Wie dessen „Wanderer über dem Nebelmeer“ posiert Jonas Kaufmann auf
dem Titelbild seiner neuen CD. Ein feiner Unterschied zum Original:
Friedrich lässt den Blick seines Protagonisten über die Landschaft
schweifen, der Wanderer Kaufmann schaut den Betrachter schicksalsschwer an.
Die Rückenansicht wäre auch schade gewesen. Jonas Kaufmann hat schon allein
aus optischen Gründen gute Chancen, nicht lange einsam durch die Hügelwelt
zu stapfen. Als der Tenor im vergangenen Jahr sein erstes Album beim
legendären Sänger-Label Decca veröffentlichte, konnten es die bunten Blätter
kaum fassen: ein Beau mit dunklen Locken und dunklem Timbre, ein Latinlover
aus München, ein Mann für gewisse Opern- und sonstige Stunden. Einer, der
vier Semester Mathematik studiert hat und soooo romantisch sein kann. In zig
Interviews musste der neue Star erklären, dass er eine solide
Gesangsausbildung hat, dass er sich in langen Jahren von der Oper
Saarbrücken bis zur Met hocharbeitete, dass er lieber über Dreiklänge reden
würde als über seinen Dreitagebart.
Leider diktierte er dann doch jemandem den Satz „Ich singe jetzt so, wie ich
früher unter der Dusche gesungen habe“, in den Block. Eine
Selbstbeschreibung, die ihn eher für einen Shampoo-Werbespot empfahl als für
„Parsifal“. Dabei wollte er nur sagen, dass er eine Weile brauchte, um seine
Stimmlage zu finden. Die helle Färbung, das „leicht kopfige Singen“, wie er
es nennt, lag ihm nicht, erst nach seinem Studium lernte er, seine
natürliche, saftige Stimme herauszulassen. In dieser Kraft fand er Ruhe. Die
Musikkritik trug ihm das mit der Dusche nach, die weiblichen Fans träumen
davon, ihm das Wasser zu temperieren.
Der erfolgreich Missverstandene will raus aus der engen Duschkabine.
„Sehnsucht“ heißt sein neues Album, ein Titel, der Weite suggeriert. Als der
Deutsche Sprachrat vor einigen Jahren nach dem schönsten deutschen Wort
fahndete, kam dieses in die engere Wahl. Die beiden weichen S und das
langgezogene E singen wie von selbst, die nicht immer friedliche Nation
zeigt darin ihre sanfte Seite. Unstillbare Gier gebiert bloß toxische
Papiere, unstillbare Sehnsucht aber bringt Kultur hervor. Diese Gefühl ist
tief, und wer so oft wie der 39-Jährige auf die Oberfläche angesprochen
wird, will zeigen, dass er die Romantik in all ihren Schattierungen
verinnerlicht hat.
Jonas Kaufmann sitzt im Foyer des Züricher Opernhauses. Am Hintereingang
parken die Laster des Schweizer Fernsehens, die „Tosca“-Inszenierung wird am
nächsten Tag aufgezeichnet. Er singt den Cavaradossi, einen sterblich
verliebten Maler. Ein südliches Temperament, kein Caspar David Friedrich.
Der Sänger trägt Jeans und Pulli, vor ihm steht ein Espresso. Es dauert ein
wenig, bis er gedanklich in Gehrock und Wanderstiefel schlüpft.
„Wonach ich mich sehne?“, wiederholt er die Frage und bläst einige Locken
aus dem Gesicht. „Da gibt es nicht mehr viel. Beruflich und privat ist alles
aufgegangen“, sagt er. Eine lange Karriere, mehr freie Zeit, ein bisschen
Ruhe, das wäre schön, schiebt er schließlich nach. Über das, was privat
aufgegangen ist, verrät er wenig: Er ist verheiratet, Vater dreier Kinder.
Mit seiner Frau, der Mezzosopranistin Margarete Joswig, hat er die
„Amfortas-Wunden“-Arie aus „Parsifal“ eingespielt. „Die Zeiten, in denen
sich Opernsänger für die Karriere opferten und auf Familie verzichteten,
sind zum Glück vorbei“, sagt er. Heutige Künstler wollen beides: Windeln
wechseln und Wagner.
Von den vergangenen Zeiten zehrt die Klassikbranche bis heute. „Der Mythos
lebt“, beteuern Pressetexte, auch wenn Sängerstars ganz anders leben: Auf
dem Papier gibt es ein Dutzend neuer Callas’, genauso viele neue Carusos,
und Kaufmann ist eben der neue Wunderlich. Den großen Tenor der
Wirtschaftswunderjahre verehrt der Münchner tatsächlich, aber auf seiner
deutschen CD möchte „der Neue“ hörbar höher hinaus im Repertoire und tiefer
hinab in die deutsche Seele. Gerade eine von Wunderlichs Paradepartien, die
„Zauberflöten“-Arie „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“, klingt aus
Kaufmanns Kehle rauer und angestrengter als bei seinem Vorbild. Die Kerle
liegen ihm mehr als Mozarts Prinz: Schuberts Fierrabras, Beethovens
Florestan, Wagners Siegmund. Er verkörpert sie als moderne Männer, viril
zwar, jedoch ohne tenorales Brunftgebrüll. Hier zeigt Kaufmann das gewisse
Etwas, eine Bühnenpräsenz, die sich auch ohne Bühne aus den Boxen der
Hi-Fi-Anlage erschließt. Hier ist er nicht Ersatz für irgendeinen Mythos,
sondern Original.
Das neue Album enthält 50 Prozent Wagner. Ein Bewerbungsschreiben für
Bayreuth. Rund um den Grünen Hügel brennt seit Jahren die Sehnsucht, aus dem
Nebelmeer des Mittelmaßes möge ein heimischer Heldentenor ragen. „Eine
Bewerbung habe ich nicht nötig“, stellt Jonas Kaufmann klar. Anfragen hatte
er schon lange, nun hat er sie erhört. „Ich brauche das nicht“ – das sagt er
oft, wenn er sich gegen eines der vielen Klischees wehren will. Solche Töne
könnten arrogant klingen, aber der Sympath lacht den Verdacht sofort weg.
Der Hügelerklimmer ist alles andere als überheblich. Wer wie er von einer
großen Plattenfirma zum Top-Künstler aufgebaut wird, muss Interviewtage wie
ein Hollywoodstar in Kauf nehmen, 30 Minuten mit dieser Journalistin von der
Frauenzeitschrift, 40 Minuten mit jenem Feuilletonredakteur. Er beantwortet
jede Frage so ausgiebig, als höre er sie zum ersten Mal; und er leistet sich
den Luxus, im Opernbetrieb nicht alles wunderbar zu finden. Kritik an
Regisseuren und Intendanten lässt er spitzbübisch aus dem Marschgepäck
blitzen. Er träume von einer Oper, die den Zauber zulässt, sinniert er. Ein
Musiktheater, das bei Wagner Burgen errichtet, anstatt Gott Wotan mit
Boss-Anzügen ins Alltagsgeschäft herunterzureißen. Zu viel Konkretes nehme
dem Publikum die Vorstellungskraft, fürchtet er. „Phantasie an die Macht!“,
lautete ein Schlachtruf der Romantik.
Geht die Einfallswut mit dem Regisseur durch, kann nicht einmal ein Held
mannhaft Widerstand leisten. „Wenn mir etwas nicht passt, habe ich aufgrund
der Verträge keine Möglichkeit, das zu verweigern“, sagt der
Vielbeschäftigte. „Aber es gibt einen Trick: Einem Tenor nimmt man ab, dass
er eine Regieanweisung schlicht vergessen hat.“ Kaufmann, ein tumber Tor?
Unmöglich, einem ehemaligen Mathematikstudenten mit kaufmännischem Talent
diese Rolle abzunehmen. Dafür ist er zu gut im Geschäft. Doch auch diese
Zweifel lächelt er einfach verschmitzt weg.
Grund zur Verweigerung hätte er 2003 bei den Salzburger Festspielen gehabt.
Stefan Herheim inszenierte Mozarts „Entführung aus dem Serail“ als
Selbsterfahrungstrip paarungswilliger Menschen, mit Kakerlaken und
Küchenschürze, dafür ohne Bassa Selim. Das Publikum rebellierte, Jonas
Kaufmann in der Rolle des Belmonte musste gegen Buhrufe ankämpfen. „Es steht
jedem frei, nach Hause zu gehen“, sagte er vor seiner Arie. Die
„Bild“-Zeitung maßregelte ihn darob als „Pöbel-Tenor“, doch mittlerweile
gehört er zu jenen Prominenten, denen das Blatt Fragen nach seiner
Unterwäsche stellt. Rückblickend kann Kaufmann auch über die Salzburger
Schmach sein helles, schallendes Lachen ausbreiten. „Regisseuren schadet so
etwas nicht“, sagt er. Sängern schon, meint er.
Der ganz große Karriereschub in Deutschland blieb ihm nach der
Publikumsbeschimpfung erst einmal versagt. Er brillierte an der Mailänder
Scala, an der New Yorker Met, in Zürich, Paris und London; seine Landsleute
aber jubelten lieber den Südamerikanern zu, seine Heimatstadt München
entdeckte ihn erst spät. Eine Wunde, die sich wie in Wagners „Parsifal“
geräuschvoll schließen müsste, hat er davon nicht zurückbehalten, allenfalls
ein leises Wundern.
Kaufmann hat mit seinem baritonal gefärbten Timbre viele Höhen erklommen;
wie auf Caspar David Friedrichs Gemälde sind immer neue Gipfel in
Sichtweite. Der nächste ist der Grüne Hügel. Dort debütiert er 2010 als
Lohengrin. Ob er will oder nicht, wird ihn die Phantasie des Publikums zum
Recken erblonden lassen. Er steht an einem ebenso reizvollen wie
gefährlichen Punkt. Seine Wanderstiefel wirken rutschfest, die Füße setzt er
trittsicher, doch wie bei jenen Helden, denen der Tenor seinen Atem
einhaucht, liegen Absturz und Apotheose dicht beieinander. Kollege Rolando
Villazón verstummte ob der Gratwanderung zwischen Ton- und Imagepflege
mehrmals; der Platz an der Seite der Netrebko ist wegen einer Zwangspause
des Mexikaners frei. Jonas Kaufmann hat schon mit ihr in einer Londoner „La
Traviata“-Inszenierung Triumphe gefeiert.
Stärkt die Stimmbildung auch die innere Stimme, schützt sie vor windigen
Beratern und falschen Freunden? Bei der Antwort lächelt Jonas Kaufmann
nicht. „Man muss aufpassen. Ich habe das Glück, eine lange Karriere hinter
mir zu haben, das schützt davor, an all die Selbstüberhöhungen zu glauben,
die einem manche einreden. Aber dennoch mache ich zurzeit mehr, als ich
sollte.“
An diesem Samstag wird er zum 60. Geburtstag des Grundgesetzes mit Daniel
Barenboim in Berlin beim Festkonzert auftreten. Für ihn kein Termin wie
jeder andere, sondern eine Herzenssache. Um die deutsche Kultur macht er
sich Sorgen. „Der Streit um die drei Berliner Opern zeigt ja, dass unsere
Musiktradition nicht als Pfund gesehen wird, mit dem man wuchern kann,
sondern als finanzielle Belastung“, kritisiert er. Von deutschen Werten
spricht er, von Stolz und Freude, und vom Gefühl, sich dafür dauernd
entschuldigen zu müssen.
Jonas Kaufmann, der Mann mit den dunklen Locken, ist im Herzen
schwarz-rot-gold. Sein Patriotismus zeigt jedoch eher Wehmut als Pathos.
„Und von den Bergen nieder/ Erschallt sein Lied in’s Thal/ Und die
zerstreuten Brüder/ Fasst Heimweh allzumal“, verdichtete Eichendorff die
Sehnsucht des Wanderers.
CD-Tipp: Jonas Kaufmann: Sehnsucht. Mit dem Mahler Chamber Orchestra unter
der Leitung von Claudio Abbado. Decca/Universal. |
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