München gegen Rom. Der eine ein Spätzünder, der erst Mathematik
studierte, der andere, der früh den Segen der Sixtinischen Kapelle
genoss. Dort war er Chorknabe.
Die beiden unbestritten smarten Erscheinungen eines Opernbetriebs,
der Laufstegtauglichkeit mitunter Notentreue gleichzusetzen scheint, zu
vergleichen, ist ansonsten kaum hilfreich. Wenn beide oben bleiben,
werden sie ihrer Stimme zuliebe unterschiedliche Wege gehen. Kaufmanns
Tenor hört man schon jetzt an, dass das Leichte (Tamino in der
Zauberflöte etwa) ihm schwerfällt, während man den schönen
Bariton-Farben seiner begnadeten Stimme ohne Sorge eine stattliche
Otello-Zukunft voraussagen möchte.
Beachtliche Beweglichkeit
Grigolos Talent dagegen siedelt man wohl am besten zwischen
„leggiero“ und „spinto“ an, beides Tenor-Fächer, die für spezielle
Anlagen und damit auch Rollen stehen. Die beachtliche Beweglichkeit, der
helle, nicht schrille Glanz lässt bei Grigolo an den Almaviva aus
Rossinis Barbier denken, aber auch an Verdi-Partien wie den „Duca“ aus
„Rigoletto.“ Zugleich besitzt der 33-Jährige noch genug Wucht und
strahlende Spitze, um in aller opernhaften Männlichkeit als Cavaradossi
eine Tosca anzuschmachten oder sich als Troubadour in Verdis bekanntlich
nicht sehr lustiges Zigeunerleben zu stürzen.
„The Italian Tenor“
(Sony) heißt denn auch die Bekenntnismusik, die Grigolo eingespielt hat.
Zunächst: Jeder, der einen solchen Sänger live in einem Opernhaus hören
darf, sollte dankbar sein. Obschon keine Riesenstimme und gewiss nie ein
Held Richtung Otello oder gar Siegmund (wie jüngst Jonas Kaufmann),
besitzt der Sänger stattliche Reserven. Dazu zeigt er – etwa in Arien
aus „Maskenball“ – beachtlichen Schmelz und ein feines Piano. Kein
Wunder, dass ihm von Covent Garden bis zur Scala die Herzen zufliegen.
Was die Substanz der Stimme angeht, geht Grigolo zwar geradezu
verschwenderisch mit seinen Mitteln um (am Schluss des Gassenhauers „Si
de’ Corsari“ aus Verdis frühem Piratenschinken legt er freiwillig noch
eine Spitze drauf). Aber irgendetwas am Gesamtbild stimmt (noch) nicht.
Der Tenor wirkt selten ungefährdet. Man darf gespannt sein, was seine
Haltbarkeit angeht.
Emotionale Dramen
Jonas Kaufmanns Album „Verismo“ (bei Decca) dagegen ist vielleicht die
gelungenste seiner CDs. Auch sie hat Bekenntnischarakter: Die Partien
aus Mascagnis „Cavalleria“, Giordanos „Andrea Chenier“, Boitos
„Mefistofele“ oder dem Bajazzo fordern Ausbrüche, die nur ein
meisterhaft gestützter, in seinen Ressourcen nie gefährdeter Heldentenor
besitzt. Zugleich muss ihr Interpret anrühren und im Augenblick
emotionale Dramen erzählen. Zieht man bekannte Kaufmann-Manierismen wie
angedeutete Schluchzer ab und seinen Hang zum Knödeln, fügen sich Größe
und Schönheit dieser in Ruhe gereiften Stimme (Kaufmann ist jetzt 41) zu
einem Eindruck, wie ihn ein deutscher Tenor lange nicht gemacht hat.
Sich über die Stylisten und PR-Strategen zu ärgern, die beide Sänger
auf eine Weise inszenieren, die kaum musikalisch motiviert ist, hat
keinen Wert. Das Auge hört längst mit – und geht mit einem schönen Foto
zur Kasse.
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