Badische Zeitung, 12. März 2008
Alexander Dick
Fernduell auf Scheiben - Jonas Kaufmann versus Rolando Villazón: Zwei Solo-CDs markieren zwei Karrierekurven
Etwas Unterschied muss schon noch sein. Während Jonas Kaufmann, der neue Stern am Universal-Tenorhimmel, für seine erste Solo-CD bei Decca eine durchaus repräsentativ gefertigte Pressemappe, immerhin auf Hochglanzpapier, bekommt, widmet das Schwesterlabel Deutsche Grammophon seinem – angeblich – wiederauferstandenen Goldkehlchen Rolando Villazón anlässlich dessen jüngster CD gleich ein 40 Seiten starkes Bilderbuch mit Hardcovereinband und Fotos von Branchenstar Felix Broede. Auf dass die Ränge klar verteilt sind.

Sind sie das? Da muss man wohl zunächst klar unterscheiden zwischen künstlerischer und medialer Wahrnehmung. Was hat sich denn von den beiden Herren mit den De-Luxe-Stimmbändern bislang jenseits der Fachwelt vermittelt? Villazón: Sunnyboy, Domingos Liebling, auch Mexikaner, der Tenor an der Seite der Anna "Divina" Netrebko und zuletzt fünfmonatige Bühnenpause. Kaufmann: also, äh – kein Fall für den Kulturboulevard. Bislang. Das soll sich nun ändern, schon allein wenn es nach dem Willen von Decca/Universal geht: Dreitagebart, romantisch-verführerischer Blick, Latin-Lover-Image und dazu – wie originell – der Titel "Romantic Arias". Damit müsste sich auch ein deutscher Tenor international als Marke vermarkten lassen.

Auf den Opernbühnen ist das schon lange der Fall. An der Zürcher Oper, der er als Ensemblemitglied besonders verbunden ist, tritt er in der laufenden Spielzeit allein in fünf großen Partien auf. Auch an anderen Weltklassehäusern, von Wien bis New York, geht er ein und aus. In London sang er gerade erst an der Seite der Netrebko den Alfredo in "La Traviata". Da steht ein Tenor in der Warteschlange für den medialen Online-Auftritt. Kenner rühmen seit langem das lyrische, warme, dunkle Timbre des Münchners, seine enorme Durchschlagskraft und – seine Vielseitigkeit. Kaufmann versteht sich in der Tradition jener deutscher Tenöre, die bei Mozart ebenso zu Hause sind wie in der deutschen, französischen und italienischen romantischen Oper: von Leo Slezak über Peter Anders und Rudolf Schock bis Fritz Wunderlich. Experten könnten angesichts des Namens Slezak jetzt schon ein bisschen die Stoßrichtung Wagner heraushören. Es wäre wohl noch immer zu früh. Kaufmann hat zwar den Parsifal gesungen in Zürich und den Stolzing ("Meistersinger") in Edinburgh, doch als kluger Tenor sucht er bewusst nach Repertoirebreite, wohl wissend darum, dass das Stimmpotenzial nicht weniger so genannter Wagner-Tenöre überschätzt – und damit ruiniert – wurde. Mit Stimmkrisen umzugehen hatte Kaufmann gelernt, als er Mitte der 1990er in Saarbrücken engagiert war. So manche Konsequenz daraus ist auf der mit marktreißerischem Repertoire zusammengestellten Solo-CD zu erfahren. Kaufmann meidet das Forcieren der Stimme und besinnt sich klug auf seine Stärken: ein kräftiges, baritonales Brustregister, dessen Übergang in die Höhe wirklich so gleitend ist, dass die Stimme auch in der italienischen Oper zu Hause ist. Sein Cavaradossi hat sicher nicht die Geschmeidigkeit und Italianità, den hellen Glanz mancher italienischer Tenorstimmen; dafür überzeugen gerade die Vielseitigkeit und Technik seiner samtenen und doch "männlich" klingenden Stimme.

Man würde im Falle Villazón ja auch gerne zu solchem Vokabular greifen. Doch was sein Label (und manche Medien) als strahlendes Comeback verkaufen, ist ja gar keines. "Cielo e mar (Himmel und Meer)" ist noch vor der Zwangspause eingespielt worden, und so sind die Vorboten der Krise mit Laserstrahl abtastbar und dokumentiert. Villazóns Passage, also sein Übergang in die Höhe, wird sehr eng und mündet oft genug in einer mühsam forcierten Kopfstimme. Bei der der CD zu ihrem Titel verhelfenden Arie aus Ponchiellis "La Gioconda" deutet sich all das im Refrain an: eine Stimme, die angeschlagen ist. Und nun ausgerechnet mit diesem Dokument ihre Wiederauferstehung feiern soll. Das ist zynisch. Viel Zeit wird dem so liebenswerten Mexikaner kaum bleiben, um das Gegenteil zu beweisen. Im Sommer wartet Salzburg mit (einer ebenfalls hoffentlich wieder genesenen) Netrebko und "Roméo et Juliette" auf ihn. Ein Thema wie geschaffen für das Operntraumpaar des Medienbetriebs. Der Ausgang ist bekannt. Alexander Dick
– Jonas Kaufmann: Romantic Arias. Decca (Universal) 4759966
– Rolando Villazón: Cielo e mar. DG (Universal) 4777224






 
 
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