Salzburger Nachrichten, 21.3.2008
KARL HARB
Tenöre mit dem Flair von Popstars
Die Tenöre Jonas Kaufmann und Rolando Villazón sind Ikonen für den Klassikmarkt. Sie sehen blendend aus, sie sind toll gestylt und sie singen aufregend.
SALZBURG (SN). Wieder einmal überschlagen sich die Medien. Der „Stern“ schreibt: „Er ist sexy wie Brad, hat Locken wie Antonio, kann spielen wie George und singen – wie sonst keiner.“ Und das „New York Magazine“ toppt: „Brangelina sings!“ Dabei schaut der Münchner Jonas Kaufmann blendend aus, so wie es sich Lifestylemagazine wünschen. Genauso blendend wird er von seiner Plattenfirma, der ehrwürdigen Decca, auch vermarktet: mit dunklem Wuschelkopf, erotischem Blick und Dreitagesbart. Die Klassikwelt hat wieder einen Star.

Jonas Kaufmann ist Tenor, 1969 geboren, hat am Staatstheater Saarbrücken angefangen, sang 1999 bei den Salzburger Festspielen eine kleine Rolle in Busonis „Doktor Faustus“, dann 2003 den Belmonte in Stefan Herheims umstrittener Inszenierung von Mozarts „Entführung aus dem Serail“. 2001 stieß er zum Ensemble des Opernhauses Zürich, dem er seither verbunden ist, auch wenn seine internationale Karriere unaufhaltsam steigt.

Seine erste Arien-CD kam just zu jenem Zeitpunkt auf den Markt, als sein mexikanischer Kollege Rolando Villazón Zwangspause einlegen musste. Dabei hatte der Traumstar gerade von Virgin Classics zum traditionsreichen „Gelbetikett“ Deutsche Grammophon (DG) gewechselt, dort auch noch vor seiner Stimmkrise Belcanto-Arien aufgenommen, doch musste man dann marktstrategisch wohl oder übel mit der Publikation zuwarten, bis Villazón wieder genesen war. Dieses Album, „Cielo e mar“, ist kürzlich rund um Villazóns Comeback aufgelegt worden. So funktionieren nun einmal die Klassikgeschäfte.

Nun hat also die Firma Universal, unter deren Dach die Marken Decca und Deutsche Grammophon sind, gleich zwei Eisen im Feuer.

Dabei macht es der Debütant Jonas Kaufmann dem Markt leichter. Sein Album verheißt „Romantic Arias“ und offeriert Highlights – „La Bohème“, „Carmen“, „Tosca“, „Freischütz“, „La Traviata“, „Rigoletto“, dazu Gounod, Berlioz und Massenet und das Preislied des Walter von Stolzing aus Wagners „Meistersingern“.

Solche Arienplatten sind seit je Visitenkarten. Und im Falle von Jonas Kaufmann ist das Album auch ein Nachweis für die Bandbreite seines Repertoires und seines exzellenten sängerischen Vermögens. Stück für Stück kommt da durchaus Eigenes zum Vorschein, macht aufmerksam auf eine expansive, mühelos viril ansprechende, auf klare Wort-Ton-Balancen achtende, natürlich strahlende und doch beherrschte Stimme mit einem eigenen Flair. Italienisches, französisches, deutsches Repertoire: Alles ist perfekt abrufbar, wird in den Stimmungen jeweils präzise erfasst, was dem Ablauf dieser „Gesangsstunde“ den nötigen Abwechslungsreichtum sichert.

Kollege Villazón darf da schon – marktstrategisch – einen Schritt weitergehen. Also wird der Opernfreund mit vielen Raritäten bekannt gemacht: von Donizettis „Poliuto“ bis Francesco Cileas „Adriana Lecouvreur“, eingeschlossen so ungeläufige Namen wie Giuseppe Pietri (1886–1946) und Antonio Carlos Gomes (1836–1896), dessen Biografie Rolando Villazón angeregt hat, sich mit diesem speziellen Repertoire vertraut zu machen.

Der CD-Käufer lernt den lange Zeit nach außen hin so quirligen und allzeit fröhlichen Spaßmacher der Opernszene mit verinnerlichten, ernsten, stilistisch schwierig zu singenden, oft auf einen kantablen Romanzenton gestimmten Stücken kennen. Wer genau hinhört, wird aber mancherlei Anstrengungen, Eintrübungen der sonst immer strahlenden Höhe, kleine Brüche in Registerwechseln nicht verkennen, aber noch hat Rolando Villazón seinen Tenor angemessen unter Kontrolle. Seine Leidenschaft ist ungebrochen, seine dramatische Attacke hat nicht nur äußerliche Kraft, sondern auch Substanz und intensives Gefühl, die einzelnen Nummern werden wie Spotlights klar und deutlich beleuchtet.

Druck des Marktes ist gefährlich
Mitzubedenken aber bleibt für den Musikfreund, dem es um mehr geht als um blendende äußere Erscheinungen und dem das Styling der Marketingabteilungen suspekt ist, die Gefährdung, die der Druck des Marktes auch in der Klassik erzeugt. Rolando Villazón gibt mittlerweile wieder Interview um Interview über seine „Auszeit“, er wird schon wieder eingespannt in eine fieberhaft arbeitende PR-Maschinerie, die die „Wiederkehr“ erfolgreich maximieren muss. Jeder Auftritt ist ohnedies eine Extremsituation in dünner Höhenluft. Robustheit und Verletzlichkeit liegen da oft gefährlich nah beieinander.

Stark ist nur, wer klug genug hauszuhalten und überlegt zu wählen versteht. In diesem Sinne sollte man Rolando Villazón beste „Genesung“ wünschen und Jonas Kaufmann langen Atem fürs Durchhalten im „Betrieb“. Beide Stimmen sind kostbar genug. Jonas Kaufmann: Romantic Arias, Prager Philharmoniker, Marco Armiliato (Decca). Rolando Villazón: Cielo e mar, Orchestra Sinfonica di Milano, Daniele Callegari (DG).

© SN/SW






 
 
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