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Magazin Klassik.com, 11. April 2014 |
Kritik von Benjamin Künzel |
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Altmodisch modern |
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So macht die 'Walküre' auch im Wohnzimmer einfach Spaß. Man fiebert mit, man ist elektrisiert und meint, mitten im Opernhaus zu sitzen. |
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Dem
vergangenen Wagner-Jahr hat der Plattenmarkt einige Neueinspielungen zu
verdanken. Manche waren spannend, manche weniger und wieder andere krönten
die bereits umfangreiche Wagner-Diskographie mit teils spektakulären
Interpretationen und Kombinationen. Ein wirkliches Highlight dieser
Geburtstags-Aufnahmen ist die Studioproduktion der 'Walküre', die im Juni
2011 und im Februar 2012 in St. Petersburg unter der Leitung von Valery
Gergiev auf Tonträger gebannt wurde. Dabei versammeln sich die wohl momentan
begehrtesten Wagner-Sänger zu einem fast schon unbezahlbaren Ensemble und
zeigen mit Bravour, was sie können. Die klanglich fein ausbalancierte
Studioaufnahme lotet die dynamischen Extreme der Partitur virtuos aus und
rückt das Geschehen in unaufdringlicher Stereotechnik in ein lebendiges
Gesamtbild. So macht die 'Walküre' auch im Wohnzimmer einfach Spaß. Man
fiebert mit, man ist elektrisiert und meint, mitten im Opernhaus zu sitzen.
Dieser Eindruck ist in hohem Maße auch dem kompromisslosen Dirigat von
Valery Gergiev zu verdanken. Seine Lesart verbindet sowohl kraftvolles
Zupacken als auch stetige Transparenz. Die Streicher jagen mit größter
Brillanz durch die Partitur und die Blechbläser trumpfen in bester
Disposition mit Strahlkraft und Furchtlosigkeit auf. Sicherlich mag man bei
dieser Energiewelle die feinen Zwischentöne vermissen – die durchaus
vorhanden sind, jedoch nicht explizit herausgestellt werden –, aber
letztlich erliegt man dem theatralen Rausch Gergievs, der fast schon etwas
altmodisch wirkt. Die musikalischen Gesten sind groß, die Tempi angenehm
rasch, der Klang opulent und majestätisch.
Ein wahres
Luxus-Ensemble
Ebenso altmodisch und zugleich faszinierend
modern klingt der Siegmund von Jonas Kaufmann. Sein heldentenorales Material
dunkelt bei dieser Partie noch etwas weiter ein als üblich, der Text
verschmilzt sinnfällig mit der Gesangslinie. Kaufmann singt nicht einfach,
er verkörpert. Und genau jener Umstand macht diesen Siegmund so
überlebensgroß und vielleicht sogar ein wenig künstlich – wenn auch nur im
besten Sinn des Wortes. Die Todverkündung mit ihren undankbaren Tiefen
bereitet dem Sänger keinerlei Mühen. Mit ungeheurer Intensität spürt er den
Klangfarben dieses fatalen Zwiegesprächs nach und lässt den Atem des Hörers
stocken.
Auch Nina Stemme beherrscht als Brünnhilde diese Kunst. Ihre
Höhen werden niemals scharf oder eng, stets behält sie ihren
unverwechselbaren warm glühenden Ton. Das ‚Hojotoho‘ schleudert sie
spielerisch von sich, in der Todverkündung verströmt sie eine gespenstische
Souveränität und im dritten Akt rührt sie mit ihrem zutiefst menschlichen
Gesang direkt ans Herz. Diese Brünnhilde ist auch deshalb so
außergewöhnlich, weil Nina Stemme die Partie nicht bewältigen muss, sondern
technisch und interpretatorisch über ihr steht. Ihre Konzentration verlagert
sich auf die Spontaneität des Moments, die Gestaltung und Glaubwürdigkeit
der Wotan-Tochter.
Wälsungen-Wermutstropfen
Ganz so souverän wird Anja Kampe mit der Sieglinde nicht fertig. Und
tatsächlich ist sie der einzige Wermutstropfen in dieser ansonsten nahezu
perfekten Neueinspielung. Die Sopranistin verfügt ohne Frage über eine
ausnehmend prächtige Stimme, die mit Wärme und großer Leuchtkraft gesegnet
ist. Im Zuge dieser Einspielung kommen diese Qualitäten aber nicht zum
Tragen. Sie wirkt stark auf den Gesang konzentriert, was sie gestalterisch
auffällig hinter ihre Kollegen zurückfallen lässt, und es fehlt ihr das
letzte Quantum Freiheit, um den sprichwörtlich letzten Knopf zu öffnen. Ihre
Höhe klingt zudem gedeckelt und gerade beim ‚hehrsten Wunder‘ fehlt es ihr
am nötigen Aufblühen, am freien Jubelton. Das ist zwar Kritik auf hohem
Niveau, denn solch eine solide Sieglinde muss man erst einmal singen können,
aber in Gesellschaft der übrigen Solisten fällt diese Besetzungsschwäche
leider ins Gewicht.
Der Wotan von René Pape ist ohne Frage göttlich.
Der Bassist hat keinerlei Mühen mit den geforderten Höhen der Partie, wenn
sie auch nicht mit der sonst spürbaren Selbstverständlichkeit kommen. Seine
Stimme strömt mit belcantesker Schönheit und Verbindlichkeit dahin und
erinnert in der akkuraten Artikulation und dem leicht überdimensionierten
Pathos ebenfalls an vergangene Zeiten – ein wiederum altmodischer Wotan im
besten Sinne.
Mikhail Petrenko gibt mit seinem hervorragenden Deutsch
und voluminösem Bass einen einschüchternden Hunding und Ekaterina Gubanova
ist eine attraktiv klingende junge Fricka mit erfreulich edlem Mezzosopran.
Die Walküren sind allesamt aus dem Ensemble des Mariinsky Theaters besetzt –
in ihrer Energie und stimmlicher Pracht ein wahrlich unbezwingbarer Sturm
von singenden Schlachtjungfern.
Diese 'Walküre' ist ein prachtvoller
Auftakt zum vollständigen 'Ring' des hauseigenen Mariinsky-Labels
(mittlerweile ist auch schon 'Das Rheingold' erschienen). Hoffen wir, dass
die übrigen Tetralogie-Abende bald folgen.
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