Neue Osnabrücker Zeitung, 22.02.2014
Ralf Döring
 
Jonas Kaufmann singt Schuberts „Winterreise“
Jonas Kaufmann hat sich immer wieder einmal dem Kunstlied gewidmet. Jetzt widmet er sich dem Höhepunkt von Schuberts Liedschaffen, der „Winterreise“ - und findet da sehr eigenwillige Lösungen.

Das Kunstlied verhält sich zur Oper wie das Streichquartett zur Sinfonie: Es ist die kleine, feine Form für den wahren Kenner – und den Künstler mit Sinn fürs kleinste Detail. Mit dem großen Pinsel des Operngesangs ist da wenig auszurichten; wer Met, Staatsoper und Bayreuth füllt, ist nicht zwangsläufig ein guter Liedinterpret.

Jonas Kaufmann zählt nun zu den wahrlich großen Operntenören, einer, der bei Verdi und Wagner zu Hause ist. Doch will er sich keineswegs festlegen lassen; Massenets „Werther“ zählt ebenso zu seinem Repertoire wie Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“. Und immer wieder zieht er sich mit seinem einstigen Lehrer und Klavierbegleiter Helmut Deutsch zurück, um sich dem Kunstlied zu widmen – nach dem Bombast des Wagner/Verdi-Jahres war ihm offenbar nach Intimität und, wer weiß, vielleicht auch ein wenig nach Weltflucht. Danach sieht das Cover seiner „Winterreise“-CD nämlich aus: Verwegen zieht er sich da die Kapuze seines Shirts über den Kopf wie ein Rapper.

Klavierpartner Helmut Deutsch treibt nun den verschmähten Lover in flüssigem Tempo weg vom Liebchen und weg von der unwirtlichen Stadt, nicht hart, aber unerbittlich, ohne Pause, streng. Darüber legt Kaufmann seine Klage: „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus.“ Es ist kein schöner Gesang, sondern größte Wehmut, und Kaufmanns Tenor klingt – nicht nur hier – als läge von Anfang an dicker Raureif über Gemüt und Stimme. Da wärmt dann auch die Erinnerung nicht mehr: Wenn etwa bei Christoph Prégardien und seinem Pianisten Michael Gees das Mädchen von Liebe sprach, findet sich da noch mal Wärme, ebenso beim Meister des Liedgesangs, Dietrich Fischer-Dieskau. Kaufmann hingegen gestattet seinem Jüngling keinen Blick zurück im Guten; er hetzt, wenig nuanciert, nach vorne. Und trotzdem entwickelt er nicht den Sog, um die Reise in 24 Stationen gebannt zu verfolgen.

Natürlich verfügt Kaufmann auch beim Liedgesang über seine Qualitäten: über einen dunklen Tenor, der den Vergleich mit dem Bariton Fischer-Dieskau nahelegt, und eine Beweglichkeit, die durchaus mit der des lyrischen Tenors Prégardien mithalten kann. Was fehlt, ist die Fähigkeit, die Stimme ähnlich fein zu modulieren, um aus dem Mikrokosmos der einzelnen Textsilbe, des einzelnen Tons heraus die Geschichte des weltverlorenen Jünglings zu formen. Zwar schafft Kaufmann Kontraste zwischen einem Piano, über dem in der Höhe graue Schleier liegen, und einem Forte von heldischer Pracht. Doch dazwischen fällt manches durchs großmaschige Ausdrucksraster – etwa im fiebrigen vierten Lied „Erstarrung“, das bei Kaufmann nur wenig stürmt und drängt, oder in der Nummer sieben „Auf dem Flusse“, wo das lustige Rauschen des Flusses genauso klingt wie die Eisdecke. Dabei klingt Kaufmann keineswegs eintönig. Aber er bleibt eben der Opernsänger, der vom „Wegweiser“ und vom „Wirtshaus“ singt, der sich ein letztes Mal stimmmächtig aufbäumt, bevor er schließlich den „Leiermann“ trifft. Damit behält die „Winterreise“ zwar ihre Faszination – aber der musikalische Weg des Protagonisten büßt durch den breiten Strich von Kaufmanns Heldentenor doch einiges an Reiz ein. Kunstlied und Oper sind eben nicht der linke und rechte Schuh des Gesangs, sondern zwei Paar Stiefel, die mal besser, mal weniger gut passen.









 
 
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