Nein, man wird Jonas Kaufmann nicht vorwerfen können, er habe es sich
leicht gemacht. ‚Verismo Arias’ heißt seine neuste Einspielung, aber wer
dahinter eine Sammlung der größten Hits dieser Operngattung vermutet,
wird nicht bestätigt. Zwar fehlen Klassiker des Genres nicht, etwa
Ruggero Leoncavallos 'Recitar! […] Vesti la Giubba' aus 'Pagliacci' oder
zwei Szenen aus Pietro Mascagnis 'Cavalleria rusticana'. Aber wer kennt
schon Mascagnis 'Iris', Leoncavallos 'La Bohème', den Komponisten
Licinio Refice oder Riccardo Zandonais Oper 'Giuletta e Romeo'?
Kaufmanns Auswahl überzeugt, sie zeigt die Affinität des Verismo zur
französischen Oper und gibt einen repräsentativen Querschnitt durch das
italienische Verismo-Repertoire des ausgehenden 19. und beginnenden 20.
Jahrhunderts.
Noch in einer zweiten Hinsicht hat Kaufmann es sich
und seinen Hörern nicht leicht gemacht: Über eine Stunde lang hoch
emotionale, oft aufgeputschte und elektrisierende Musik auf einer CD zu
vereinen, ist ein Risiko. Auch dann, wenn die Stücke klug gewählt sind,
Kaufmann im letzten Drittel der Aufnahme unter anderen mit zwei Arien
aus 'Adriana Lecouvreur' auch deutlich ruhigere Töne anschlägt, bei
denen er sein tragfähiges Piano ausspielen kann, und am Ende der CD das
Schlussduett aus Giordanos 'Andrea Chénier' mit Eva-Maria Westbroek
eingespielt wurde, nutzt sich der emotionale Effekt der Arien auf Dauer
doch ein wenig ab. Das liegt auch daran, dass Kaufmann die Rollen, die
er gestaltet, recht einheitlich interpretiert und den einzelnen
Gestalten wenig individuellen Charakter gibt. Eine Partie klingt leicht
so wie die nächste – eben nach Jonas Kaufmann.
Jonas Kaufmanns
charakteristische Stimme, seine dunkle, baritonale Färbung, die, auch in
der Formung der Vokale, ein wenig an Placido Domingo erinnert, und zu
enorm starken, tragenden Höhen und Ausbrüchen fähig ist, ist oft
beschrieben worden. Die Breite seines Repertoires – von Schubert über
Wagner bis hin zum französischen und nun italienischen Repertoire – ist
beeindruckend. Mit der vorliegenden Aufnahme beansprucht Kaufmann, in
einer Reihe mit den großen Tenören des italienischen Repertoires zu
stehen. Aber so ganz gelingen ihm die hohen Aufgaben nicht. Einige
Passagen klingen, anders als bei Mario de Monaco oder di Stefano – um
nur zwei zu nennen –, deutlich zu gepresst (so beispielsweise das
Trinklied aus Mascagnis 'Cavalleria rusticana'), manches klingt gedrückt
und angestrengt. Man kann zwar einwenden, dass diese Anstrengung in den
meisten Fällen tatsächlich dem Ausdruck der Musik dient, denn natürlich
drücken die Texte und die Musik angestrengte und anstrengende
Extremsituationen menschlicher Existenz aus. Aber manchmal wirkt die
hörbare Anstrengung leicht fehl am Platz, wie beispielsweise in Fausts
Arie 'Giunto sul passo estremo' oder der Schluss von 'La dolcissima
effigie' aus Francesco Cileas 'Adriana Lecouvreur'. Wohltuend ist, dass
Kaufmann wenig auf äußere Effekte wie übertriebene Schluchzer oder das
Ankicken der Töne setzt – der emotionale Ausdruck ergibt sich aus der
sorgfältig überlegten Melodiegestaltung. Begleitet wird er einfühlsam
von dem Orchester der Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter Antonio
Pappano. Leider bleibt das Orchester aufnahmetechnisch manchmal allzu
stark im Hintergrund. Kurz: Eine Aufnahme, die man gern hört, aber
vielleicht eher häppchenweise genießen sollte.
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