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Die Welt, 20. Mai 2009 |
Von Manuel Brug |
Ein deutscher Tenor
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Jonas Kaufmann singt auf den großen
Bühnen der Welt. Am Samstag auch zum Staatsjubiläum am Brandenburger Tor
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Eigentlich sollte Jonas Kaufmann dieser Tage im neuen Wiener "Rheingold" den
schillernden Feuergeist Loge singen. Das ist für gewöhnlich eine Rolle für
charaktervolle Tenöre im vorgerückten Alter, für Sänger mit mehr
Ausdruckskraft als Stimmschönheit oder für Neugierige, die an einer von
Wagners spannendsten Figuren ihre vokaldarstellerischen Fähigkeiten erproben
wollen. Man kann bei dem 39-jährigen Kaufmann getrost Letzteres annehmen.
Zeichnet ihn doch nicht nur ein Heißhunger auf neue Partien und
Herausforderungen aus, sondern auch die spielerische Intelligenz, schon
erstmals in ein Kostüm zu schlüpfen, dass dann wohl erst in zwanzig Jahren
wirklich wichtig für ihn werden könnte - dann, wenn sich auch eine skrupulös
vorbereitete Tenorkarriere (wie sehen von der Ausnahme Placido Domingo
einmal ab) langsam ihrem Herbst nähert.
Es kam leider anders. Der mit langem Vorlauf geschlossene Vertrag wurde
nämlich längst umgewidmet. Der Jonas Kaufmann von heute hat einen radikal
anderen Status. Und so singt er stattdessen gegenwärtig als Startenor an der
Donau und in Berlin den "Tosca"-Cavaradossi, trat eben bei den Classical
Brit Awards in der Londoner Royal Albert Hall auf und steht werbewirksam für
das ZDF und 60 Jahre Bundesrepublik am 23. Mai unter Stabführung von Daniel
Barenboim in Beethovens 9. Sinfonie vor dem Brandenburger Tor.
Einen Tag vorher erscheint seine zweite Solo-CD bei der Decca, für die man
hoch greift: "Sehnsucht" nennt sich schmeichelnd das bekenntnishaft
deutsche, mit Caspar-David-Friedrich-Posen bildironisch spielende
Repertoireprogramm. Bei dem ist nichts mehr wie bei seinem vorigen bunten
Arienalbum, wo noch ein osteuropäisches Gelegenheits-Orchester begleitete.
Jetzt sind es Claudio Abbado und sein Mahler Chamber Orchestra, die Taminos
Taumel und Parsi-fals Paradies, Fidelios Fürchten und Siegmunds Sehren
begleitend klangveredeln.
Am Sonntag dann freilich nimmt sich Jonas Kaufmann wiederum in Zürich als
Liedsänger zurück, was kein Ausnahme, sondern ihm ein regelmäßiges Anliegen
ist. In München, seiner Heimatstadt, wo er künftig eine Art Hausvertrag hat,
singt er nicht nur im Juni den "Traviata"-Alfredo als eine seiner
Signaturrollen, sondern bereitet für den 5. Juli sein "Lohengrin"-Debüt vor:
die dritte Wagnerrolle nach Parsifal und Walter von Stolzing; der Siegmund
ist im neuen "Ring" der Metropolitan Opera für 2011 in New York vorgesehen.
Doch vorher wird die nächste Kaufmann-Saison - nach der ersten
Massenet-Partie mit dem "Manon"-Des Grieux in Chicago 2008 - mit dem
"Werther"-Debüt in Paris und seinem Bayreuther Lohengrin-Antritt ihre
mutmaßlichen Höhepunkte finden.
Kein Wunder, dass da kein "Rheingold"-Loge mehr dazwischenpasst. Jonas
Kaufmann, der lange in der deutschen Provinz als Mozartspieltenor vor sich
hinreifte, durch Selbstzweifel und Stimmtechnikkrisen wuchs, der hier und da
eine CD mit einer unbekannten Oper wie Loewes "Die drei Wünsche" oder
Marschners "Der Vampir" aufnahm und der nicht einmal per DVD an der Seite
von Cecilia Bartolis Paisiello-Nina auffiel, ist der weltweit meistgefragte
Tenor. Via Chicago, Paris, London, New York und geschickt getimte Jahre als
Teilzeit-Ensemblemitglied in Zürich nun endlich auch in Wien und
Deutschland.
Und das nicht nur als Mozart-Manierist oder Wagner-Recke, sondern auch im
sonst in der Oberliga von den Italienern, Spaniern, Mexikanern oder
eingewanderten Amerikanern besetzten italienischen wie französischen Fach.
Der nunmehr zweite Stimmausfall von Rolando Villazón bekräftigt dies, und
die launische Angela Gheorghiu will augenblicklich keinen anderen Partner.
Je mehr Kaufmann die zumindest für eine gesunde Stimme richtige Balance
zwischen Mozarts Titus und Bizets Don José, Fidelio und Verdis Don Carlo
sowie strategisch platzierten leichteren Wagnerrollen hält, desto stärker
wird freilich der markant baritonale Anteil seines deshalb auch
belastungsfähigeren Materials. Von dem emanzipiert sich die Höhe, bisweilen
etwas verschattet, aber dann in einem strahlenden Peng aufgehend, immer
mehr. Das sollte ihn in die Pflicht nehmen, diese verschiedenen Register
harmonischer zusammenzufügen. Man muss jetzt nicht gleich mit den
Superlativen vom "besten Tenor, den Deutschland in den letzten fünfzig
Jahren hervorgebracht hat" hysterisch überreagieren, um wohlwollend die
Anklänge an die Karrieren des 1954 im Alter von 45 Jahren bei einem
Autounfall gestorbenen Peter Anders und des 1966 mit erst 35 Jahren tödlich
verunglückten Fritz Wunderlich zu bemerken. Natürlich vereint sich da die
Sehnsucht nach diesen tragisch frühvollendeten, durch ihre unzähligen
Aufnahmen nach wie vor präsenten Tenorlieblingen mit präzisen
Marketingstrategien.
Doch die Zeiten von damals haben sich schwer geändert. Bei Anders waren
vokale Tribute einer etwas sorglos, aber glücklich bis zum Lohengrin und
Verdi-Otello vorangetriebenen Entwicklung nicht zu überhören. Und auch bei
dem ebenfalls in diese Richtung steuernden Wunderlich war zuletzt die
Karriereschraube ziemlich heißgelaufen. Nach ihnen konnten als Deutsche die
eigentlich zu lyrisch gelagerten Tenöre René Kollo und Siegfried Jerusalem
weltweit nur im schweren Wagnerfach punkten, der textschwache Peter
Seiffert, der beide längst schon an globaler Präsenz und Ausdauer
übertrifft, ist inzwischen gar vom Tamino souverän zum Tristan gereift. Von
diesem unterscheidet sich Jonas Kaufmann nicht nur durch Dreitagebart statt
Schnauz. Er verkauft sich über die Optik und die Stimme. Er weiß das, aber
ohne Stimme wäre auch er kein so begehrter Coverboy. Die neue, begeisternde
Platte offenbart hingegen, was für Potenzial noch in ihm steckt.
Kaufmann ist ein geerdeter Familienmensch, seine mezzosingende Frau steuert
als Kundry sogar ein paar CD-Takte bei. Und er hat, wo Villazón neben der
anfälligen Stimmtechnik sein unwiderstehliches Temperament dazwischenfunkt,
die deutschen Provinztheaterjahre verinnerlicht. Er sollte wissen, wann er
nein sagen muss, wann genug PR-Gedöns getrieben ist, wann die Stimme Vorrang
hat. Man kann auch als Tenor tricksen. Aber auf Dauer lügen kann man nicht. |
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