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Basler Zeitung, 11. April 2008 |
tobias gerosa |
Die neuen Startenöre - Villazón oder Kaufmann oder gleich beide? Neues
von der Tenorfront
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Rolando Villazón und Jonas Kaufmann: Zwei
jüngere Tenöre profilieren sich als Speerspitze einer neuen
Sängergeneration. |
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Seit «die drei Tenöre» Carreras, Pavarotti und Domingo
1990 «O sole mio» in die Caracalla-Thermen schmetterten und damit
bemerkenswert populäre und einträgliche Spätkarrieren lancierten, werden
auch ihre «legitimen Nachfolger» gesucht. Roberto Alagna, José Cura oder
Marcelo Alvarez machen ihre Opern-Karrieren, konnten den Anspruch,
breitere Kreise zu erreichen und auch zu Medienstars zu werden, bislang
aber nicht einlösen.
Glaubt man den Anpreisungen der Tonträgerindustrie, den Medien und den
Äusserungen der Fans im Internet, stehen mit dem 1972 geborenen Mexikaner
Rolando Villazón und dem drei Jahre älteren Münchner Jonas Kaufmann jetzt
wieder zwei Erben bereit. Ergeht es ihnen besser als den bisherigen
Anwärtern? Vieles deutet darauf hin, nicht nur ihre fast zeitgleich vom
Branchenriesen Universal veröffentlichten Solo-CD: Mit üppigem Foto-Buch
bei Villazóns «Cielo e Mar», mit Hochglanz-Pressemappe bei Kaufmanns
«Romantic Arias» - der Unterschied ist (noch) deutlich.
durchbruch. Für Jonas Kaufmann ist es die erste «grosse» CD und
durch die Promotionsanstrengungen der Plattenfirma auch ein Schub in
Sachen Karriere und Vermarktung. Seine Aufnahme mit Liedern von Richard
Strauss fand 2006 (zu Unrecht) wenig Beachtung, während die ungleich
stromlinienförmigeren «Romantic Arias» es jetzt sogar in die MTV-Charts
schafften. Noch 2003 sang er in Salzburg in Stefan Herheims hoch
kontroverser, dekonstruktivistischer Inszenierung der «Entführung aus dem
Serail» den Belmonte. Er verteidigte damals loyal die Inszenierung, war
aber nicht mehr bereit, die Wiederaufnahme zu singen. Und noch letztes
Jahr stand er absolut unkompliziert für ein Interview eine Stunde vor
einer Vorstellung zur Verfügung. Jetzt blockt die Plattenfirma eine
Anfrage ab: Kaufmann habe keine Zeit, er müsse nach seinen Zürcher
Auftritten möglichst rasch nach London und dann nach New York. Allerdings
ist Kaufmann keineswegs ein «aus dem Boden gestampfter» Star, sondern hat
sein Repertoire langsam und stetig aufgebaut. Das ist seit 2000 in Zürich
sehr genau zu beobachten.
aufbruch. Über sein erstes Engagement im Ensemble der Oper
Saarbrücken spricht Kaufmann heute eher mit Schaudern. Er habe sich damals
sogar überlegt, die Sängerkarriere aufzugeben, da ihn der Vertrag
«sklavenähnlich» zu unpassenden (meist kleinen) Rollen und ungeprobten
Auftritten zwang.
Von Mozart, Pergolesi und Paër sang er sich in Zürich über Monteverdi
(Nerone in «Poppea»), Gounods «Faust» und Verdis «Rigoletto»-Duca bis zu
Parsifal und Florestan. Dieses Rollendebüt wagte er im Vertrauen auf den
Dirigenten Nikolaus Harnoncourt, «weil ich da sicher bin, dass das
Orchester bei ihm mich nicht zudeckt», sagte Kaufmann damals. Heute
spricht er davon, dass er seit diesem auch auf DVD dokumentierten
«Fidelio» ganz anders und wie befreit singe, «so, wie ich immer schon auch
unter der Dusche sang». Das baritonale Timbre Kaufmanns bekommt seinen
neuen Rollen jedenfalls wesentlich besser als den leichten Mozart-Partien.
umbruch. Weitere Wagner-Partien werden folgen, auch wenn sich
Kaufmann der Gefahr sehr bewusst ist, dass eine Überforderung der Stimme
mit heldischen Rollen ein rasches Karrierenende bedeuten könnte. In einem
Gespräch im Frühling 2006 war er sich dieses Problems absolut bewusst:
Mozart werde er sicher weiterhin singen, so, wie es die Wagner-Tenöre
früher auch getan hätten.
Es wird sich weisen, ob er diesen Vorsatz durchhält, wenn noch mehr
Anfragen kommen - die Met hat ihn bereits für 2011 bereits als Siegmund
angekündigt, 2009 steht in München Lohengrin an. Zürich muss sich
anstrengen, wenn es Kaufmann halten will. Bereits ist London mit den
Rollendebüts in «Carmen» und «Tosca», beide für Zürich geplant,
zuvorgekommen. Schlüsselrolle der letzten Jahre wurde Alfredo in Verdis
«Traviata». Ihn sang er bei seinem Met-Debüt, an der Mailänder Scala (als
Deutscher im italienischen Kernfach mit grossem Erfolg), neben Anna
Netrebko in London sowie in Christoph Marthalers Pariser Inszenierung -
beides mit enthusiastischem Publikum und Kritikern. Daneben steht er aber
auch immer wieder in ganz traditionellen Inszenierungen auf der Bühne. Er
gesteht ein, dass er dies für neue Rollen durchaus schätze: «Dann kann ich
mich ganz aufs Singen konzentrieren.»
subversiv. Spricht man mit Rolando Villazón über Oper, will auch er
sie als Musiktheater verstanden wissen. Traditionellen Kostümschinken (wie
sie in letzter Zeit mit ihm auf DVD veröffentlicht wurden - Villazón
sells!) begegnet er mit subtiler Subversion: Wenn die Inszenierung
traditionell langweilig sei, setze er sich gerne auch über die wenigen
Vorgaben und überrasche seine Partner damit, dass er etwa von andern Orten
auftrete, als diese erwarteten.
Die Auseinandersetzung mit einem Regisseur, der neue Stückaspekte
entdecke, ziehe er aber auf jeden Fall vor. Er erwähnt Willy Deckers
Salzburger «Traviata» und Martin Kusejs «Carmen», in der er an der
Berliner Staatsoper den Don José sang. Villazóns Schalk und Natürlichkeit,
mit denen er längst nicht nur das Opern-, sondern auch das «Wetten,
dass!?»-Publikum erobert hat, wirken auch im direkten Gespräch ansteckend.
Während Kaufmann dem Interviewer den Kaffee in der Opernhauskantine zahlt,
lädt bei Villazón die Plattenfirma in die Suite eines Fünfsternhotels,
wohin er für einen Tag voller Interviews zur Promotion seiner neuen CD und
seiner Rückkehr nach einer halbjährigen Pause geflogen wurde. Dass die CD
hörbar unmittelbar vor Ausbruch der Stimmkrise aufgenommen wurde, ist kein
Hinderungsgrund. Sogar das TV-Klatschmagazin «Glanz und Gloria» nutzt die
Möglichkeit, Villazón hier im Fünfsternehotel zu treffen. Auftritt ist
zwar keiner geplant. («Leider», schiebt Medienprofi Villazón sofort nach.)
produktiv. Doch in genau kontrollierten vierzig Interviewminuten
erweist sich Villazón auch als ernsthafter Künstler. Heutige Sänger kämen
ohne Intelligenz nicht aus, sagt er, nur singen genüge - «auch für einen
Tenor, der allgemein ja als einfaches Gemüt gilt» - keineswegs mehr.
Kritische Fragen darüber, ob wie Popstars promotete Opernstars oder CD als
üppige Fotobücher noch der Musik und dem Theater dienten, kontert er
scherzhaft charmant mit einem Rauswurf («L’ interview est terminé!»). Und
stellt die Gegenfrage, ob die CD durch die Bilder, die ihn im Anzug in
schäumender Meeresbrandung zeigen, denn weniger Musik enthalte. Sicherlich
probe er lieber, als dass er PR-Termine wahrnehme. Und: «Ich nehme
Interviews, Fernsehauftritte und Fototermine einfach positiv. Warum soll
ich mich darüber ärgern? Ich würde mir das Leben nur schwerer machen
damit. Sie gehören dazu und ermöglichen auch Projekte, die sonst kaum
einen Produzenten fänden wie die geplanten Händel-Arien mit Paul McCreesh
oder meine Arbeit mit Emanuelle Haïm und Musik von Monteverdi.»
Kein Zufall, dass mit Villazóns Wechsel von EMI zur Deutschen Grammophon
auch seine Partner seiner Projekte in Alter Musik wechseln, schliesslich
stand der Exklusivvertrag lange auch CD-Projekten mit dem «Operntraumpaar»
Villazón-Netrebko im Weg.
massiv. Rolando Villazón hat von diesem Hype, der noch in diesem
Jahr Puccinis «La Bohème» auch zum Kinoerfolg machen soll, zweifelsohne
massiv profitiert, er hat aber auch die Zwangspause verursacht, als im
letzten Sommer stimmlich einfach nichts mehr ging. Jetzt tritt er etwas
kürzer. Statt von Otello spricht er nun von Händel-Arien. Die
Repertoire-Kurve von Kaufmann verläuft genau umgekehrt. Als Einspringer
für Villazón angefragt, verweigerte er sich letzten Sommer allerdings:
Seine eigenen Projekte gingen vor.
Auf «Cielo e Mar» singt Villazón vor allem wenig bekannte italienische
Arien des 19. Jahrhunderts, die auf der Bühne ausserhalb seiner
dramatischen Reichweite liegen. Sein Gestaltungswille und seine Intensität
machen das wie auf der Bühne grossteils wett, doch an die Eleganz und
Feinheit seiner Aufnahme mit französischen Arien kommt «Cielo e Mar» nicht
heran.
Ganz anders bei Kaufmann. Auf seinen «Romantic Arias» fehlt Mozart, den er
nach wie vor als wichtigen Pfeiler seines Repertoires bezeichnet, ganz.
Dafür beweist er die Breite seines Repertoires zwischen «Traviata»,
«Carmen» und «Meistersingern». Während die Begleitung damit sträflich
eintönig umgeht, findet Kaufmann jeweils den spezifischen Ton.
Eindrücklich, wie er in «E lucevan le stelle» («Tosca») oder Don Josés
«Blumenarie» («Carmen») ins Piano zurückgeht oder wie er Walther von
Stoltzing und «Freischütz»-Max belcantisiert. Letzterer bleibt insgesamt
trotzdem wenig profiliert - die Ausnahme dieser Aufnahme.
kompetitiv. Villazón und Kaufmann stehen im medialen Schaufenster -
männliche Galionsfiguren des momentanen Opernbooms. Ihre Compact Discs
sind dafür unverzichtbar und brachten es im Falle Kaufmanns gar in die
deutsche MTV-Hitparade (immerhin Platz 37). Eindrücklicher sind die beiden
Tenöre allerdings auf der Bühne, wo sie beide ihre Qualitäten als
engagierte und überlegte Sänger-Darsteller ausspielen können. Für Villazón
muss man dafür nach Salzburg, Paris oder Berlin fahren, Kaufmann singt ab
Juni am Zürcher Opernhaus den Don José.
> Jonas Kaufmann: «Romantic Arias». Decca/Universal.
> Rolando Villazón: «Cielo e Mar». DG/Universal. |
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