Opernwelt, Mai 2013
Jürgen Kesting
 
Gestückelt
Valery Gergiev ist dabei, den «Ring» aufzunehmen - jetzt liegt «Die Walküre» vor
 
Ein neuer «Ring» soll geschmiedet werden - von Valery Gergiev und seinen Truppen. Die Arbeit daran soll sich über zwei Jahre hinziehen, was wohl an den internationalen Verpflichtungen der Beteiligten liegt, die nur selten gleichzeitig frei sind. Für die Aufnahme der «Walküre» zum Auftakt des Projekts fanden sie sich zwischen dem 24. und 27. Juni 2011, zwischen dem 16. und 19. Februar 2012, dann noch einmal zwischen dem 10. und 12. April zu konzertanten Aufführungen im Sankt Petersburger Mariinsky Theater ein.

Die Montage der am besten gelungenen Segmente aus verschiedenen Aufführungen (und Proben) ist durchaus ein gebräuchliches Verfahren. Die Frage, ob daraus eine Aufnahme «aus einem Guss» entstehen kann, mit dem Momentum einer organischen Aufführung, stellt sich ohnehin, doch sie stellt sich erst recht, wenn derart große Abstände zwischen den Daten liegen. Können die Sänger - oder auch das Orchester - über einen solchen Zeitraum die «Form» halten?

Valery Gergiev ist vor zehn Jahren mit einer «Ring»-Produktion seines Theaters auf Tournee gegangen. Sie wurde zum einen wegen der szenischen Einrichtung, zum anderen wegen der nicht nur sprachlich unzureichenden Sänger kritisiert. Diesmal konnte der umtriebige Maestro mit Nina Stemme (Brünnhilde), Anja Kampe (Sieglinde), Jonas Kaufmann (Siegmund) und Rene Pape (Wotan) vier Stars gewinnen. Fricka und Hunding sind mit russischen Sängern besetzt, die seit geraumer Zeit auch an westlichen Bühnen singen - Ekaterina Gubanova und Mikhail Petrenko ebenso die acht Walküren. Wie wird das Sprachproblem gelöst?

Im Disput zwischen Fricka und Wotan etwa artikuliert die stimm-mächtige Ekaterina Gubanova den Text zwar mit bemerkenswerter Deutlichkeit, aber ohne die Eloquenz, über die Rene Pape gebietet, bei dem die Konsonanten zu den Erweckern der Vokale werden (wie Carl Kittel es forderte) und auch die Deklamation immer eine gesangliche Qualität behält. Hingegen neigt die russische Mezzosopranistin zu jenen heftigen Akzenten, die als isolierte Stimmaufstöße (von manchmal keifender Qualität) wahrgenommen werden. Im langen Duett des zweiten Akts ist Pape auch Nina Stemme in einer entscheidenden Beziehung überlegen: Er versteht es, die Worte in den Klang zu betten und dadurch den «Strecken öden Sprechgesangs» (Ernst Bloch) lyrische Momente zu sichern. Allerdings mag man in Wotans Erzählung («Als junger Liebe Lust mir verblich») in einigen Parlando-Passagen Resonanz in der tiefen Lage vermissen. Mikhail Petrenko gehört zu den Bässen, die um eines großen Klanges willen den mehrere Vokale mischenden «suono unico» einsetzen: An Sänger wie Gottlob Frick oder Kurt Moll darf man nicht zurückdenken.

Die force majeur der Aufnahme ist der Siegmund von Jonas Kaufmann. Er schenkt der Partie nicht nur Fülle des Wohllauts, sondern singt sie auch mit höchster expressiver Energie; überdies sorgt er bei den «Wälse»-Rufen oder in den ekstatischen Momenten des Duetts (etwa bei «So blühe denn, Wälsungenblut») für echten thrill. Vor allem überzeugt er durch ein vokales und verbales Agieren, das jede Geste der Figur in einem Klangspiegel sichtbar werden lässt. Seine Stimme erinnert - gerade in der dunklen Färbung der unteren Oktave - immer mehr an Jon Vickers. Bemerkenswert, wie geschmeidig dynamische Übergänge vom Forte ins Piano gelingen, wobei kaum je der Eindruck entsteht, dass er mit zwei Stimmen, also entweder modal oder kopfig, singt. Imponierend ist vor allem die Stetigkeit seines Singens, die Rundung des Tons selbst in Momenten dramatischer Intensivierung.

In der Sieglinde von Anja Kampe hat Kaufmann eine gute Partnerin. Ihre Stimme, ein lyrisch-dramatischer Sopran, ist voll und schön timbriert. Sie artikuliert den Text sehr genau, ohne ihm immer klangliche Rundung zu geben. In der hohen Lage verliert die Stimme beim Forte-Druck an Stetigkeit, auch bei lang gehaltenen Diminuendi wie dem auf dem G in der Phrase «Der ganz ihre Minne geweckt» (Akt II). Gleichwohl nimmt sie durch ihr passioniertes Singen im Duett des ersten Akts ein. An Grenzen kommt sie bei der ekstatischen Zuspitzung von «O hehrstes Wunder»; da lauscht man in die Vergangenheit und erinnert sich an das Jubeljauchzen einer Leonie Rysanek.

Mit den «Hojotoho»-Rufen führt sich Nina Stemme als Brünnhilde im zweiten Akt nicht zu ihrem Vorteil ein. Den auf das zweigestrichene H führenden Portamenti fehlt es an Schwung; sie klingen gewaltsam aufgerissen, und auch auch den Trillern auf dem Fis fehlt es an Rundung. Gerade sie scheint nicht bei allen Terminen in gleichmäßig guter Form gewesen sein. Wie scharf klingt sie in der Szene mit den Walküren im dritten Akt («Schützt mich und helft in höchster Not») und wie angestrengt, wenn sie die Geburt des hehrsten Helden ankündigt. Trotz vieler eindringlicher Momente hat man den Eindruck, dass sie oft, zu oft an die Grenzen ihrer Kräfte gehen muss und ihr Ton den ruhigen Fluss und die Stetigkeit verliert.

Rene Pape geht die Partie des Wotan - um auf eine Dichotomie Wagners zurückzugreifen - als stimmbegabter Sänger an, um liedhaft-lyrische Nuancen bemüht, um kantablen Fluss, Tonschönheit und um kontrollierte Klangausladung etwa bei «Wer meines Speeres Spitze fürchtet». Ob er damit aber das «Charakteristische der Aufgabe» ganz erfasst? Er singt die Riesenpartie «schöner» und stetiger als etwa Hans Hotter unter Georg Solti. Nur weiß er noch nicht so dringlich zu erzählen, noch nicht so einschüchternd zu wüten, noch nicht so bewegend zu klagen. So imponierend er sich auch als Vokalist behauptet -herrlich der Lyrismus von «Der Augen leuchtendes Paar» - so bringt er doch nicht die majestas von James Morris (unter Levine und vor allem unter Haitink) mit.

Es ist, um die oben gestellten Fragen zu beantworten, eine Aufnahme ohne das Momentum der Bayreuther Aufführung unter Karl Böhm, ohne den Schliff und die Kohärenz der Einspielung unter Karajan. Durch die Detail-Affektationen und seltsame Temposchwankungen geht die innere Bindung verloren; insbesondere der zweite Akt wirkt erratisch. Ein englischer Kritiker fand ein passendes Wort. Von Seiten des Dirigenten sei die Aufführung
«underwhelming» - unterwältigend.






 
 
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