OE1 Highlights:
 Text: Chris Tina Tengel
Wie Wunderlich und Vickers
Der deutsche Tenor Jonas Kaufmann drängt mit seiner Solo-CD "Romantic Arias" in die internationale Spitzenliga.
Erster Eindruck: die Augen. Schokoladebraun, zum Drin-Versinken. Zweiter Eindruck: die Haare. Wie Ebenholz. Dreitagesbart. Erste Assoziation: "Latin lover". Noch sagt er, er wolle sich nicht über diese Schiene verkaufen.

Noch. Aber ist es nicht doch wie immer, zuletzt bei José Cura, bei Rolando Villazon? Panisch gewordene Plattenkonzerne, die den Einen pushen, den Einzigen, der alles können soll?

Der Tenor mit dem Bariton-Timbre
Placido Domingo hat einmal eine interessante Beobachtung geäußert: Junge Sänger müssen sich immer mit der gerade abtretenden Generation vergleichen lassen und mit dem von ihr hervorgebrachten Stimm-Ideal. Wie Domingo groß wurde, wollte man einen "neuen di Stefano", einen "neuen Corelli" finden. Heute geht es um einen "neuen Domingo" oder einen "neuen Pavarotti".

Jonas Kaufmann kommt nicht in Gefahr, als Doublette von einem der beiden aufzutreten. Seine Stimme ist - für einen Tenor - ungewöhnlich dunkel, sonor, baritonal, kennt aber dennoch keine Höhenprobleme. Ob sie so massiv und robust ist, wie es der virile Klang suggeriert, wird sich im Bühnenalltag zeigen, anhand all der neuen Partien, die Jonas Kaufmann demnächst ausprobieren wird.

Von Mozart zu Wagner und darüber hinaus
Wer hin und wieder Kritiken über Premieren des Opernhauses Zürich gelesen hat, kannte den aus München stammenden Tenor, dessen Laufbahn 1994 in Saarbrücken begonnen hatte, längst. Kaufmann war in Zürich im lyrischen Tenorfach erfolgreich, mit Mozart, mit Schubert. Eine DVD-Produktion von Paisiellos "Nina" zeigt ihn an der Seite von Cecilia Bartoli.

Schon sein Sprung zum Florestan im von Nikolaus Harnoncourt dirigierten "Fidelio" wurde als auffallender Fachwechsel weithin registriert, nachdem ihn Giorgio Strehler noch als Ferrando eingesetzt hatte, in seiner letzten Operninszenierung, Mozarts "Cosi fan tutte".

Auffallendes USA-Debüt
Ebenso auffallend Kaufmanns USA-Debüt, in der kleinen Rolle des Cassio in "Otello": Dürfen denn deutsche Sänger nach den Gebräuchen des heutigen Opernbetriebs nicht nur "deutsches Fach" singen? Danach wurden die Rollen-"Ausflüge" von Jonas Kaufmann häufiger: "Rigoletto"-Herzog, Don Carlo und Gounods "Faust" in Zürich, die Tenor-Hauptrolle in Puccinis Operetten-Oper "La Rondine" in London, 2006 Alfredo in "La Traviata" beim MET-Debüt an der Seite von Renée Fleming.
Mit Schlagobers vergleichen amerikanische Kommentatoren regelmäßig Flemings "cremige" Stimme. Wann kommt der erste von ihnen auf die Idee, Jonas Kaufmann das Etikett "dunkle Schokolade" anzuheften? Von dieser Stimme, einstweilen konzertant beim Edinburgh Festival 2007, den Stolzing in den "Meistersingern von Nürnberg" zu hören, war ein Erlebnis - Ludwig Suthaus, der große Wagner-Tenor der 1940er, 1950er Jahre, Furtwänglers Siegmund, hatte so geklungen. Bei Kaufmanns "Blumenarie" in "Carmen" am Royal Opera House Covent Garden, Ende des Vorjahres und das Don-José-Rollendebüt, konnte man eine Stecknadel fallen hören: Eine Interpretation, die auch die Connaisseurs jubeln ließ.

Skepsis gegenüber "Vermarktung"
Kaufmanns erste Opern-Solo-CD ist zur Zeit Anlass für eine Serie an Interviews, in der der Tenor - wie viele vor ihm - beteuert, die Lektion aus den Fehlern von Cura und Villazon gelernt zu haben: Sich nicht mit Haut und Haar der Vermarktung auszuliefern, nicht den Terminkalender mit Interviews und Hallenkonzerten zuzukleistern, nicht halbkrank auf die Bühne zu gehen. "Die müssen sich meiner Opernkarriere unterordnen", postuliert er. Und ist auch sonst um markige Worte nicht verlegen.

Warum Wien und die Staatsoper in seiner Karriere bisher keine Rolle gespielt haben? "Herr Holender hat mich für Wien voll verschlafen. (...) Ich war eben kein ganz billiges Frischfleisch aus Osteuropa", äußert sich Kaufmann gegenüber der deutschen "Welt". Bald allerdings ist auch das Haus am Ring an der Reihe: "Manon" an der Seite von Anna Netrebko, wieder eine Rolle, in der Jonas Kaufmann mit keinem der Tenöre in der Generation vor ihm vergleichbar sein wird. Claudio Abbado hat ihn für "Fidelio" gebucht, 2009 kommt in München ein neuer "Lohengrin" mit Kaufmann. Wie formuliert es die "Welt"? "Es geht auf die Autobahn".






 
 
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