Berliner Morgenpost, 15. Februar 2008
Von Volker Blech
Der neue Tenor für alle Fälle
Er führt die Klassikcharts an: In Berlin singt Jonas Kaufmann morgen den Rodolfo an der Lindenoper
Er ist ein lockerer Typ, der in Lederjacke und modisch zerrissenen Jeans durchs Opernhaus läuft. Dieser Tage probt Jonas Kaufmann an der Lindenoper für seine "Bohème"-Vorstellungen. Der Münchner singt ab morgen den schmachtenden Dichter Rodolfo. Aber es ist beileibe nicht sein Debüt an der Staatsoper und auch nicht in Berlin. Als junger Tenor hatte Kaufmann bereits zweimal am Hause im "Rosenkavalier" gesungen, und mehr als ein Dutzend Mal war er an der Komischen Oper in Harry Kupfers "Zauberflöte" zu erleben. Nur bemerkt hat ihn zu diesem Zeitpunkt noch keiner. Jetzt ist Kaufmann plötzlich ein Star. Sein Album "Romantic Arias" führt die Klassikcharts, alle möglichen Manager wollen mit ihm reden und ihn zu Partien und Auftritten verpflichten. Ein wenig scheint der 38-Jährige selber überrascht zu sein, wie das mit dem Erfolg so funktioniert.

Erste Triumphe feierte er anderswo
Dabei hat der Sänger längst Triumphe gefeiert, aber eben bislang fast nur in fernen Landen. "Manchmal habe ich den Eindruck, dass bei vielen im Musikbetrieb ein gewisses Misstrauen mitschwingt, einfach nur, weil ich ein deutscher Sänger bin", sagt Kaufmann. 2006 wurde er in der "Traviata" an der Met gefeiert. Danach begann der Trubel um ihn herum. Er findet es auch erschreckend, "dass mittlerweile die europäischen Kulturmacher nach Amerika schauen" und nicht mehr ihrer eigenen Tradition vertrauen.

Kaufmann gehört zu jenen Tenören, die nicht nur humorvoll Sprüche klopfen und ihre mehr oder weniger Macho-Liebhaberrollen spielen können, sondern ernsthaft auch über sich und den Musikbetrieb reflektieren können. Er weiß, dass mehrere Dinge zusammen kommen mussten, nicht nur der Wechsel zum Plattenlabel Decca, damit man auf ihn aufmerksam wurde. Mag sein, dass uns Betrachtern zuerst die schwarzen Locken und die mitlächelnden, dunkelbraunen Augen auffallen. Aber der Latin-Lover-Tenor wischt Äußerlichkeiten als merkwürdigen Zeitgeist beiseite. "Natürlich hat man heute manchmal den Eindruck", sagt Kaufmann, "dass die Opernhäuser ihre Sänger nach Äußerlichkeiten casten." Aber so richtig schlimm findet er, der Frauenschwarm, das alles natürlich nicht. Er selber mache Yoga, gehe Bergsteigen und Schwimmen, aber er sei nicht vom Fitnesswahn beherrscht.

Das Fitsein hat für ihn auch etwas mit der Lebenseinstellung zu tun. Andere Sänger würden, wenn sie auf Reisen die üblichen Frustrationen hätten, nachts die Hotelbar leer futtern. "Das darf nicht zur Gewohnheit werden", sagt Kaufmann. Er hält sich für selbstbewusst genug, allem Möglichen zu widerstehen. "Zweifelnde Kollegen haben keine Chance im Beruf", glaubt der Familienmensch Kaufmann. Dazu gehöre auch ein gerüttelt Maß an Bodenständigkeit. Bei ihm sind es vor allem die drei Kinder (zwischen zwei und neuen Jahren), die ihn völlig respektlos aus der Opern-Scheinwelt in den Alltag zurückholen würden. Genau genommen ist Kaufmann der Strahlemann-Tenor, der den feurigen Mexikaner Rolando Villazon ablösen soll. Dessen Karriere ist, allen Bekenntnissen zum Trotz, dem Musikmarkt zu unsicher geworden. Nachdem Villazon sich aus Krankheitsgründen zeitweilig von der Bühne zurückzog, fragten sich viele, wer der Neue an der Seite von Operndiva Anna Netrebko wird? Die Frage ist beantwortet: Am Londoner Covent Garden wurde Jonas Kaufmann gerade als Alfredo an der Seite der Netrebko gefeiert. "Rolandos Problem war", glaubt Kaufmann, "dass alle nur noch auf ihn geschaut haben". Diesem psychischen Druck will er sich nicht aussetzen. "Wenn ich schlau bin", meint er schmunzelnd, "dann warte ich".

Jeder große Sänger hat zwei Möglichkeiten: Entweder er singt sich in zehn Jahren durch alle Partien hindurch, verdient sich eine goldene Nase und riskiert die Stimmbänder, oder er baut sich selber Stück für Stück, Rolle für Rolle, zum Longseller auf. Kaufmann will "lange singen können". Irgendwann, glaubt er, wird sogar Wagners Tristan anstehen. Aber gemach.

Der Tenor und seine berühmte Soprane
Kaufmann weiß, wie wichtig "berühmte Soprandiven für Tenöre sind". In New York ist er zuerst an der Seite der Rumänin Angela Gheorghiu aufgefallen. Sie ist für ihn "die Mystische". An der Französin Natalie Dessay lobt er "die Kindlichkeit, die Verrücktheit, die sie sich bewahren konnte". Die Amerikanerin Renée Fleming ist für ihn "die Grazie schlechthin". Und an Anna, der Russin, bewundert er "die natürliche Ehrlichkeit".

Ob es erotische Spannungen zwischen den Operntraumpaaren gäbe? Natürlich, sagt Kaufmann, es sei Teil der Imagination. Aber es gehöre zur Kunst, "es danach wieder abzuschalten."






 
 
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